DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

20-04-2023 11:01

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 20.04.2023 um 10.30 UTC



Zu Wochenbeginn von Nordwesten deutlich kühler, v.a. im Norden windig, Schnee im
Bergland, Wochenmitte Beruhigung, aber Nachtfröste.
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Synoptische Entwicklung bis zum Donnerstag, den 27.04.2023


Beim Blick auf übergeordnete Einflussfaktoren auf die bevorstehende synoptische
Entwicklung der (erweiterten) Mittelfrist drängt sich zunächst der für die
Umstellung auf die troposphärische Frühjahrszirkulation in den mittleren sowie
allmählich auch in den hohen Breiten typischen meridionalen Strömungsmuster mit
erhöhter Erhaltungsneigung (durch lange planetare Wellen mit zirkumpolarer
zonaler Wellenzahl k = 4 bis 5) auf, die sich durch deren große Amplitude teils
bis ins Arktisumfeld ausbreiten und dort dynamisch bedingt quasi liegenbleiben
(Einfluss planetare Vorticity, beta-Effekt). Ein anderer Faktor ist die kurz
bevorstehende Finale Stratosphärenerwärmung (Final warming des stratosphärischen
Polarwirbels, SPV, um den 20./21.04.2023 herum) mit vsl. dauerhaftem Umschwenken
der zonal gemittelten zonalen Winde in 10 hPa/ 60 Grad N auf Ostwinde und damit
im Verlauf auch die saisonal bedingte, aber etwas verspätete Auflösung des
Polarwirbels in der mittleren und oberen Stratosphäre (radiativ-dynamisch
getriggert, siehe auch Übersicht Mittelfrist vom 16.04.2023). Das etwas
verspätete Final warming resultiert u.a. aus dem Major-SSW vom 16.02.2023
(hiernach insgesamt schwächere vertikale Wellenflüsse in die Stratosphäre) und
könnte bisher durch häufigere Lagen mit NAO negativ im Spätwinter und Frühjahr
einerseits zu einer südlicheren Lage des Polarfront-Jetstreams (PFJ) über Teilen
Europas geführt und andererseits durch den verspäteten Zusammenbruch des SPV
insgesamt den zonal gemittelten zonalen Wind in 100 hPa und 60 Grad N (über
dynamische Wechselwirkung der oberen Troposphäre mit der unteren Stratosphäre
Maßzahl für Zustand des troposphärischen PFJ) über Wasser gehalten haben. Nun
aber wird, auch als Folge des Final warmings, dieser zonale Westwind in der
unteren Stratosphäre deutlich abgeschwächt simuliert (nach 20./21.04.2023) und
soll sogar negativ werden (also zonal gemittelte Ostwinde in 100 hPa/60 Grad N,
kommt selten vor!). Dementsprechend wird der AO-Index vorübergehend fast bis -4
simuliert (NOAA). Die troposphärische, zeitlich versetzte Response/Antwort
(siehe Ausführungen vom 16.04.23) lautet ein markantes Grönland-Blocking nächste
Woche, mit einem ebenso markanten meridionalen Kaltluftausbruch über Nord- und
Nordwesteuropa (Trog Nordmeer/ Skandinavien, also dann auch mit NAO-Index
zunehmend negativ, teils unter -1). Hiermit ist der Fahrplan für diese
Mittelfrist gestrickt, die Frage ist, wie nachhaltig die neuerliche
troposphärische Störung für den atlantisch-europäischen Raum ausfallen wird.

Längerfristige Prognosen des IFS-EPS (extended) deuten insgesamt eine negative
Temperaturabweichung über Nordwest- und Nordeuropa sowie eine neutrale bis
leicht negative Temperaturanomalie für Mittel- und Westeuropa bis Mitte Mai an,
natürlich nicht durchgängig.

So, dann schauen wir nochmal etwas detaillierter in diese Mittelfrist.
Zu Beginn liegt am Sonntag eine verwellte Kaltfront (des nun schwächer
simulierten Bodentiefs über Südskandinavien, ca. 1000 bis 1002 hPa, eingebettet
in einen breiten Langwellentrog mit zunächst abgeschnürter Kaltluftzufuhr)
bereits über Polen, hängt an den Alpen noch etwas zurück. Rückseitig fließt
erwärmte Meeresluft subpolaren Ursprungs ein mit 850 hPa-Temperaturen mit 0 Grad
im Nordwesten und noch +5 Grad im Südosten. Der Wind sollte aufgrund des
schwächeren Gradienten nur an der Nordsee und auf einigen Gipfeln warnwürdig
werden, der leichte Föhn an den Alpen lässt ebenso rasch wieder nach.
Vorderseitig der Kaltfront könnte im Südosten konvektiv noch etwas gehen, ggf.
mit Starkregenpotenzial, rückseitig dann eher mit stürmischen Böen (Bft 8).

Zu Wochenbeginn verkürzt der Langwellentrog über dem östlichen Nordatlantik/
Skandinavien seine Wellenlänge und wird somit etwas progressiver. Somit wird der
Weg frei für arktische Polarluft, wenn auch diabatisch erwärmt auf dem langen
Weg über See (850 hPa-Temperatur Dienstagfrüh ca. -2 Grad an den Alpen bis -7
Grad im Nordwesten. Am nun besser konturierten Jet (erhöhte Baroklinität vom
Boden bis in die höhere Troposphäre) kann sich am linken Jet-Ausgang und bei
teilweiser Überströmung der Skandinavischen Gebirge eine neue/etwas kräftigere
Zyklone bilden (bei GFS immerhin mit Kerndruck 996 hPa). Daran ist eine weitere
Kaltfront gekoppelt, die bis Dienstagfrüh die Alpen erreichen soll. Sinkende
Schneefallgrenze, zumindest Glätte/etwas Neuschnee im Bergland sowie stürmische
Böen im Norden, im Küstenumfeld auch Sturmböen (Bft 9) sind mögliche
Begleiterscheinungen des doch markanten Kaltluftvorstoßes. Vielleicht reicht es
im Norden auch für kurze Gewitter mit Sturmböen und Graupel.

Am Dienstag und Mittwoch verkürzt der LW-Trog weiter seine Wellenlänge, er wird
durch vor- und rückseitige Amplifizierung lt. IFS quasi eingequetscht und
bekommt eine negative Achsneigung. Das Bodentief zieht allmählich in die
östliche Ostsee weiter. Somit bleibt es im Norden in Verbindung mit kurzwelligen
Randtrögen recht windig mit Schauern, teils als Schnee oder Graupel. In der
Mitte und v.a. im Süden halten die Niederschläge teils noch länger an (im
Bergland mit möglicher Neuschneeauflage), sonst nachts zumindest mit
Glättegefahr. In der Nacht zum und am Mittwoch setzt sich nach IFS in der
Südwesthälfte ein Hochkeil allmählich durch (laut GFS und ICON deutlich später),
und dass vorderseitig eines amplifizierten Höhenrückens von den bzw. noch etwas
westlich der Britischen Inseln bis zur Iberischen Halbinsel). Damit ist dort in
der Nacht zum Mittwoch und Donnerstag bei Aufklaren leichter, im Bergland
mäßiger Frost möglich.

Am Donnerstag soll der LW-Trog mit noch negativerer Achsneigung bereits auf
einer Linie Balkan-Osteuropa-Skandinavien liegen, einschl. einer gewissen
Regenerierung seiner Nordwestflanke durch andauerndes Grönland-Blocking. Über
Mitteleuropa soll eine Hochdruckzone liegen, knapp östlich des etwas
abgeflachten Höhenrückens (der im Bereich Britische Inseln/Nordsee außerdem von
WLA überlaufen wird und zum neuerlichen Trogvorstoß bzw. Regenerierung des
letzteren über dem Nordmeer eine markante Deformationszone bilden soll) über
West- und Südwesteuropa. Die 850 hPa-Temperatur steigt lediglich im Südwesten
und Westen spürbar an, auf ca. 0 bis 3 Grad, nach Norden und Osten verbleibt
Deutschland in der Kaltluft (850 hPa-Temperatur -3 bis -6 Grad.

Für die erweiterte Mittelfrist bestehen relativ große Unsicherheiten, dazu
verweist der Autor auf die Diskussion bei der Modelldiskussion und
Clusteranalyse (siehe unten).
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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Die Konsistenz des aktuellen IFS-Laufes ist bis zum Ende der Mittelfrist als
recht gut einzuschätzen. Die synoptischen Strukturen werden im Wesentlichen
fortgeführt, allerdings wird im neuen Lauf am Sonntag das Bodentief (über
Südskandinavien) am linken Jetausgang des Langwellentroges von der Arktis bis
nach Westeuropa reichend deutlich schwächer simuliert, mangels dynamischer
Unterstützung am Rande des breit gefächerten Troges und noch Zurückhalten der
arktischen Luftmassen über dem Nordmeer. Die nächste Zyklogenese am Dienstag
wird nun auch konsistent simuliert, einschl. meridionaler Kaltluftvorstoß. Zum
Ende der Frist ist fraglich, wie rasch der Höhenrücken von Westen nachstößt, da
wird man sehen, wie gut der deterministische Lauf in die Cluster eingebettet
ist.
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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Bezüglich der grundlegenden synoptischen Entwicklung sind innerhalb der
Mittelfrist keine großen Unterschiede auszumachen, abseits der weiter oben
beschriebenen Details. Allerdings wird am Ende sowie am Übergang zur erweiterten
Mittelfrist die Trog-Rücken-Struktur (Skandinavien/Ostatlantik und Grönland)
unschärfer (Progressivität, Amplifizierung). So zögern GFS und ICON die
Erwärmung von Südwesten weit in die erweiterte Frist hinaus, GFS lässt im
Verlauf ein neues Nordmeer-Blocking zu, schnürt den vorlaufenden LW-Trog
zunehmend ab und verzögert so auch die Ostverlagerung der langen Wellen
zusätzlich. So existieren laut GEFS Lösungen, die Hoch Nordmeer/Fennoskandien
(HNFz) regenerieren lassen gegen Ende April, mit möglicher
Nord-/Nordostströmung, zyklonal und T 850 hPa in der Nordosthälfte bis -5 Grad.
Der Autor schließt aufgrund der eingangs beschriebenen übergeordneten Faktoren
neuerliche, eher kalte Blockierungslagen somit nicht aus. Diese müssen aber wie
angedeutet nicht unbedingt antizyklonale Verhältnisse für Mitteleuropa bedeuten.

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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Bei der IFS-Clusteranalyse wird durchweg nur eine gruppierte Clusterlösung
gezeigt. Somit wird ein geringer Spread suggeriert, den das Ensemble von GFS
(GEFS) so nicht mitgeht!

Im Detail hat IFS-EPS für den Zeitschritt t+120 bis t+168 h (Dienstag 0 UTC bis
Donnerstag 0 UTC) das Grönland-Blocking noch schön drin, mit Skandi-Trog
(negativ geneigt), als Atlantischer Rücken (AtR) mit der Ausprägung NAO negativ,
am Ende Übergang zu NAO positiv, was eher formal erscheint. In der
DWD-Großwetterlagenklassifikation entspräche das Nordwest zyklonal (NWz).

Im nächsten Zeitschritt (t+192 h bis t+240 h, Freitag 0 UTC bis Sonntag 0 UTC)
ist laut Cluster zunächst ein Übergang zu Trog Mitteleuropa (TrM) oder
Winkelwestlage (WW) angedeutet, bevor am Ende erneut Höhenrücken Nordmeer/
Britische Inseln als Blockierungslage angedeutet wird (nun doch ähnlich wie bei
GEFS!). Laut GWL-Klassifikation gehen wir nun auf Hoch Nordmeer antizyklonal
(HNa) als bestimmende Sequenz. Ebenso möglich wäre aber auch Hoch Nordmeer
zyklonal (HNz).

Am Ende wird für die Rauchfahnen noch eine repräsentative Station im
norddeutschen Flachland gewählt.

Bezüglich 850 hPa-Temperatur gehen die Werte ab Montag/Dienstag mit geringem
Spread auf -6 bis -8 Grad zurück, verharren dort bis Donnerstag, um dann bis
Samstag/Sonntag auf 0 bis 3 Grad hochzuklettern, aber mit gewaltigem Spread!
Hier ist noch nicht viel sicher bzgl. Erwärmung (gerade im Norden und
Nordosten).

Beim Niederschlag sind bis Dienstag/Mittwoch leichte Signale zu sehen, danach im
Haupt- und Kontrolllauf nicht mehr, bei einzelnen Membern schon.

Das Geopotenzial sinkt bis Dienstag stetig ab (auf etwa 535 dam), recht eng
gebündelt. Danach steigt das Geopot (mit nicht allzu großer Streuung) wieder
stetig an, auf ca. 560 dam am Wochenende.

FAZIT: Der Kältevorstoß ist gesetzt, auch das Ausmaß wird allmählich verstetigt
in den Modellvorhersagen, einzig die Andauer ist ebenso unsicher wie die latente
Gefahr einer neuerlichen (kalten?) Blockierungslage nach kurzzeitiger Milderung.
Eine gewisse Niederschlagsneigung bleibt trotz vorübergehender Hochdruckphase
ebenso erhalten.
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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Am Sonntag im Südosten einzelne Gewitter mit Starkregen. Im Nordwesten/ Nordsee
sowie im Bergland stürmische Böen (Bft 8), in Hochlagen Sturmböen möglich (Bft
9).

Am Montag im Norden und im Bergland stürmische Böen (Bft 8), an den Küsten auch
Sturmböen (Bft 9) nicht ausgeschlossen, im Bergland/ Alpen bei sinkender
Schneefallgrenze markante Neuschneemengen gering wahrscheinlich (warme Böden).

Am Dienstag im Norden weiter stürmische Böen möglich (Bft 8), Bergland
Mitte/v.a. Süden markante Schneefälle (>10 cm) nicht ausgeschlossen. Nacht zum
Mittwoch tiefe Lagen leichter, Bergland mäßiger Frost.

Am Mittwoch allmähliche Beruhigung, nachts Frost, nachlassende Schneefälle im
Bergland.
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Basis für Mittelfristvorhersage
IFS-EPS, GEFS, ICON, NOAA, StratObserv
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Dr. Jens Bonewitz