DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

16-11-2022 09:30
SXEU31 DWAV 160800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 16.11.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: HFz (Hoch Fennoskandien zyklonal)

Sich anbahnendes Luftmassenduell über Deutschland - zunächst noch relativ mild,
zum Freitag von Osten spürbar kälter. An der See häufig windig bis stürmisch,
ansonsten unbeständig.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... hat das hochreichende und blockierende Hoch ERIK seinen Platz über
Fennoskandien offensichtlich gefunden. Zumindest macht der keine Anstalten,
seine Position nennenswert zu verändern, was im Hinblick auf die kurz-, aber
auch auf die mittelfristige Entwicklung bei uns nicht ohne Bedeutung ist. Ein
zaghafter Blick in Richtung Wochenende zeigt, dass sich das Hoch noch verstärkt,
was ebenso nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Doch zunächst erst mal zurück
ins Jetzt, wo es noch weitere Protagonisten auf der Wetterkarte vorzustellen
gilt. Da wäre zunächst mal der ehemalige Hurrikan Ex-NICOLE, der inzwischen als
steuerndes Zentraltief der mittleren Breiten das Seegebiet südlich Islands
erreicht hat und dort einen Kerndruck nahe 960 hPa aufs Barometer bringt.
Ähnlich wie ihr Gegenspieler ERIK hält Ex-NICOLE nicht viel von Bewegung oder
anders ausgedrückt, das Tief wird Position und Intensität während der nächsten
24 Stunden kaum verändern. Anders die Situation einige hundert Kilometer weiter
südlich, womit wir bei Hauptdarsteller #3 wären. Dort läuft derzeit eine flache
Welle namens REGINA auf den Westeingang des Ärmelkanals zu, wo sie sich ab dem
Nachmittag aufgrund ihrer günstigen Exposition zur Frontalzone (left exit) zu
einem kleinen 980-hPa-Randtief entwickelt. Die Vita von REGINA ist insofern
bemerkenswert, als dass sie in den vergangenen Tagen schon einmal den Status
eines abgeschlossenen Tiefs innehatte, sich dann abgeschwächt hat und nun wieder
reaktiviert wird.

Heute tagsüber macht sich die Welle bzw. das Randtief aber noch nicht bei uns
bemerkbar. Vielmehr hat sich hier die Okklusion von Ex-NICOLE mit dem
zugehörigen frontalen Regengebiet eingefunden. Unterstützung bekommt die
Okklusion von dem nachfolgenden, negativ geneigten Höhentrog, der sich ausgehend
vom Zentraltief bis nach Mitteleuropa erstreckt. In den nächsten Stunden
schwenken Front, Trog und Regen noch etwas ost-nordostwärts, bekommen dabei aber
zunehmend Schwierigkeiten, sich gegen die Blockadewirkung des fennoskandischen
Hochs durchzusetzen. In Folge wird das Regengebiet immer schmaler und verliert
auch an Intensität. Trotzdem, im Norden und Nordwesten kommen heute verbreitet 5
bis 10, teils sogar um 15 l/m² zusammen, während weiter südlich meist keine 5 mm
in die Töpfe fallen Der Nordosten, also weite Teile BBs und MVs, werden gar
nicht vom Regen erreicht, hier bleibt es weitgehend trocken, wenn auch die
Bewölkung nach Nebelauflösung stetig zunimmt.

Im Westen und Südwesten, wo die Front bereits durch ist sowie später in der
Mitte und im gesamten Süden strömt ein Schwall (deutlich) erwärmter
Meereskaltluft subpolaren Ursprungs ein (T850 1 bis 4°C), in der die Wolkendecke
Lücken aufweist und mitunter ein paar direkte Sonnenstrahlen den Weg zur
Erdoberfläche finden. Mit leichter Progression des Höhentrogs gelangt in den
Westen ein Schluck höhenkalter Luft (T500 um -25°C), was eine Labilisierung und
die Bildung einzelner Schauer nach sich zieht. Aufgrund der sehr soliden
Durchmischung durch den Süd-Südwestwind steigt die Temperatur in der
Südwesthälfte auf 10 bis 14, im Oberrheingraben lokal bis zu 15 oder 16°C. In
der Nordosthälfte (die Darstellung mit den beiden Hälften ist schematisch und
vereinfacht, im Grenzbereich gibt es freilich kleinere Abweichungen) wird mit
dem Ost-Südostwind merklich frischere Luft advehiert, in der lediglich 5 bis
10°C maximal auf der Karte stehen.

Apropos Wind, der weht vor allem an der Küste lebhaft und böig aus Ost bis
Südost mit Böen 7 Bft, vornehmlich auf Helgoland sowie an der Ostseeküste
Schleswig-Holsteins 8 Bft. Nur kurzzeitig lässt der Wind an und auf der Nordsee
am Nachmittag und Abend im Zuge einer postfrontalen Mini-Aufweichung des
Gradienten etwas nach.

In der Nacht zum Donnerstag verliert die inzwischen stationäre Okklusion im
Norden und Osten weiter an Wirksamkeit, spätestens in der zweiten Nachthälfte
hört es ganz auf zu regnen. Für Nachschub ist aber bereits gesorgt, womit wir
wieder bei REGINA wären. Das kleine Randtief überquert im Laufe der Nacht den
Süden Englands, das zugehörige Frontensystem Teile Frankreichs. Interessante
Randnotiz: Auf der unmittelbaren Südflanke des Kerns werden auf 925 hPa bis zu
60 Kt simuliert, die dazu beitragen, dass es auf dem Ärmelkanal sowie in Teilen
Nordfrankreichs sehr, sehr stürmisch wird. Bei uns in Deutschland wird es
ebenfalls windiger, doch zunächst zum Regen. Dem Tief weit vorauseilende WLA im
Verbund mit PVA vorderseitig eines auf den Kontinent zusteuernden Randtrogs
lassen noch vor Mitternacht das nächste skalige Regengebiet auf den Westen und
Südwesten übergreifen, von wo aus es sich bis in die mittleren Landesteile
vorarbeitet. Aufsummiert bis zum Morgen kommen im Westen gebietsweise 5 bis 10,
in den Mittelgebirgen stellenweise um oder gar etwas über 15 l/m² zusammen. In
einem Streifen zwischen dem neuen und dem alten Regen - er reicht etwa von
Ostfriesland bis hinunter nach Ostbayern - bleibt es weitgehen trocken, was nach
wie vor auch für Vorpommern und den Norden BBs gilt. Im südöstlichen Bayern kann
sich anfangs sogar Nebel bilden, bevor aufziehende Wolken mit Gegenstrahlung
eine weitere Ausbreitung respektive Verdichtung verhindern.

Zurück zu Wind, der im Laufe der Nacht insbesondere in der Nordwesthälfte
zulegt, wenn auch ein bis zwei Ligen weniger als über dem Kanal und in
Nordfrankreich. So werden in tiefen Lagen vermehrt Böen 7 Bft, im Bergland 8
Bft, auf exponierten Kämmen und Kuppen 9 Bft, vereinzelt 10 Bft erreicht. An der
Küste sowie in Teilen des küstennahen Binnenlands stehen Böen 8 Bft, an und auf
der Nordsee sowie zwischen Fehmarn und Flensburger Förde teils 9 Bft, auf
Helgoland 10 Bft auf der Karte.
Im äußersten Nordosten (Vorpommern bis zur Uckermark) kühlt es auf Werte um den
Gefrierpunkt ab, sonst bleibt es meist frostfrei.

Donnerstag... erreicht das kleine Randtief die südwestliche Nordsee, während das
teilokkludierte Frontensystem bei uns aufschlägt. Es ist weniger okkludiert als
die heutige Front, was an einer flachen, auf Frankreich zuziehenden Welle liegt,
die die Kaltfront in ihrem Südteil zurückhält. Hinten Bremse, vorne Blockade,
kein Wunder, dass auch dieses System auf dem Weg nach Ost-Nordost zunehmend ins
Stocken gerät und der zugehörige Regen sehr wahrscheinlich nicht den äußersten
Nordosten (Vorpommern, Uckermark) erreicht. Dafür kommen im Nordwesten sowie in
Teilen der Mitte stattliche 5 bis 10, gebietsweise um 15 l/m² innert 12 Stunden
zusammen. Dafür bleibt es im Südwesten für einige Stunden häufig trocken und die
Wolkendecke lockert ebenso wie im Alpenvorland mitunter auf. In den Westen
gelangt postfrontal eine frische Portion subpolarer Meeresluft (T850 um 3°C),
die alles andere als kalt, dafür aber leidlich labil geschichtet ist (T500 um
-25°C). Darin bilden sich bis in die Mitte ausgreifende Schauer, sogar ein
kurzes Gewitter kann nicht ganz ausgeschlossen werden (skinny Cape bis etwa 500
hPa).

Der Wind - in der Nordosthälfte aus Ost bis Südost, sonst aus Süd bis Südwest -
nimmt mit Annäherung des Tiefs am Vormittag noch etwas zu, was nun auch dem
nord- und westdeutschen Tiefland die eine oder andere stürmische Böe 8 Bft
bringt. An der Küste bleibt es stürmisch mit klaren "Vorteilen" für die Nordsee,
wo auf offener See sowie auf Helgoland sogar orkanartige Böen 11 Bft möglich
sind. Im höheren Bergland sind außer im Südosten je nach Exposition Böen 8 bis
10 Bft zu erwarten. Im Tagesverlauf weicht der Gradient postfrontal etwas auf,
was insbesondere im Binnenland - abgesehen vielleicht von konvektiven Böen -
eine spürbare Windabnahme zur Folge hat. An und auf See sowie im höheren
Bergland bleibt es stürmisch, wenn auch mit langsam abnehmender Intensität.
Temperaturmäßig bleibt es beim Duell der beiden Luftmassen - SW-Hälfte mild und
maritim, NE-Hälfte kalt und kontinental -, wobei sich die Gegensätze noch etwas
verschärfen. So werden zwischen Berlin, Rostock und Rügen z.T. nicht mal mehr
5°C erreicht, während der Südwesten (BaWü) punktuell auf hemdsärmelige 15, 16
oder gar 17°C kommt.

In der Nacht zum Freitag zieht das Tief REGINA dicht vor der englischen Ostküste
gen Norden. Das zugehörige Frontensystem setzt seinen Okkludierungsprozess über
Deutschland weiter fort, wobei die Front diagonal von Nordwest nach Südost mehr
und mehr zu einer quasistationären Luftmassengrenze mutiert. Auf der einen Seite
(Südwesten) erwärmte subpolare Meeresluft mPs, auf der anderen Seite (Nordosten)
aus dem Hoch ausfließende Subpolarluft xP mit leichtem Hang zur kontinentalen
Subpolarluft cP. Gestützt wird die Luftmassengrenze durch eine sich ausbildende,
von West-Nordwest nach Ost-Südost gerichtete Tiefdruckrinne, die vom o.e. Tief
ausgeht. In dieses System läuft in der Nacht von Frankreich her ein
Kurzwellentrog in die Südhälfte, der für einen weiteren Schub schauerartig
verstärkten Regens sorgt. Vor allem im Südwesten und in der Mitte soll es laut
der meisten Modelle ordentlich schütten, schwerpunktmäßig in den Mittelgebirgen.
10 bis 20, lokal um 25 l/m² innert 12 h stehen nicht nur einmal im Programmheft
und lokal geht es im Schwarzwald sogar an die 30-l/m²-Marke. Ob deswegen
schlussendlich eine Warnung herausgegeben wird, bleibt abzuwarten.

Tatsache ist, dass die Niederschläge unmittelbar an der Front immer schwächer
werden, wobei aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass ganz im Nordosten
schon mal die ersten Schneeflocken am Start sind. Auf alle Fälle geht die
Temperatur im äußersten Osten und Nordosten auf 0°C oder in den leichten
Frostbereich zurück, lokale Glätte - je nach Vorgeschichte - nicht ganz
ausgeschlossen. Mit zunehmender Entfernung zum abziehenden Tief verlieren
Gradient und Wind im Norden langsam aber sicher an Stärke. Trotzdem muss im
Küstenbereich noch längere Zeit mit Böen 7-8 Bft, anfangs 9 Bft um Ost gerechnet
werden. Im Süden bleibt der Südwestwind insbesondere in den Hochlagen prominent
und teils stürmisch unterwegs.

Freitag... wird es spannend, wenn nämlich die Kaltluft aus dem Osten Boden nach
Westen hin gutmacht - und zwar mehr Boden, als das auf Basis der gestrigen
Modellläufe zu erwarten war. Die Luftmassengrenze wird dadurch wieder etwas
zurück gen Südwesten gedrückt, wobei hinsichtlich der genauen Positionierung
modellübergreifend die Messen noch nicht final gelesen sind. Auf alle Fälle
deutet sich eine frontogenetische Situation an, die zunehmend den Löwenanteil
der synoptischen Hebungsprozesse übernimmt, während das Potenzialfeld mehr und
mehr deformiert wird und wir unter einen indifferenten Sattelpunksbereich
gelangen. Wie auch immer, es kommt zu weiteren Niederschlägen, die hauptsächlich
im Bereich der Luftmassengrenze respektive der o.e. Rinne fallen. Stationär
leichte bis mäßige Niederschläge plus KLA von Osten her - T850 geht im Nordosten
auf bis zu -7°C! zurück - sorgen auf der kalten Seite der Luftmassengrenze
zunehmend für eine quasi-isotherme Schichtung in der unteren Troposphäre unweit
des Gefrierpunkts. Mit anderen Worten, der Regen geht im Tagesverlauf teilweise
in Schnee über, der, bevor er irgendwo nennenswert liegenbleibt, sich erstmal
mit der warmen Vorgeschichte auseinandersetzen muss. Die Böden sind warm und
erzeugen einen veritablen Wärmestrom, der die Bildung einer Schneedecke
wahrscheinlich vielerorts erfolgreich zu verhindern weiß. Trotzdem, wenn es
stationär für mehrere Stunden leicht bis mäßig schneit, könnte es am Nachmittag
und Abend gebietsweise zumindest auf Grünflächen für eine dünne, teils matschige
Schneedecke reichen. Wo genau das der Fall sein wird, lässt sich heute aufgrund
der angesprochenen Modellunterschiede noch nicht belastbar beantworten. ICON
bietet einen von Ostsachsen bis in den Raum Hannover reichenden Streifen an, die
externen Modelle sehen diesen etwas weiter süd-südwestlich. Kurzum, der Raum für
Spekulationen ist aus verschiedenen Gründen (Modellunterschiede und -konsistenz,
Niederschlagsintensität,-abkühlung und -position, Wind, Intensität der KLA,
Bildung eines möglichen Teiltiefs an der LMG etc.) derzeit noch so groß, dass
man gespannt sein darf, was am Freitag am Ende dabei herauskommt.

Tatsache ist, dass der östliche Wind an der Küste flott unterwegs bleibt mit
Böen 7-8 Bft und auch südlich der Rinne sind vorübergehend Böen 7, Bergland 8
Bft, exponiert 9 Bft allerdings aus Südwest bis West möglich. Das
Temperaturniveau geht landesweit zurück, weist aber immer noch einen
ordentlichen Kontrast auf. 8 bis 12°C im Westen und Südwesten stehen 1 bis 4°C
im Nordosten gegenüber.

In der Nacht zum Samstag weitet sich die Kaltluft aus dem Osten noch etwas
weiter nach Westen und Südwesten aus. Im Bereich der Rinne respektive der LMG
kommt es zu weiteren Niederschlägen, teils als Schnee. Wo genau wie viel fällt
und was davon liegenbleibt - who know´s. Die Gefahr von Nachtfrost, stellenweise
sogar mäßig, steigt in der gesamten Nordosthälfte. Der Wind an der Küste nimmt
kontinuierlich ab.



Modellvergleich und -einschätzung
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Vieles an der abwechslungsreichen und nach hinten raus spannenden Wetterlage
wird in der Basis sehr ähnlich simuliert. Trotzdem fällt eine belastbare
Vorhersage insbesondere für den Freitag äußerst schwer. Die Gründe dafür wurden
im Text bereits angesprochen.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann