DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

23-03-2023 09:01
SXEU31 DWAV 230800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 23.03.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal), ab Montag - Achtung, mittelfristiger Vorgriff -
Übergang zu Na (Nord antizyklonal)

HILMAR und JOHANNES on fire - zunehmend dynamische Westlage mit wiederholten
Regenfällen.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... hat sich die zyklonale SW-Lage inzwischen soweit manifestiert,
dass die Maschine ordentlich am Laufen ist. Wie es sich für eine solche GWL
gehört, befindet sich Deutschland ziemlich genau unter der leicht schlingernden
Frontalzone, die sich vom mittleren Nordatlantik kommend bis weit in den
Nordwesten Russlands erstreckt. Mal etwas mehr, mal etwas weniger kurze Wellen
werden permanent nordostwärts durchgeschleust und sorgen dabei für einen
wechselhaften und zunächst auch noch milden Witterungsabschnitt, bevor der
"Hase" zu Wochenbeginn einen fiesen Haken schlägt und uns eindrucksvoll vor
Augen führt, dass man sich weder auf den meteorologischen, noch auf den
kalendarischen Frühling verlassen kann.

Bevor es aber soweit ist, gilt es erstmal die heutigen Abläufe sowie die der
nächsten Tage zu skizzieren, womit wir bei der Bodendruckverteilung wären. Die
ist eigentlich relativ einfach gestrickt: vom mittleren Nordatlantik bis weit
nach Fennoskandien hinein eine ganze Kaskade von Tiefdruckgebieten
(Familienunternehmen HILMAR), über Südeuropa ein flaches (und namenloses) Hoch
mit etwas über 1015 hPa und dazwischen eine zumindest zeitweise lebhafte
südwestliche Grundströmung. Kommen wir auf die Details, womit wie unweigerlich
bei der schleifenden respektive leicht wellenden Kaltfront wären, die diagonal
von Südwest nach Nordost über Deutschland liegt. Im Grunde hat die Front ihren
Titel überhaupt nicht verdient, denn kaum einer der fronttypischen Marker lässt
sich auf den Wetterkarten finden. Keine vernünftigen thermischen Gegensätze (vor
allem am Boden nicht) und somit keine Baroklinität, kein Windsprung, kein
postfrontaler Druckanstieg und, und, und. Analysiert wird die Kaltfront, die im
Norden übrigens als Okklusion in die HILMARS hineinläuft, im Wesentlichen am
Feuchteband, das sich leidlich im Radar erkennen lässt.

Im Laufe des Tages zieht an der Front (die wir der Übersicht halber weiterhin so
nennen) eine ganz flache Welle durch, die - zumindest mit dem
Meteorologenmikroskop - auch in der Höhenströmung erkennbar ist. Dabei wird von
Frankreich her eine weitere Portion stratiformen Regens überwiegend geringer
Intensität von Südwest nach Nordost durchgeschleust, wobei sich der Regen immer
weiter abschwächt. Aufsummiert mit dem aktuellen Regen kommen über den Tag kaum
mal mehr als 5 l/m² zusammen. Noch weniger bis gar nichts fällt im äußersten
Süden und Südosten, wenn man so will auf der präfrontalen Seite (T850 heute
Mittag 5 bis 9°C => bis zu 20°C), wo sich trotz zahlreicher vorhandener hoher
und mittelhoher Wolken auch mal ein paar Aufhellungen, vielleicht sogar
Auflockerungen die Ehre geben.

Eine weitere, etwas augenscheinlichere Welle (Boden und Höhe) ist aktuell dabei,
auf der "kalten" Seite (beim Begriff "kalt" bekommt man angesichts
apostrophierter Höchstwerte zwischen 10 und 16°C rote Ohren, aber sagt man halt
so), von der Nordsee und den Niederlanden nach Nordosten abzulaufen. Sie
spiegelt sich im Radar sehr schön in Form einer relativ diskreten, teils
gewittrigen Schauerlinie wider, die heute Morgen und am Vormittag über
Norddeutschland ostwärts schwenkt und im Grunde die Vorderseite des kurzwelligen
Höhentrogs markiert (und damit nahezu orthogonal zur Konvergenz in der Analyse
steht, die die Bodentrogachse markiert). Die Durchmischung in der unteren
Troposphäre ist gut bis hervorragend, weshalb in Verbindung mit Konvektion Böen
8 Bft keine Überraschung sind. Ganz im Norden, wo das Maximum der Höhenwinde
liegt (850 hPa bis 45 Kt, 925 hPa bis 40 Kt) ist sogar eine glatte Sturmböe 9
Bft möglich. Nach Abzug der Welle gelangt etwas trockenere Luft in den
Nordwesten. Außerdem nähert sich von Südwesten ein flacher Rücken, der für eine
gewisse Stabilisierung sorgt. Kurzum, die Schaueraktivität geht im Tagesverlauf
nicht gänzlich in die Knie, erhält aber einen spürbaren Dämpfer.

Bliebe abschließend noch der Wind, im Grunde dem heutigen Hauptthema, zumindest
aus warntechnischer Perspektive. Der zieht aus Südwesten kommend mit
Unterstützung des Tagesgangs von den Küsten bis in die mittleren Landesteile
sowie in den meisten Hochlagen (nicht Alpen und Südosten) für einige Stunden an
und erreicht dabei Böen der Stärke 7 Bft, vereinzelt 8 Bft, im Norden aus den
schon genannten Gründen lokal auch mal 9 Bft. In exponierten Hochlagen stehen
Böen 8 bis 10 Bft auf der Karte. Spätestens in den Abendstunden, z.T. aber auch
schon am Nachmittag lässt der Wind vor allem im Tiefland wieder nach.

In der Nacht zum Freitag tritt die nächste Welle auf den Plan, die so auffällig
ist, dass sie sogar einen Namen bekommen hat: Gott zum Gruße JOHANNES. Bereits
in der Nachtanalyse von heute 00 UTC ist die Welle noch weit draußen über dem
Atlantik westlich der Iberischen Halbinsel zu erkennen. Gegen Mitternacht
erreicht sie etwa den Ostausgang des Ärmelkanals bzw. die südwestliche Nordsee,
um bis zum Morgen weiter in Richtung Deutsche Bucht/Kimbrische Halbinsel zu
ziehen. Noch immer hat GFS ein erhöhtes Interesse daran, die Welle zu einem
kleinen Sturmtief zu entwickeln, während sie in den meisten anderen Simulationen
offen bleibt.

Wie auch immer, Fakt ist, dass nach Durchzug des o.e. flachen Rückens die
schleifende "Front" bei uns aus ihrer Schläfrigkeit erweckt und zu einer
Warmfront umgewandelt wird, die sich auf dem Weg nach Norden macht. Dadurch
gelangen weite Teile des Landes vorübergehend in den Warmsektor, der zwischen
der Warmfront und der in den frühen Morgenstunden auf den Westen übergreifenden
(neuen) Kaltfront aufgespannt wird. Dabei passieren im Wesentlichen zwei Dinge.
Erstens breitet sich von Frankreich, Benelux und der Nordsee her neuer Regen
aus, der zunächst stratiformer Natur ist, bevor er gegen Morgen im Westen
zusehend konvektive Verstärkungen erfährt. Da die präfrontal einfließende
Luftmasse mit PPWs über 20 mm ziemlich feucht ist und zudem ein neuerlicher
KW-Trog mit schönem PVA-Maximum den Weg zu uns findet, verwundert es nicht, dass
zwischen SH/Nordsee und RP/Saarland gebietsweise 5 bis 10, lokal (Stau) bis zu
15 l/m² innert weniger Stunden zusammenkommen können. Deutlich geringer fallen
die Mengen im Osten und Süden aus, wo maximal 1-2 l/m², teils aber auch nix bzw.
nur homöopathische Dosen angesagt sind.

Zweiter Punkt neben dem Regen ist der Wind, der nach einer abendlichen bzw.
frühnächtlichen Kunstpause im Westen wieder Fahrt aufnimmt. Vor der Kaltfront in
stabiler Schichtung auf südliche Richtungen rückdrehend vor allem in höheren
Lagen und im Lee (7-8 Bft), dahinter mit Drehung auf Südwest auch im Tiefland.
Präfrontal zieht zudem noch ein Low-Level-Jet durch mit Spitzen bis 55 Kt auf
850 hPa, was dem Brocken orkanartige Böen 11 Bft, evtl. sogar eine "kleine" 12
Bft bringt.

Überflüssig zu erwähnen, dass die Nacht angesichts der geschilderten
Rahmenbedingungen frostfrei bleibt.

Freitag... setzt sich das dynamische Wetter fort. Dabei schwenkt nicht nur der
KW-Trog ost-nordostwärts durch, auch die Kaltfront hat es ziemlich eilig, unser
Land zu überqueren. Mit ihr verlagert sich auch der frontale Regen ziemlich
zügig nach Osten, so dass zum mittäglichen Kantinengang schon weitgehend Schicht
im Schacht ist. Einzig an der Grenze zu Polen sowie im Süden (vor allem in
Bayern), wo die Front etwas zurückhängt, regnet es dann noch. Am Alpenrand und
auch in Niederbayern werden vor der Front sogar einzelne Gewitter angeboten,
allerdings ist fraglich, ob die simulierte schmale CAPE-Fläche dafür tatsächlich
ausreicht.

Weit sicherer ist, dass hinter der Front ein Schwall Meeresluft subpolaren
Ursprungs einströmt (T850 4 bis 0°C), die über dem Atlantik einen großen Bogen
um die Familie HILMAR schlagen musste und entsprechend aufgewärmt bei uns
ankommt. Außerdem ist sie für eine marin geprägte Luftmasse ziemlich trocken
(PPW zwischen 15 und 10 mm, spez. Grundschichtfeuchte nur um 5 g/kg), so dass
trotz vorhandener Labilität (Rückgang T500 im Norden und Westen auf -25 bis
-30°C) nur eine gedämpfte Schauer- und Gewitteraktivität zu erwarten ist. Ganz
ohne wird es sich aber nicht ausgehen, wobei in Verbindung mit der Konvektion
schnell mal eine Böe der Stärke 8 Bft mit dabei sein kann. Bei klassisch
wechselnder Bewölkung mit einigen sonnigen Nadelstichen wird es im Westen und
Nordwesten regionsweise aber auch trocken bleiben

Und sonst noch so? Klaro, der Wind. Der haut morgen ganz ordentlich auf den
Putz. Zum einen haben wir einen grundsoliden Gradienten, zum anderen stellen
(Trocken)Labilität und Tagesgang eine optimale Ergänzung dar, so dass der
Südwest- bis Westwind landesweit zu spüren sein wird. Verbreitet stehen Böen der
Stärke 7 Bft, exponiert 8 Bft auf dem Zettel. Die EPSe von ICON zeigen jeweils
ein Windminimum im Osten und Südosten, allerdings gibt es innerhalb des
numerischen Parlaments auch andere Meinungen, was eine genaue räumliche Prognose
aus heutiger Sicht schwer macht. Dass der Wind in exponierten Höhenlagen stärker
ausfällt, auf dem Brocken sogar bis 11 Bft, ist offensichtlich.

Offensichtlich ist auch, dass es mild bis sehr mild bleibt. Okay, an der Nordsee
sind es nur rund 10°C, aber sonst steigt die Temperatur auf 13 bis 20°C mit den
niedrigsten Werten im NW und den höchsten im SO.

In der Nacht zum Samstag erreicht uns von Frankreich her der nächste Höhentrog,
der deutlich ausgeprägter daherkommt als seine Vorgänger. Zwar kühlt die Luft
gesamttroposphärisch ab (T500 um -29°C, T850 um -1°C), bleibt durch den langen
West-Südwestfetch aber weiterhin recht mild. Auf der Südflanke der nach wie vor
nördlich von uns liegenden Tiefdruckzone (Hauptkerne um 00 UTC über Nordengland
und eingangs des Finnischen Meerbusens) gibt auch der Südwestwind nicht auf.
Nach einer abendlichen Ruhephase frischt er im Laufe der Nacht im Westen und
Südwesten wieder auf (7-8 Bft), was vor allem der Annäherung eines breiten
Bodentrogs inkl. zunehmender Isobarenkompression geschuldet ist.

Darüber hinaus reichen Labilität und Höhentrog aus, substanziell gegen den
Tagesgang anzustinken. Meint, es muss quasi die ganze Nacht über mit Schauern
bzw. schauerartigem Regen, vereinzelt auch kurzen Gewittern gerechnet werden.
Dabei sinkt die Schneefallgrenze allmählich auf rund 1000 m ab, was
warntechnisch aber noch keine Konsequenzen nach sich zieht.

Samstag... setzt das Wetter voll auf Attacke, was man sich auch von der
deutschen Nationalmannschaft im abendlichen Testspiel vs. wendige Südamerikaner
aus Peru wünscht. Obwohl noch März, kann durchaus von windigem bis stürmischem
und wechselhaftem Aprilwetter gesprochen werden. Der Ablauf in aller Kürze: Der
Höhentrog schwenkt zügig von West nach Ost, während das Bodentief - es müsste
HILMAR der Erste sein, aber bei den Burschen weiß man nicht so recht - via
nördliche Nordsee gen Skagerrak/Südschweden zieht. Auf der Südflanke schwenkt
ein sehr breit angelegter Bodentrog durch, der für eine erkennbare
Gradientverschärfung sorgt. Diese gepaart mit Labilität sind wie geschaffen für
eine veritable Starkwindlage mit stürmischen Elementen. Ohne Details muss am
Samstag verbreitet mit Böen 7-8 Bft bis in tiefe Lagen gerechnet werden, einzig
den Nordosten scheint es nicht ganz so hart zu erwischen. Exponiert (z.B.
südliches Alpenvorland mit Leitplanke) ist auch mal ein "9" am Start, in
exponierten stehen 9 bis 10 Bft, vereinzelt vielleicht 11 Bft auf der Karte.
Dazu gibt es ´ne ordentliche Packung Schauer, teils mit Graupel sowie kurze
Gewitter. Ganz im Norden sowie in Staulagen sind durchaus bis zu 10 l/m² in
Summe möglich. Meist liegen die Mengen aber darunter, weil die einfließende
Luftmasse nach wie vor nicht überbordend feucht ist. Mit Tageshöchstwerten
zwischen 9 und 15°C neigt sich das Pendel zwar etwas nach unten, das dicke Ende
kommt aber erst zwei Tage später... (siehe Synoptische Übersicht Mittelfrist ab
heute Mittag).

Modellvergleich und -einschätzung
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Die Modelle sind sich in Bezug auf die Basisfelder weitgehend einig. Wind- und
Niederschlagsentwicklung weisen die üblichen Prognoseunschärfen auf. Für den
morgigen Freitag wird ein Wind-Warnmangement mit einer verbreiteten Basiswarnung
"gelb mit Häkchen" vorgeschlagen. Dazu im äußersten Norden sowie in höheren
Lagen "ocker", evtl. auch mit KF-Passage (kurzfristig und -zeitig).
Eine länger andauernde markante Regenwarnung (48 oder 72 h) drängt sich trotz
schwacher Signale im west- und südwestlichen Bergland nicht unbedingt auf.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann