DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

23-09-2022 08:01
SXEU31 DWAV 230800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 23.09.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Von HM (Hoch Mitteleuropa) über TrW (Trog Westeuropa) hin zu TrM (Trog
Mitteleuropa)

Vom trägen STEFAN zur nicht minder trägen STEPHANIE - Ende der frühherbstlichen
Hochdrucklage mit Altweibersommerambiente hin zu einem unbeständigen,
mittelfristig recht niederschlagsreichen Witterungsabschnitt.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
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Freitag... Seit wenigen Stunden ist es offiziell: Nachdem wir bereits am ersten
September in den meteorologischen Herbst eingestiegen sind und spätestens seit
dem vergangenen Wochenende mit Zufuhr polarer Meeresluft auch die Atmosphäre
frühherbstliches Ambiente versprüht, sind wir nun auch im kalendarischen
respektive astronomischen Herbst angekommen. Damit ist der Sommer 2022 - einer,
der im Gedächtnis bleiben wird - offiziell vorbei. Wie die Natur auf diesen
Wechsel heute und am Wochenende reagiert, ist den kommenden Zeilen zu entnehmen.
Wer sich für die Entwicklung darüber hinaus interessiert, dem sei die heute
Mittag erscheinende Synoptische Übersicht Mittelfrist ans Herz gelegt.

Aktuell befinden wir uns noch in einem sehr ruhigen, antizyklonal geprägten
Fahrwasser, dass mit Fug und Recht (und scheinbar entgegen der obigen
Behauptung, der Sommer sei vorbei) als Altweibersommer bezeichnet werden kann.
Verantwortlich dafür zeichnet eine umfangreiche, von Südwest- über Mitteleuropa
bis hoch zur Barentssee reichende Hochdruckzone, deren Zentrum STEFAN heute
Mittag mit gar nicht mal so üppigen 1022 oder 1023 hPa über dem nördlichen
Balkan sowie dem östlichen Mitteleuropa liegt. Gestützt wird das Hoch von einem
leicht positiv geneigten Höhenrücken, der heute langsam über den Vorhersageraum
ost-südostwärts wandert. Eingebettet ist der Rücken in zwei fette Tröge, von
denen der östliche den Sommer gekillt und uns über mehrere Tage malträtiert hat.
Von diesem Exemplar ist, was uns angeht, nichts mehr zu erwarten, weshalb der
Blick auch ganz schnell nach Westen geht, wo #2 bereits in Lauerstellung liegt.
Aktuell erstreckt sich dieser recht breit konturierte LW-Trog von der
Grönlandsee bis hinunter zur Biskaya, von wo aus er nur äußerst zögerlich Boden
nach Osten hin gut macht. Auf seiner Vorderseite laufen immer wieder kurzwellige
Anteile nach Osten bzw. Nordosten ab, von denen das erste ernstzunehmende in der
kommen Nacht bei uns eintrifft. Dem Haupttrog vorgeschaltet ist eine schmale,
durchaus als Rinne zu bezeichnende Tiefdruckzone (STEPHANIE), die sich ausgehend
von einem Tief über der Framstraße über die Nordsee hinweg bis zur Iberischen
Halbinsel erstreckt. Eingelagert in die Rinne ist eine Kaltfront der Marke
"kommst du heute nicht, kommst du morgen" (und selbst das ist alles andere als
sicher). Das gradientschwache Umfeld, flache Wellen sowie die weitgehend
höhenströmungsparallele Exposition sind alles Argumente, die gegen eine
Verlagerung der über der Nordsee liegenden Front sprechen.

Und somit verbringen wird den heutigen Freitag zwischen dem STEFAN und der
STEPHANIE in einem sehr flauen barischen Umfeld, in dem Wind zum Fremdwort wird.
Dabei scheint - nachdem sich Nebel- und Hochnebelfelder aufgelöst haben -
vielerorts die Sonne. Insbesondere im Osten und Südosten passiert das relativ
ungehindert bzw. durch dünne Cirren hindurch. Nach Westen, vor allem aber nach
Nordwesten hin sind die Einstrahlungswerte im Schnitt nicht so günstig, was der
der Kaltfront vorauseilenden, durch mitteltroposphärische WLA getriggerte hohe
und mittelhohe Wolken geschuldet ist. Hier ist die Transparenz mal mehr, mal
weniger gegeben, so dass der Himmel vielfach einen milchigen Charakter aufweist
und die Sonne z.T. nur schemen- bzw. schleierhaft zu erkennen ist. Am
Nachmittag/Abend sind zwischen Ostfriesland und Niederrhein sogar ein paar
Regenkügelchen D12-Dosis nicht ganz ausgeschlossen.

In der gealterten Meereskaltluft werden trotz der niedrigen Startwerte
Höchsttemperaturen von 15 bis 20°C, im äußersten Südwesten (südlicher
Oberrheingraben) bei auf rund 9°C ansteigender T850 sogar bis zu 22°C erreicht
(wenn die Cirren nicht zu kompakt werden).

In der Nacht zum Samstag bleibt das großräumige Strömungsmuster ziemlich
konservativ, heißt, nennenswerte Verrückungen sind nicht auszumachen. Trotzdem
passiert bei uns ein bisschen was. Zunächst mal gilt es zu konstatieren, dass
die Nebel- und Frostneigung gegenüber den Vornächten abnimmt. Nur vereinzelt
bildet sich im Süden und in der östlichen Mitte noch mal dichter Nebel.
Luftfrost dürfte gar kein Thema mehr sein, Bodenfrost am ehesten noch in den
typisch anfälligen Lagen der östlichen Mittelgebirge.

Im Westen gilt es gleichzeitig zwei Baustellen zu beäugen, eine mehr im
Nordwesten, die andere im äußersten Südwesten. Zwar bleibt die Kaltfront auch in
der kommenden Nacht noch außen vor, eine leichte Annäherung ist aber nicht
wegzudiskutieren. Entsprechend nimmt nicht nur die Bewölkung im Nordwesten zu,
es beginnt auch über homöopathische Maße hinaus zu regnen. Insgesamt simulieren
die Modelle den Niederschlag noch recht inhomogen, gebietsweise könnte es im
westlichen Niedersachsen und in Westfalen aber für 5 bis 10 l/m² reichen. Über
der Deutschen Bucht gibt es sogar Hinweise auf Starkregen, was durch mögliche,
diabatisch angefachte Gewitter begründet ist. Wenn es eine der Inseln treffen
sollte, dann wohl am ehesten Helgoland.

Baustelle #2 liegt im Süden BaWüs, wo erstens mit niedertroposphärisch auf
Südwest drehender Strömung etwas feuchtere und labilere Luft eingesteuert wird
(PPW zwischen 20 und 25 mm). Und zweitens nähert sich von Nordostfrankreich her
einer der o.e. Randtröge, der auf seiner diffluenten Vorderseite (gut zu
erkennen, wenn man die Auflösung der Potenzialfelder hochschraubt) ein
PVA-Maximum aufweist, welches für einen leidlichen Hebungsimpuls gut ist.
Kurzum, es setzt im Laufe der Nacht schauerartiger Regen ein, der sich von
Südbaden her noch etwas ost- und nordwärts ausbreiten kann. Einige Modelle,
darunter die "ICONEN", bieten in ihrer Modellinterpretation sogar einzelne
Gewitter an. Tatsächlich zeigen die Vertikalprofile eine schmale abgehobene
Labilitätsfläche mit wenig MU-CAPE, was vereinzelte Gewitter nicht völlig
ausschließt, vorausgesetzt, die Kraft des Randtrogs reicht aus, um das
vorhandene CIN zu knacken.

Samstag... verlässt uns der Rücken in Richtung östliches Mitteleuropa, während
uns der zunehmend positiv geneigte LW-Trog vom nahen Atlantik dichter auf die
Pelle rückt. Schlussendlich gelangen wir unter eine dünne südwestliche
Höhenströmung, mit der der Randtrog aus dem Südwesten ost-nordostwärts
geschleust wird. Pünktlich zum Mittagessen schlägt im Westen schon der nächste
auf, der auf seinem Weg nach Osten dann aber rasch an Kontur einbüßt. Immerhin
fällt der Luftdruck noch etwas, wodurch sich die Rinne ostwärts ausweitet und -
man mag es kaum glauben - die unbeweglichste Kaltfront ever tatsächlich den
äußersten Nordwesten des Landes erreicht.

Unter dem Strich ergibt sich insbesondere im Hinblick auf die
Niederschlagsentwicklung ein relativ unaufgeräumtes Bild. Zunächst mal breitet
sich der Regen aus dem Nordwesten unter Abschwächung über Norddeutschland hinweg
ostwärts aus. Wie viel und ob überhaupt davon am Ende noch in Vorpommern und BB
ankommt, muss abgewartet werden - viel wird es sehr wahrscheinlich nicht sein.
Dafür kann es mit Annäherung der Kaltfront im Tagesverlauf im westlichen NDS
sowie an der Nordsee wieder etwas stärker anfangen zu regnen, wobei es über der
Deutschen Bucht weiterhin Signale für Starkregen gibt.
Etwas interessanter als der Regen im Norden scheint die Entwicklung weiter
südlich zu sein. So wird in den Südwesten und Süden bis hoch zur südlichen Mitte
(grob Mainlinie, in der Wettervorhersage aber nicht zu wörtlich nehmen)
niedertroposphärisch (bodennah geht in der flauen Druckverteilung so gut wie gar
nichts) weiterhin feuchte und leidlich labil geschichtete Luft advehiert (T850 6
bis 9°C). Je nach Einstrahlung (allzu viel wird´s nicht sein) werden z.T. wenige
hundert Joule pro Kilogramm ML-CAPE bereitgestellt, die in schauerartigen Regen,
evtl. aber auch einzelne Gewitter transformiert werden. Die DLS-Scherung ist
geschwindigkeitsbedingt gar nicht mal so schlecht, so dass einzelne Zellen - so
sie denn erst mal entstanden sind - durchaus ein Minimum an Organisationsgrad
aufbieten können. Bei PPWs zwischen 20 und 25 mm sollte ein lokaler Starkregen
ebenso wenig überraschend sein wie Böen 7-8 Bft und kleinkörniger Hagel, auch
wenn morgen sicherlich nicht das große konvektive Feuerwerk zu erwarten ist.
Bach Osten hin, gerade Richtung Thüringen, Sachsen, südliches BB, passiert
regentechnisch wahrscheinlich nicht allzu viel, dafür zeigt sich mitunter die
Sonne. Die wird auch an den Küsten einige Auftritte bekommen, ansonsten sind es
eher einige Auflockerungen und in Teilen NRWs und NDSs nicht mal das.

Mit 14 bis 20°C bleibt die Temperatur für Ende September auf "Geht-so- bis
Könnte-schlechter-sein-Niveau".

In der Nacht zum Sonntag setzt von Grönland aus eine kräftige Austrogung über
der Irminger See und der Dänemarkstraße ein, die zur Bildung eines veritablen
Sturmtiefs namens THORVI "die Donnernde" führt. Um 00 UTC liegt es mit zwei
975-hPa-Kernden in der Dänemarkstraße 14 sowie knapp westlich von Jan Mayen. Von
THORVI wird im weiteren Verlauf noch zu schreiben sein, für diese Nacht hat es
für die Entwicklung vor Ort aber noch keine unmittelbare Bedeutung. Hier ist
weiterhin die breite und träge Rinne das Maß der Dinge, in der sich die
ebenfalls von großer Trägheit beseelte Kaltfront anfängt aufzulösen.
Gleichzeitig beginnt der LW-Trog über dem Westen Frankreichs abzutropfen. Auf
der Vorderseite beginnt die Höhenströmung bei und vor allem im Süden
aufzusteilen und eine leicht antizyklonale Krümmung anzunehmen. Die Folgen für
die genaue Wetterentwicklung sind aufgrund der weiterhin geringen Potenzial- und
Druckgradienten nicht ganz einfach zu beziffern, insgesamt ergibt sich ein
ziemlich heterogenes Bild. Neben weiteren Schauern und einzelnen Gewittern kommt
es auch zu größeren Auflockerungen, in denen sich in der inzwischen wieder mehr
als solide angefeuchteten Grundschicht teils dichter Nebel bildet. Die
Tiefstwerte liegen zwischen 11 und 5°C, direkt an der See etwas darüber.

Sonntag... setzt sich die Austrogung über Nordeuropa fort, verlagert sich dabei
aber mehr und mehr in Richtung Europäisches Nordmeer respektive Norwegische See.
Dorthin zieht es auch das korrespondierende Sturmtief, bei dem noch nicht klar
ist, ob es den Schritt auf unter 970 hPa schaffen wird. Egal, Fakt ist, dass das
zugehörige Frontensystem noch deutlich nördlich von Deutschland verbleibt, erst
in der Nacht zum Montag müssen wir uns Gedanken über die Warmfront machen. Zuvor
gilt die Aufmerksamkeit dem abgetropften Höhentief, das sich von West- über
Zentral- bis nach Ostfrankreich verlagert. Derweil greift das nördliche
Trogresiduum von der Nordsee her auf Norddeutschland über. Bodennah tut sich
hingegen nicht nur nichts, es tut sich rein gar nichts. Wahrscheinlich wird der
diensthabende Analysator im mittäglichen A-Format keine einzige Hauptisobare
über Deutschland finden, auch wenn sich durch Überströmung der Alpen im Vorland
ein flaches Tief bildet. Nach wie vor liegen wir im Bereich der breiten Rinne,
wobei wir aber mehr und mehr an westliche Ende heranrücken. Folgerichtig dreht
der freilich nur schwach daherkommende Wind auf Nordwest bis Nord, wodurch von
der Nordsee her tatsächlich etwas kühlere, stabilere und trockenere Luft in den
Nordwesten gelangt (Rückgang T850 auf rund 3°C). Vor allem im Umfeld der
Deutschen Bucht stehen die Chancen auf sonnige Abschnitte gar nicht mal so
schlecht.

Ansonsten überwiegt in Deutschland starke Bewölkung mit tendenziell eher
sporadischen Auflockerungen. Vorherrschend in der Südhälfte sowie im Osten ist
die Luftmasse ausreichend feucht und potenziell instabil, um trotz wenig
Einstrahlung (und entsprechend limitiertes CAPE) Schauer, schauerartigen Regen
und das eine oder andere Gewitter entstehen zu lassen. Von der Intensität her
ähneln die Gewitter denen des Vortags. Temperaturmäßig pendeln wir uns
deutschlandweit zwischen 13 und 18°C ein.

In der Nacht zum Montag nähert sich Warmfront des Sturmtiefs THORVI der
deutschen Nordseeküste. Stratiforme Bewölkung zieht auf und am frühen Morgen
beginnt es im Umfeld der Deutschen Bucht zu regnen (Achtung Modellunterschiede,
es könnte auch schon eher regnen und der Regen auch schon weiter landeinwärts
vorankommen). Außerdem frischt der Süd-Südwestwind vor allem über der See
merklich auf mit Böen 7-8 Bft, die auch schon Helgoland, die Nordfriesischen
Inseln und die Halligen treffen können.

Der zweite Schwerpunkt der nächtlichen Wetteraktivität liegt im Süden, wo das
kleine Cut-Off-Tief bzw. das, was noch davon übrig ist (es gibt die Tendenz, in
einen "normalen" Randtrog zu mutieren) BaWü und die Schweiz erreicht. Weiterhin
wird vorderseitig PVA-bedingte Hebung generiert, aus der vor allem ICON, mit
Abstrichen aber auch IFS südlich der Donau markante, vor allem anfangs
gewittrige Regenfälle mit Starkregenpotenzial macht - ein Szenario, das bei
Weitem noch nicht in Stein gemeißelt ist. Zwischen dem Regen im Süden (wie stark
er auch immer ausfallen wird) und der Geschichte im Nordwesten lockert die
Wolkendecke teilweise auf, was gebietsweise Nebel zur Folge hat.

Modellvergleich und -einschätzung
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Im Großen und Ganzen simulieren die Modelle die Basisfelder sehr ähnlich. Dass
es bei den Niederschlägen Diskrepanzen gibt, vor allem vor dem Hintergrund des
gradientschwachen Umfelds, ist völlig normal. Bei der Gewitterei wird es ohnehin
auf Nowcasting hinauslaufen und der mögliche Starkregen in der Nacht zum Montag
im Süden ist noch unsicher.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann