DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

26-01-2023 09:01
SXEU31 DWAV 260800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 26.01.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: NEz (Nordost zyklonal)

BEATE The Bridge vs. LIAM The Cyclone - vorübergehender Abbau der Hochbrücke
durch maskierte Kaltfront, dabei gebietsweise gefrierender (Niesel)Regen mit
Glatteis. Später eher in Schnee übergehender Niederschlag bei allerdings nur
geringer Intensität.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... Nachdem jetzt für einige Tage (genau genommen seit Wochenanfang)
ein langgestreckte Hochdruckbrücke namens BEATE die atmosphärischen Geschicke in
unserem Lande gelenkt hat, scheint es nun an der Zeit zu sein, der guten BEATE
etwas Einhalt zu gebieten. Dafür auserkoren ist keine Geringerer als LIAM, die
#12 unter den diesjährigen benamten Tiefs. Das Tief ist soooo weit von uns
entfernt ist, dass man eigentlich nicht auf den Gedanken kommt, es könne uns
irgendetwas anhaben. Aktuell befindet es sich unweit von Nowaja Semlja, was
bekanntermaßen ja nicht gleich um die Ecke liegt. Und trotzdem gelingt es dem
Schlawiner, Aktien am deutschen Wettermarkt zu erwerben, womit wir bei der
zughörigen Kaltfront wären. Die braucht´s schon, um hier in Mitteleuropa ein
paar Akzente zu setzen. Aktuell erstreckt sie sich über tausende von Kilometern
ausgehend vom Tief selbst bis hinunter zur Biskaya bzw. dem nahen Atlantik, wo
sie umbiegt und in die Warmfront eines weiteren Tiefs - Gott zum Gruße MICHAEL -
über der Irminger See übergeht. Heute früh hat die Front von der Nordsee her den
äußersten Nordwesten des Landes erreicht, von wo aus sie sich in den nächsten
Stunden mühsam südostwärts schleppt. Passend zur Jahreszeit handelt es sich
zumindest in unsrer Region um eine sogenannte maskierte Kaltfront, deren
postfrontal einfließende polare, durch die vorgelagerten Seegebiete aber
erwärmte Meereskaltluft wärmer ist als die vorgelagerte "Hausmacherkaltluft"
(gemeint ist die im Hoch gealterte Kaltluft kontinentaler Prägung). Die
Abkühlung erfolgt erst in höheren Luftschichten (z.B. T850 Rückgang von etwa
+1°C auf rund -3°C), weshalb es eben auch keine Warmfront ist.

Wie auch immer, die Front, die aufgrund eines markanten Windsprungs von SW auf N
sehr gut detektiert werden kann, arbeitet mit einem spitz zulaufenden Randtrog
zusammen, der ebenfalls von der Nordsee aus südostwärts schwenkt, das allerdings
in Zeitlupe. Beiden, Front und Trog, ist der Begriff Dynamik nicht allzu
geläufig und sie tun sich entsprechend schwer, gegen das Hoch und eine darüber
liegende schmale Potenzialbrücke anzustinken respektive gegenanzulaufen. Etwas
vorwärts geht es aber schon, so dass die Kaltfront heute Abend etwa eine Linie
Eifel/Hunsrück-Harzregion-Usedom erreicht. Immerhin verfügt der Randtrog auf
seiner Vorderseite über ein schmales, bandförmiges PVA-Maximum, das der Front
etwas Aktivität in Form leichter Niederschläge verleiht. Und genau da geht das
Problem los. Der Niederschlag fällt in der unteren Troposphäre durch eine
positiv temperierte Schicht (sogenannte "warme Nase"), die sich durch das
Absinken der vergangenen Tage und dem daraus resultierenden Aufbau einer
Inversion über der kalten Grundschicht gebildet hat. Unten kommt demzufolge
häufig leichter Regen oder Nieselregen an, der dort auf Frostluft und vielfach
negativ temperierte Beläge und Gegenstände trifft. Und schon haben wir den
Salat, das Ganze gefriert und es wird glatt, wenn auch nicht überall. Nur um es
kurz einzuordnen. Wir hatten diesen Winter im Dezember schon ganz andere
Glatteislagen (höhere Niederschlagsintensitäten, tiefgefrorene Böden), trotzdem
sollten wir die Lage nicht unterschätzen. Auch wenn die stündlichen RR-Raten
meist unter 1 mm liegen, kann es streckenweise (vor allem auf Nebenstrecken)
ziemlich glatt werden. Heute Morgen ist das insbesondere im Frontbereich sowie
unmittelbar davor der Fall, wo entsprechend markante Glättewarnungen laufen.
Wie so oft bei ähnlich gelagerten Wetterlagen gibt es eben dem frontalen Bereich
noch eine zweite Baustelle, wo Obacht gefordert ist. Diese betrifft den
gesamten, quasi durchweg negativ temperierten präfrontalen Bereich, wo durch die
Hebung die kalte Grundschicht etwas gestreckt wird und aus dem Hochnebel heraus
leichter, z.T. kaum messbarer und im Radar schlecht bis gar nicht erkennbarer
Nieselregen erzeugt wird, der natürlich auch gefriert, wenn er unten aufschlägt.
Sehr unangenehm so eine Situation, weil aus der Büroperspektive eine
differenzierte Einschätzung der Verteilung und des Impacts der Niederschläge nur
schwer möglich ist und man teilweise ins Blaue warnt. Erschwerend kommt hinzu,
dass z.T. auch noch Schnee bzw. Schneegriesel am Start, auch wenn der manchmal
gar nicht in unsere konzeptionellen Modellgedanken passt (keine Eiskeime, weil T
über -10°C).

Nun aber genug der Jammerei, fehlt doch noch die Wetterentwicklung der nächsten
Stunden. Dass die Front langsam südostwärts vorankommt, wurde bereits
kommuniziert. Gleiches gilt für das frontale Niederschlagsband, in dem in
nächsten Stunden vor allem am Vorderrand zunehmend die Schneephase ins
Spielgeschehen eingreifen sollte. Grund ist eine kontinuierliche Tilgung der
warmen Nase, die bis spätestens heute Abend komplett verschwunden ist. Viel
Schnee fällt allerdings nicht, vielleicht reicht es in einigen Berglagen mal für
1 bis maximal 3 cm. So ganz entlässt uns das Thema "gefrierender Nieselregen mit
Glatteis" aber noch nicht aus der Verantwortung. Vor allem heute Vormittag,
bedingt (Bergland, Süden) aber auch noch am Nachmittag muss weiterhin aufmerksam
gemonitort (Crowd-Sourcing-Daten können dabei sehr helfen) und die Warnungen
entsprechend angepasst werden.

Ansonsten bleibt nur noch festzuhalten, dass sich die Glättesituation von
Nordwesten sukzessive entspannt (Milderung + Abtrocknung) und die Wolkendecke
Richtung Nordsee sogar etwas auflockert. Dagegen bleibt es vornehmlich im
höheren Bergland häufig neblig durch aufliegende Wolken. Während die Temperatur
vom Ems- bis hoch nach Nordfriesland auf 5, 6, vielleicht sogar 7°C plus
ansteigt, werden sonst -2 bis +4°C erreicht. Vor allem im Bergland hält sich
leichter Dauerfrost, teils sogar unter -2°C.

In der Nacht zum Freitag kommt die Front kaum noch nach Südosten voran. Im
Gegenteil, sie muss arg ums Überleben kämpfen, weil der überlagerte KW-Trog die
Grätsche macht und der Luftdruck von Norden her wieder ansteigt. Das führt dann
auch dazu, dass die Bewölkung im äußersten Norden auflockert und die Temperatur
auf Gefrierpunktnähe oder etwas darunter zurückgeht (potenzielle Reifglätte
inkl.). Ansonsten kommt es an der schwächelnden Front etwa von RP und NRW bis
hoch nach Vorpommern zu weiteren leichten Niederschlägen, die teils als Regen
(vor allem am nordwestlichen Rand), teils als Schnee bis in tiefe Lagen fallen.
Von "nur" etwas Schneematsch bis hin zu 3 cm in einigen Mittelgebirgslagen ist
alles drin, und auch da, wo es nicht oder nur wenig schneit, kann es glatt
werden durch gefrierende Nässe.

Abgesetzt vom frontalen Geschehen gilt es auch, den Süden und Südosten etwas
genauer unter Augenschein zu nehmen. Dort schickt sich ein kleiner KW-Trog, der
um das nach wie vor über dem zentralen Mittelmeer präsente Höhentief kreiselt,
an, uns von Osten her einen Besuch abzustatten. Dabei wird vorderseitig im
Wesentlichen durch PVA etwas Hebung generiert, die sich in leichten
Niederschlägen ergießt. Aufgrund zunehmender Anfeuchtung mit der Höhe, handelt
es sich meist um Schnee, während die gefrierende Flüssigphase zusehends in den
Hintergrund tritt. Für mehr als 0,X bis 1 cm, lokal vielleicht um 2 cm dürfte es
aber nicht reichen.

Thermisch bewegen wir uns in der kommenden Nacht (was heißt hier bewegen,
förderlicher wäre ein erholsamer Tiefschlaf) zwischen +2°C unter Wolken im
Nordwesten und lokal -8°C im Bergland Süddeutschlands.

Freitag... schwenkt der o.e. KW-Trog über die Südhälfte westwärts, während sich
im Norden ein weiterer, vom nahen Atlantik bis nach Skandinavien gerichteter
Rücken respektive Höhenkeil nähert. Dieser bewirkt, wenn man so will, eine
Wiederbelebung der Brücke der vergangenen Tage. Jedenfalls zeigt die
Prognosekarte von morgen Mittag eine längliche Bodenhochdruckzone, die sich
ausgehend vom Azorenhoch über dem Ostatlantik bis in den baltischen Raum
erstreckt. Ihr Wirkungsradius reicht bis in den Norden Norddeutschlands, wo es
einen nicht unfreundlichen Freitag mit aufgelockerter Bewölkung und z.T.
längeren Sonnenschein gibt.

Ansonsten bleiben die Schotten aber weitgehend dicht und etwa vom südlichen Teil
der Norddeutschen Tiefebene über die Mitte bis hinunter in den Süden kommt es
zeitweise zu leichten Niederschlägen (ausgelöst entweder durch den KW-Trog oder
durch die stationäre, sich tapfer gegen das Ableben wehrende Front. Während in
tiefen Lagen von nassem Schnee über Schneeregen mit (im Tagesverlauf zunehmend)
Regen nahezu die gesamte Palette ausgereizt wird, sollte es bei T850 zwischen -4
und -9°C oberhalb 200 bis 400 m nur noch schneien. Viel Neuschnee steht aber
nicht auf der Karte. Bei nord-nordöstlicher Anströmung sind in Staulagen einiger
Mittelgebirge (u.a. Harz, Erzgebirge, Eifel) sowie am Alpenrand 1 bis maximal 5
cm drin. Gefrierender (Niesel)Regen dürfte aufgrund der "Normalisierung" der
Schichtung sowie einer ausreichend mächtigen Feuchtesättigung mit der Höhe kein
Thema mehr sein.

Die Temperatur erreicht Höchstwerte zwischen -1 und +5°C mit den Spitzen im
äußersten Westen und Nordwesten. Im Bergland herrscht durchweg leichter
Dauerfrost.

In der Nacht zum Samstag gelangt der Norden mehr und mehr in den Bereich der
südwärts wandernden Hochdruckzone bzw. auf die Vorderseite des nachgeordneten
Höhenkeils. Gebietsweise lockert die Bewölkung auf, stellenweise bildet sich
Nebel. Außerdem sinkt die Temperatur verbreitet in den leichten Frostbereich,
was bei längerem Aufklaren lokale Reifglätte auf den Plan ruft (Feuchtigkeit ist
durch die vorherige Anströmung von See her ausreichend vorhanden). S

In der Mitte und im Süden gestaltet sich die Nacht etwas zyklonaler als im
Norden. So kommt es auf der Nord-Nordwestflanke des umfangreichen und
hochreichenden Tiefkomplex über Südeuropa zu leichten Hebungsprozessen
respektive leichten Niederschlägen, die bis ganz runter als Schnee fallen
dürften. In einigen Nordoststaulagen der Mittelgebirge (vornehmlich Harz,
Thüringer Wald und Erzgebirge) sind weitere 1 bis 3, vereinzelt 5 cm Neuschnee
möglich. In den übrigen Gebieten hält sich die Neuschneeauflage in Grenzen. Mit
Ausnahme einiger Niederungen oder Flusstäler West- und Südwestdeutschlands sowie
direkt an der See geht die Temperatur in den leichten, im Bergland mäßigen
Frostbereich zurück.

Samstag... kippen der Höhen- und der Bodenkeil weiter in Richtung Süd-Südost. Am
Abend verläuft die Divergenzachse grob vom Münster- bis zum Vogtland. Insgesamt
nimmt der antizyklonale Einfluss zu, was sich in aufgelockerter Bewölkung im
Norden und in der Mitte widerspiegelt. Im Süden und Südosten überwiegt
allerdings weiterhin dichte Bewölkung, aus der es hier und da noch etwas
schneit. Viel kommt aber nicht mehr runter und zum Nachmittag/Abend geht der
Schneefall dann ohnehin in die Knie.

Kurz noch mal in den Norden, den äußersten Norden, wo sich im Tagesverlauf -
natürlich von Norden - eine schwache Kaltfront nähert. Absender ist übrigens das
inzwischen ins Seegebiet südlich von Spitzbergen gezogene Tief MICHAEL. Die
Wetterwirksamkeit der Front ist aufgrund der Tatsache, dass sie in stark
antizyklonalem Umfeld agieren muss und quasi vom Höhenkeil überlagert wird, sehr
bescheiden. So werden zwar dichtere Wolken aufziehen, Niederschlag fällt aber
bis zum Abend so gut wie gar nicht. Die Temperatur steigt auf 0 bis 5°C, im
Süden (örtlich) sowie im Bergland leichter Dauerfrost. Der Wind lebt im
Tagesverlauf aus Südwesten kommen an der Küste etwas auf, bleibt dabei aber noch
unterhalb der Warnschwellen. Im Südwesten kommt etwas Bise auf (Nordostwind),
der auf dem Feldberg im Schwarzwald vielleicht mal eine stürmische Böe 8 Bft
induziert.

In der Nacht zum Sonntag macht die Front noch etwas Boden nach in Richtung Mitte
gut, ohne dabei aber nennenswerte Duftmarken auszusondern. Wahrscheinlich wird
sie sich in stark frontolytischem Umfeld sogar auflösen. Allerdings gelangt der
Norden bereits auf die Vorderseite der nächsten Störung (weitere Tiefs um Island
herum), was neben dichten Wolken auch etwas Regen oder Schnee bringt. Zur Mitte
und nach Süden hin lockert es teilweise auf, örtlich bildet sich Nebel. Der
SW-Wind nimmt an der Küste noch etwas Fahrt auf, so dass in den Morgenstunden
erste 7er-Böen möglich sind. Ganz im Norden bleibt es frostfrei, ansonsten
stehen Tiefsttemperaturen 0 und -5°C, in der Mitte und im Süden bei längerem
Aufklaren -5 bis -10°C auf dem Zettel.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die Basisfelder werden modellübergreifend kongruent gerechnet, substanzielle
Abweichungen sind nicht erkennbar. Allerdings macht das die Einschätzung
insbesondere des heutigen Niederschlagsgeschehens nicht einfacher. Lagen wie
diese, wo alle Niederschlagsphasen dicht beieinanderliegen und zudem die
Intensitäten schwach sind, sind einfach nur unangenehm und vom warmen Bürostuhl
aus schwierig einzuschätzen. Von daher bleibt uns - was die nächsten Stunden -
nur, Zug um Zug und auf Sicht zu handeln mit dem Wissen, dass uns der Tagesgang
zusehends in die Karten spielt. In den nächsten Tagen sollte das Thema
"gefrierender (Niesel)Regen mit Glatteis" weitgehend erledigt sein.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann