DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

10-05-2023 10:01
SXEU31 DWAV 100800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 10.05.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang von Ww (Winkelwest) zu HNFz (Hoch Nordmeer Fennoskandien zyklonal)


Weiterhin große Wetterkontraste - im Osten sonnig und trocken, sonst das
Gegenteil. Vor allem ganz im Süden kräftige Regenfälle, teils bis Freitag
andauernd.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... setzt sich die Wetterlage der Gegensätze nahtlos fort. Hat man
seinen Wohnsitz irgendwo zwischen Sassnitz und Görlitz oder gerne auch noch ein
paar Kilometer weiter westlich, wird man sich Fragen stellen. Wann endet das nun
schon seit Tagen andauernde sonnige und trockene Wetter? Und vor allem, was ist
im Rest der Republik los? Regen, Starkregen, Gewitter, Hagel, Überschwemmungen
und, und, und. Kaum zu glauben, wenn täglich das Schrebergärtchen gewässert
werden muss und sich die Hautfarbe immer weiter vom winterlich-weißen
Grundzustand entfernt. Heute jedenfalls wird sich an dieser Situation nicht
allzu viel ändern, wie den folgenden Zeilen zu entnehmen ist.

Die Grundsäulen der Großwetterlage sind klar verteilt. Auf der einen, der
östlichen Seite - die Rede ist vom östlichen Mitteleuropa respektive dem nahen
Osteuropa - das überaus hartnäckige Hoch TINA nebst korrespondierendem Rücken.
Beide haben - wie es im Volksmund so schön heißt - Sitzfleisch, und das
scheinbar ohne Ende. "Gute Nacht Freunde, es wird Zeit für mich zu gehen" hieß
es einst bei Reinhard Mey. Die gute TINA scheint dieses Lied noch nie gehört zu
haben. Anders ist es kaum zu erklären, dass das Hoch mit seinem Zentrum von
(aktuell) etwas unter 1030 hPa wie festgenagelt über Belarus liegt und alles
wegblockt, was von Westen her eine Änderung herbeischaffen will. Stattdessen
wird am Rande ein mitunter böig auflebender südöstlicher Wind angefacht, der
permanent trockene, wenn auch nicht übermäßig warme (T850 am Nachmittag um 7°C
=> 20 bis 23°C) Kontinentalluft in die östlichen Landesteile heranpustet. So
scheint auch heute von MV bis hinunter nach Ostsachsen wieder die Sonne von
einem teilweise gänzlich von Wolken befreiten Himmel. Der Böhmische Wind, der
aktuell im Süden Sachsens noch stärker aufmuckt, verliert zum Nachmittag hin an
Stärke. Dafür könnte es von der Uckermark bis nach Vorpommern für ein paar
steife Böen 7 Bft reichen.

Kommen wir zur zweiten Grundsäule, einem Höhentrog, der inzwischen von
Ostgrönland über UK/Irland und Frankreich bis hinunter zum zentralen Mittelmeer
reicht. Und warum reicht er so weit nach Süden? Ganz einfach, weil er nicht
gegen den blockierenden Rücken bzw. das Hoch anstinken kann und sich deswegen
meridional ausdehnen muss. Und wie das so ist bei solchen Monumentaltrögen
besitzen sie mehrere abgeschlossene Höhentiefs, die z.T. aus Cut-Off-Prozessen
resultieren. So auch aktuell über Frankreich (gut zu erkennen im Radarloop durch
zyklonales Eindrehen), wo sich ein kleines Höhentief abgespaltet hat. Wichtiger
als das, zumindest für uns, ist aber die Tatsache, dass eine inzwischen fast
vollständig okkludierte Front den Weg bis nach Deutschland gefunden hat, die
aber - wen wundert´s - ebenfalls keine realistische Chance hat, nachhaltig nach
Osten durchzubrechen. Heute Morgen liegt sie diagonal über dem Vorhersageraum
etwa von der Deutschen Bucht bis hinunter nach Oberbayern, gut erkennbar an
einem frontalen Regenband sowie einer Windkonvergenz (SO vs. W/SW), die zudem
eine Tiefdruckrinne markiert. Diese verbindet übrigens das Familienunternehmen
ZOLTAN, ein aus mehreren Kernen bestehendes Tiefdrucksystem über dem Nordmeer
und der Nordsee mit dem gerade über dem Golf von Genua entstandenen Tief ANDREAS
verbindet.

Wie bereits angedeutet, tut sich an der großräumigen Konstellation zumindest
heute nicht allzu viel. Doch was bedeutet das für unser Wetter? Zunächst mal
schauen wir uns den Bereich der quasistationären Front an. Dort lässt sich im
Tagesverlauf eine Abschwächung der Regenintensität konstatieren. Außerdem wird
das Regenband immer schmaler. Das gilt aber ausdrücklich nicht im Südosten,
schwerpunktmäßig im Süden und Osten Bayerns, wo sich eine veritable
Gegenstromlage einstellt. West-nordwestliche Winde in der unteren Troposphäre
vs. südliche Winde weiter oben bilden sehr gute Voraussetzungen für sogenannte
Aufgleitprozesse, die in länger andauernden, z.T. aber konvektiv durchsetzen
Regen münden. Aufsummiert über 24 Stunden sind bis zu 30 l/m² möglich (Richtung
Oberfranken weniger, am Alpenrand sowie bei konvektiven Einlagerungen punktuell
mehr), so dass eine regionale Ausweitung der markanten Dauerregenwarnung bis ins
nördliche Alpenvorland überlegenswert scheint (zumal es auch am Donnerstag bzw.
bis in die Nacht zum Freitag noch weiterregnet).

Widmen wir uns abschließend noch der postfrontalen Seite, sprich dem gesamten
Westen und Südwesten. Dort ist eine leidlich labil geschichtete und relativ
feuchte subpolare Luftmasse eingeflossen (T850 um 5°C, PPW-Maximum mit 20 bis 25
mm Westen/westliche Mitte). Viel Einstrahlung ist zwar nicht zu erwarten,
trotzdem reicht es, um vor allem von NRW bis hinüber nach Hessen (weiter südlich
weniger, weil trockener) ein paar wenige hundert Joule pro Kilogramm CAPE zu
generieren (relative schmale Labilitätsfläche bei allerdings recht hochreichend
geringem Spread). Mit Hilfe des kleinen Cut-Off-Tiefs wird sogar etwas
synoptisch-skalige Hebung geboten, so dass das Setup für einzelne,
wahrscheinlich wenig organisierte Überentwicklungen geschnürt ist. Primäres
Begleitelement dürfte der Starkregen sein, wobei wir in der Basis mit markanten
Warnungen auskommen sollten. Aufgrund des hohen Stationaritätsfaktor sind ganz
kleinräumig aber auch 25 l/m² oder etwas mehr schnell erreicht, aber wir wollen
den Teufel mal nicht an die Wand malen.

Ach ja, Temperaturen gibt es abseits des Ostens natürlich auch, sie erreichen
maximal 14 bis 19°C, bei längeren Regen im Süden sowie auflandiger
Windkomponente an der See nicht mal das.

In der Nacht zum Donnerstag ändert sich großräumig nicht viel. Das kleine
Höhentief westlich von uns verliert Lust und Leben, dafür setzt ein neuer
Cut-Off über Oberitalien an. Das kommt dem dort residierenden flachen Tief
ANDREAS zugute, das sich zwar nicht wesentlich vertieft, dafür aber flächenmäßig
zulegt und sich ostwärts ausweitet. Bei uns halten sich die zunehmend amorphen
Charakter annehmenden Reste der Tiefdruckrinne inkl. der etwas schwächelnden,
aber keinesfalls aufgebenden, geringfügig nach Osten vorankommenden Okklusion.
Während die Nacht zwischen Erzgebirge und Vorpommern gering bewölkt oder klar
verläuft, kommt es im Frontbereich - etwa von Ostholstein/Westmecklenburg bis
hinunter nach Bayern - zu weiteren Regenfällen. Der Schwerpunkt liegt nach wie
vor im weiß-blauen Freistaat, wo weiterhin reichlich Gegenstrom produziert wird
und insbesondere südlich der Donau 10 bis 20 l/m² Niederschlag dazukommen
können. Interessanter Nebenaspekt dabei: Im Zuge kontinuierlich sinkender
Temperaturen in der unteren Troposphäre sinkt auch die Schneefallgrenze in den
Alpen auf rund 1500 m. Darüber sind bis Freitagfrüh durchaus 10 bis 20, in
exponierten Staulagen bis zu 30 cm Neuschnee drin.

Im Westen verlagern sich die anfänglichen Schauer und Gewitter zusehends in die
nordwestlichen Landesteile, wobei die Gewitterwahrscheinlichkeit mit wachsender
Nachtlänge immer weiter abnimmt. Sollte es im Westen mal für längere Zeit
aufgehen, kann sich in der feuchten Grundschicht relativ zügig Nebel bilden.


Donnerstag... weitet sich der Höhentrog südlich der Alpen ostwärts aus, was bei
uns ein Rückdrehen der Strömung von Süd auf Südost zur Folge hat. Eingelagert
bleibt das abgetropfte Höhentief über Norditalien liegen, wo es weiterhin mit
ANDREAS interagiert. Dabei kommt es gar nicht mal zu weiterem Druckfall, sondern
vielmehr zu einem Split (am Mittag ein Kern über der nördlichen Adria, ein
zweiter über dem Ligurischen Meer). Ausgehend davon erstreckt sich auch morgen
wieder eine rinnenartige Tiefdruckzone diagonal über Deutschland hinweg, und
auch die Okklusion, die ein Stück weit ja als Luftmassengrenze fungiert, lässt
sich noch rechtfertigen. Dabei deutet sich an, dass sich die Zufuhr der
trockenen Kontinentalluft von Südosten her wieder leicht verstärkt. Auf alle
Fälle steht zwischen Sachsen und MV ein weiterer trockener Tag auf der Agenda,
an dem sich auch die Sonne bei ähnlichen Temperaturen wie heute nicht lumpen
lässt.

Ganz anders die Situation im großen Rest der Nation, wo sich die Gegenstromlage
nunmehr nicht nur auf den Südosten beschränkt, sondern auch weiter nordwestwärts
ausgreift. Die Folge sind verbreitet skalig motivierte, teils länger andauernde
Regenfälle, die sich immer weiter nach Westen ausweiten. Gebietsweise fallen 5
bis 10 l/m² innert 12 h, vereinzelt auch etwas mehr. Der Schwerpunkt mit 10 bis
15, lokal bis 20 l/m² liegt weiterhin in Bayern, tendenziell aber etwas weiter
westlich als bisher. Ganz im Westen und Südwesten wird der stratiforme Regen bis
zum Abend sehr wahrscheinlich nicht ankommen, für den einen oder anderen Schauer
sollte es aber reichen. Aufgrund der vorherrschend starken Bewölkung und
entsprechend geringer Einstrahlungswerte wird gegenüber heute weniger CAPE
generiert, weshalb auch die Gewitterwahrscheinlichkeit geringer ausfällt, wenn
auch nicht gleich null. Leicht gewitterträchtig ist zudem die Übergangszone vom
Regenkorridor hin zur trockenen Warmluft weiter östlich (grob vom HH-Raum bis
nach Oberfranken), wo die Numerik etwas Energie simuliert, welche in einzelne
Überentwicklungen umgesetzt werden könnte. Auflockerungen, um das CAPE zu
generieren, soll es tatsächlich von Osten her geben. Die Frage ist aber, ob das
Entrainment trockenerer Luft durch den Südostwind nicht derart kontraproduktiv
wirkt, dass es am Ende dann doch nicht für Gewitter reicht.

Reichen wird es mit Ausnahme des Ostens keinesfalls für 20°C oder mehr. Im
Gegenteil, gerade im Süden reicht es bei Dauerregen nicht für 15°C und in
besonders harten Fällen torkelt die Temperatur gerade mal um die 10°C.

In der Nacht zum Freitag zieht das nächste Höhentief von UK in Richtung
Südfrankreich, wo es eine Art Dipol mit dem Höhentief über Norditalien bildet.
Gleichzeitig weitet sich ein Höhenhoch über der nördlichen Ostsee (Bestandteil
des o.e. Rückens) südwestwärts in Richtung Nordsee aus. Als Konsequenz dreht die
Höhenströmung bei uns weiter zurück auf Ost und auch bodennah erfasst der
ebenfalls auf Ost drehende Wind immer mehr Areale. Der Grund dafür liegt auf der
Hand. So wird die breite Tiefdruckrinne mehr und mehr in die südlichen
Landesteile zurückgedrängt, während weiter nördlich der Druck steigt. Konkret
verbindet sich das inzwischen etwas nach Norden verschobene Hoch TINA - die Frau
ist nicht kleinzukriegen - mit einem neuen Hoch über dem Ostatlantik, wobei die
Brücke über Südskandinavien zu liegen kommt.

Kurzum, die skaligen Regenfälle erreichen nun auch den äußersten Westen und
Südwesten, wobei sie sich langsam abschwächen. Trotzdem reicht es gebietsweise
für 5 bis 10 l/m², die die bisherige, teils imposante Niederschlagsbilanz des
Mais weiter aufpeppen. Regnen tut es auch noch in weiten Teilen Bayerns,
allerdings mit erkennbar abnehmender Intensität, weil die Gegenstromlage nicht
mehr so gut funktioniert wie bisher.

Freitag... verschlägt es uns in eine High-over-Low-Konstellation, was sich auch
wettermäßig wunderbar abbildet: Im Norden besagtes Höhenhoch mit bodennaher
Brücke, im Süden das dipolartige Höhentief mit korrespondierender flacher
Tiefdruckzone südlich der Alpen. Mit östlichem Wind, der leicht böig auflebt,
aber keine Warnschwellen reißt, wird trockene und als mäßig warm zu bezeichnende
Festlandsluft (Tmax 19 bis 23, vereinzelt vielleicht 24°C, an Küstenabschnitten
mit auflandigem Wind weniger) in die Nordhälfte advehiert. Etwa zwischen 800 und
700 hPa etabliert sich eine Inversion, unter der sich eine labil geschichtete
und vor allem nach Westen hin zunächst noch feuchte Grundschicht befindet. Aus
dieser heraus bilden sich einige Quellungen, die aber nicht verhindern können,
dass häufig die Sonne scheint. Am südlichen Rand im Übergang zur feuchteren
Luftmasse weiter südlich sind einzelne Schauer, vielleicht sogar ein kurzes
Gewitter nicht ausgeschlossen. Das meiste CAPE wird in Nordwestdeutschland
angeboten, was vor allem dem zunächst noch hohen Feuchtegehalt geschuldet ist.
Allerdings mangelt es an zündenden Impulsen (keine synoptischen, keine
orografischen, da der Nordwesten naturgemäß durch plattes Land gekennzeichnet
ist).

In der Südhälfte lugt die Sonne zwar auch mal zwischen den Wolken durch,
allerdings wird ihre Einsatzzeit von beschränkter Dauer sein. Bei leidlicher bis
wenig Labilität kommt es zu schauerartigen Regenfällen, die im Tagesverlauf mit
einzelnen Gewittern durchsetzt sein können. Allzu viel Tamtam ist aus heutiger
Sicht aber nicht zu erwarten, weil nur wenig CAPE erzeugt wird. Die Spanne der
Höchsttemperatur reicht etwas von 14 bis 21°C.

Zuletzt noch ein ganz kurzer Blick in die Nacht zum Samstag, in der sich an der
Wetterlage wenig bis nichts tut. Im Süden, bedingt auch in der Mitte retten sich
ein paar Schauer bis weit in die Nacht, wenn auch insgesamt das konvektive
Geschehen auf dem absteigenden Ast ist. Stellenweise bildet sich Nebel.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die durchaus als komplex zu bezeichnende GWL wird modellübergreifend sehr
kongruent simuliert. Wir so oft hakt es etwas beim Niederschlag. Das ist gerade
im Süden aber von Bedeutung, weil dort über eine leichte regionale Ausdehnung
der Dauerregenwarnung nach Norden nachgedacht wird. Da ein Teil des Regens aber
konvektiv geprägt ist, könnte man bei Bedarf auch mit mehrstündigen
Starkregenwarnungen agieren. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass im
Tagesverlauf noch die angedachte Erweiterung erfolgt. Schwierig!

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann