DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

26-08-2022 08:30
SXEU31 DWAV 260800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 26.08.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: TrW (Trog Westeuropa)

Heute und am Wochenende (vor allem Samstag) undynamische, gleichwohl aber
unwetterträchtige Gewitterlage in sumpfiger Subtropikluft. Alles wie gehabt
also.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
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Freitag... befindet sich Deutschland auf der Vorderseite eines Höhentroges, der
sich ausgehend von einem hochreichenden Drehzentrum knapp östlich von Island (es
handelt sich um Madame MELISSA) bis hinunter nach Frankreich erstreckt. Während
der Trog nach Norden hin eine wohldefinierte Konfiguration an den Tag legt,
zerfleddert er nach Süden hin mehr und mehr, heißt, es schwenken wiederholt
kurzwellige Anteile ost-nordostwärts, die aber sehr lange brauchen, bis sie den
Vorhersageraum erreichen. Grund für die verhaltene Progression ist die
blockierende Wirkung des umfangreichen, bis in große Höhen reichende Hoch PIET
über dem Nordwesten Russlands bzw. Teilen Fennoskandiens. Das gesamte
Strömungsmuster strotzt nicht gerade vor Beweglichkeit, weshalb die
bevorstehende, über 2-3 Tage andauernde (Schwer)Gewitterlage nur wenig
dynamisch, gleichwohl aber sehr unwetterträchtig abläuft. Zu erwähnen in diesem
Zusammenhang ist auch noch ein kleines, nur bei hoher Potenzialauflösung
erkennbares Höhentief über Südostbayern, das im Tagesverlauf gaaaanz langsam
nordwärts zieht.

Von der Höhe in die unteren Gefilde der Troposphäre, wo Luftmassen- und
Druckverteilung schon eher an eine sommerliche Gewitterlage erinnern. Da wäre
von West nach Ost zunächst mal eine schleifende, man könnte auch sagen
schleichende Kaltfront zu nennen, die der MELISSA-Dynastie über Nordeuropa
anhängig ist und derzeit noch knapp westlich von uns verweilt. Auch hierbei
handelt es sich um ein sehr träges Exemplar, das dem Höhentrog unmittelbar
vorgeschaltet ist. Aufgrund schwach ausgeprägter Schubkomponente respektive
höhenströmungsparalleler Exposition kommt die Front nur sehr langsam ostwärts
voran, wird den äußersten Westen und Nordwesten des Landes aber im Laufe des
Tages erreichen. Vor der Kaltfront befindet sich leicht abgesetzt eine recht
breit aufgestellte Tiefdruckrinne (ORNELLA), in der sich tagsüber wahrscheinlich
keine klar definierte eine Konvergenzlinie finden lässt. Vielmehr dürfte es
mehrere, teilweise durch die Orografie mitmodifizierte Klein-Konvergenzen geben
(östliche Winde vs. West-Nordwestwind), die - die Zeiten sind vorbei (für
Insider) - nicht alle auf den Tagesanalysen erscheinen werden. Ähnlich wie die
Front macht auch die Rinne nur langsam, aber doch erkennbar Boden nach Osten hin
gut.

In der Rinne, aber auch zwischen ihr und nachfolgender Kaltfront befindet sich
eine feuchte und potenziell instabile Warmluft (T850 14 bis 17°C), deren Maximum
des Wasserdampfgehalts sich im Osten und Nordosten befindet (PPW teils über 40
mm, spez. Grundschichtfeuchte teils über 15 g/kg). Erst postfrontal beginnt die
mit Nordwestwind einfließende Nordseeluft (Rückgang T850 bis zum Abend auf rund
11°C) abzutrocknen bzw. zu stabilisieren. Von daher ist die Schauer-und
Gewitterneigung im äußersten Westen und Nordwesten eher gering, zumal auch schon
bald frontale Bewölkung aufzieht. Stattdessen zeigt sich an der Front ein
schmales und durchbrochenes Regenband, von dem aber nicht allzu viel Ertrag
erwartet werden sollte.
Das sieht weiter östlich in der Warmluft ganz anders aus, wo mit Hilfe der
Einstrahlung (Nebel und Hochnebel im Osten und Nordosten lösen sich auf)
ordentlich ML-CAPE generiert wird. Im Osten in der feuchtesten Luftmasse werden
gebietsweise Werte von rund 2000 J/kg oder sogar etwas darüber angeboten, was
eine ordentliche Hausnummer ist. Die Luftmasse ist kaum gedeckelt und wartet nur
darauf, dass sie gehoben wird, um ein ordentliches atmosphärisches Spektakulum
zu initiieren. Die große Frage ist nun, wer übernimmt die Rolle der Zündkerzen,
wo kommen die Impulse her. Auf die Höhe sollte man nicht zu stark setzen, zu
schwach sind die Advektionsterme auf der Trogvorderseite, zu schwach die
Dynamik. Das trifft übrigens auch auf die Front zu, die etwas zu weit weg von
der "echten" Warmluft ist (schon präfrontal dreht der Wind auf West- bis
Nordwest). Also bleiben einmal mehr die bereits weiter oben zitierten
Konvergenzen im Zusammenspiel mit der Orografie und der diabatischen Komponente
(die Auslösetemperatur liegt mit etwa 25 bis 30°C in einer realistischen Range).
Ist die Konvektion erst mal in Gang gekommen, gesellen sich auch noch
Outflow-Boundaries als potenzielle Initialfunken dazu. Was schwer fällt, ist den
genauen zeit-räumlichen Verlauf zu prognostizieren, aber es spricht Einiges
dafür, dass es ab Mittag aus den zentralen und südlichen Mittelgebirgen heraus
so richtig losgeht (aktuell wird die Konvektion noch mit gezogener Handbremse
gefahren).

Aufgrund kaum vorhandener Scherung dürfte es sich bei der Konvektion um
Einzelzellen handeln, die schon sehr bald zu Multizellen bzw. Multizellencluster
zusammenwachsen. Dabei besteht vordergründig die Gefahr von Starkregen, teils
extremen Starkregen, sei es durch pomadige bis kaum vorhandene
Verlagerungsgeschwindigkeit, sei es durch Mehrfachtreffer respektive
rückseitigen Anbau. Beim Hagel gilt es vor allem auf größere Ansammlungen
hinzuweisen, während die Korngröße selbst wegen des schlechten
Organisationsgrades nicht sehr hoch ausfallen dürfte (vielleicht mal 2-3 cm
Durchmesser im Anfangsstadium einer Zelle). Auch der Wind wird sehr
wahrscheinlich nicht die ganz große Rolle spielen, auch wenn dort, wo die
Grundschichtfeuchte noch nicht zu hoch ist (z.B. Mitte/Süden inverse
V-Strukturen in den Prognosesoundings, zudem etwas DCAPE zwischen 500 und 750
J/kg), könnte es mal für eine Sturmböe 9 Bft, worst case 10 Bft reichen. Als
wind- bzw. sturmlastige Gewitterlage wird der heutige Tage sicher nicht in die
Chroniken eingehen. Zwar dürfte der unwetterartige (extreme) Starkregen regional
eng begrenzt auftreten, das Areal, wo es passieren kann, ist aber relativ groß.
Das zeigen nicht nur die deterministischen RR-Vorhersagen, sondern auch die
statistischen Anschlussverfahren wie z.B. ICON-D2. Dabei lässt der Lauf von 03
UTC erwartungsgemäß den Westen und Nordwesten außen vor (Erklärung siehe oben)
und auch große Teile des Alpenvorlands sind mit einem deutlichen Minimum
markiert. Offensichtlich macht sich dort die Südflanke des kleinen Höhentiefs
mit NVA bemerkbar, aber zu 100% sollte man sich darauf nicht verlassen. Das gilt
auch für den Nordosten (große Teile MVs), wo ebenfalls nur geringe
Starkregensignale (EPS) zu finden sind. Hier sorgt wahrscheinlich der noch bis
zum Abend aus östlichen Richtungen kommende Wind für Entrainment trockenerer
Luft - abwarten! Schlussendlich läuft es wieder mal auf regionales Nowcasting
mit globaler Vorankündigung hinaus.

Die Temperatur erreicht verbreitet schwülwarme 25 bis 31°C (je nach
Einstrahldauer), bei auflandigem Wind sowie später im Westen und Nordwesten
(neue Luftmasse) etwas darunter.

In der Nacht zum Samstag versucht der Tagesgang, die konvektive Uhr anzuhalten,
was ehr wahrscheinlich aber scheitern wird. Zwar fehlt es weiterhin an Dynamik,
aber haben sich erst mal Cluster gebildet, sind die nur schwer aufzuhalten.
Außerdem kann es auch immer wieder zu Neuzündungen kommen, vor allem durch
Labilisierung an der Wolkenobergrenze (Stichwort Abkühlung). Die Schwerpunkte
dürften im Osten und Süden (Südwesten eher als Südosten) liegen, wo es neben den
regenlastigen Gewittern (die anderen Parameter dürften nachts kaum noch eine
Rolle spielen) auch zu mehrstündigem, teils gewittrigen, teils ungewittrigen
Starkregen kommt. Undankbar zu warnen, aber ist so.

Definitiv außen vor bleiben der Westen und Nordwesten, wo es hinter der nach wie
vor nur schleppend vorankommenden Kaltfront weiter abtrocknet und stabilisiert.
Dabei lockert die Wolkendecke zumindest partiell auf und die Temperatur sinkt
lokal auf unter 15°C, was sie im großen Rest der Republik nur in seltenen Fällen
macht. Der über der Nordsee auf fast glatt Nord drehende Wind frischt soweit
auf, dass an der nordfriesischen Küste die eine oder andere steife Böe 7 Bft
auftreten kann.

Samstag... bleibt es die Großwetterlage derart undynamisch, dass man hoffen
muss, dass das nicht auch auf die nachmittäglichen Bundesligaspiele abfärbt. Das
kleine Höhentief über dem Südosten verschwindet in den ewigen Jagdgründen
geopotenzieller Strukturen, so dass wir den Tag über weite Strecken unter einer
relativ glatten süd-südwestlichen Höhenströmung verbringen. Erst zum Abend hin
nähert sich von UK ein etwas besser definierter Randtrog der Nordsee, doch dazu
später mehr. Zunächst mal verabschiedet sich die Rinne endgültig in Richtung
Polen, was landesweit eine generelle Winddrehung auf West bis Nord zur Folge
hat. Was (noch) nicht passiert, ist die finale Passage der Kaltfront, die
insbesondere im Süden deutlich zurückhängt. Im Umkehrschluss bedeutet das aber,
dass im Osten und Süden trotz Winddrehung und leichter Abkühlung auf 850 hPa (am
Nachmittag um 13°C) noch kein wirklicher Luftmassenwechsel stattfindet, sondern
weiterhin eine wenn auch leicht modifizierte potenziell instabile und feuchte
Warmluft den Ton angibt. Ein wesentlicher Unterschied liegt allerdings darin,
dass deutlich mehr Wolken am Start sind, was wiederum die Einstrahlung und somit
auch die Bildung von ML-CAPE hemmt. Trotzdem ist davon auszugehen, dass es im
Osten und Süden sowie der östlichen Mitte nochmals einige kräftige, hinsichtlich
Starkregen bis in den extremen Unwetterbereich reichende Gewitter entwickeln
werden, die sich teilweise bis in die Nacht zum Sonntag retten werden. Neben den
Gewittern ist aber auch ungewittriger Starkregen denkbar, der ebenfalls bis in
den (extremen) Unwetterbereich gehen kann. Hagel und Sturm hingegen sollten kein
großes Thema sein. Durch den andauernden Nordwestwind kommt es von Nordwesten
her (von wo auch sonst bei NW-Wind) langsam aber kontinuierlich zum Entrainment
trocknerer und stabilerer Nordseeluft, so dass sich die Regenfälle und Gewitter
mehr und mehr in den Süden und Südosten sowie in den Nordosten zurückziehen.

Der Westen und Nordwesten profitiert nicht nur von der o.e. Nordseeluft, sondern
zunehmend auch von Druckanstieg. "Absender" ist ein sich zwischen Ostgrönland
und UK/Irland aufbauendes Hoch - Gott zum Gruße QUINTIN -, von dem aus sich ein
Keil bis nach Benelux und NW-Deutschland erstreckt. Gebietsweise lockert die
Wolkendecke stärker auf, für die ganz große Sonnenscheinnummer wird´s aber nicht
reichen. Reichen wird es landesweit auch nicht mehr für Temperaturen von 30°C
oder darüber, stattdessen stehen 22 bis 27°C, an der Nordsee um 20°C auf der
Karte. Apropos Nordsee, dort bleibt der Nordwest- bis Nordwind flott unterwegs
mit Böen 7 Bft von Sylt bis hinunter zur Elbmündung, vielleicht auch noch bis
hinüber zum Jadebusen und den östlichen der Ostfriesischen Inseln.

In der Nacht zum Sonntag erreicht der o.e. Randtrog mit abgeschlossener Isohypse
(also als Höhentief) die Deutsche Bucht. Im Nordwesten hat das wettertechnisch
keine Konsequenzen, dort bleibt es trocken unter einem unterschiedlich bewölkten
Himmel. Beachtenswert ist die diffluente Vorderseite des Troges, wo
möglicherweise auch noch ein kleiner Tertiärtrog am Start ist (gut zu erkennen
bei ICON auf 500 hPa). Sie erzeugt im Nordosten schwerpunktmäßig in MV, je nach
Modell aber auch im nördlichen BB synoptisch-skalige Hebung. Und da die
Luftmasse noch immer ziemlich feucht ist, verwundert es nicht, dass die Numerik
kräftige und teils gewittrige Regenfälle anbietet, die stellenweise an oder über
50 l/m² innert 12 h bringen sollen. Während das "Feuer" im Nordosten also am
Lodern gehalten wird, werden die Gewitter im Süden und Südosten mit zunehmender
Nachtlänge immer weniger. Im Westen kühlt die Luft bei längerem Aufklaren z.T.
auf 10°C ab, in den Mittelgebirgen sogar noch darunter. An und auf der Nordsee
bleibt es windig mit Spitzen 7 Bft aus Nordwest bis Nord.

Sonntag... zieht das kleine Höhentief von der Nord- zur Ostseeküste. Dabei
interagiert es zunehmend mit einem kleinen Bodentief, das aus der Rinne ORNELLA
entstammt und von Polen her auf die Ostsee zieht. Laut ICON soll sich das Tief
auf rund 1000 hPa vertiefen, was für den Norden einen windigen Tag bedeuten
würde. Vor allem an der See muss mit Böen 7 Bft aus westlichen Richtungen
gerechnet werden. Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass die Kaltfront durch
den andauernden Druckanstieg und der damit verbundenen Expansion des Hochkeils
nach Südosten rausgedrückt wird. Im Süden und Südosten halten sich aber immer
noch Reste feuchter und indifferent bis leidlich labil geschichteter Warmluft
(T850 um 12°C), so dass auch am Sonntag noch mal von einzelnen Schauern und
Gewittern mit lokaler Starkregengefahr (wahrscheinlich aber keine Unwetter mehr)
ausgegangen werden muss. Schauerartiger Regen, vielleicht einzelne Gewitter
stehen auch im Nordosten noch mal auf der Agenda, wobei dort viel von der
genauen Positionierung des (Höhen)Tiefs abhängt.

Im größten Teil des Landes bleibt es trocken und vor allem im Südwesten sowie in
Teilen der Mitte setzt sich für längere Zeit die Sonne durch. Dort steigt die
Temperatur am Oberrhein auf bis zu 27°C. Im Norden, wo die Nordseeluft so
richtig Fuß gefasst hat (T850 10 bis 5°C), werden unter wechselnd wolkigem
Himmel nur (oder sollte man sagen angenehme) 20 bis 23°C, direkt an der Nordsee
z.T. nur 18°C erreicht).

In der Nacht zum Montag verharrt das hochreichende Tief über der Ostsee, was dem
Norden weitere Schauer und Gewitter beschert. Außerdem bleibt es an der See
windig. Die Schauer und Gewitter im Süden lassen nach. Mit 14 bis 7°C wird die
Nacht recht frisch, nur direkt an der See bleibt es milder.

Modellvergleich und -einschätzung
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Aufgrund neuer Modellerkenntnisse wurde die Vorabinfo vor schweren Gewittern
räumlich ausgeweitet. Es soll aber hier noch mal betont werden, dass innerhalb
des großen schraffierten Areals die Unwetter räumlich begrenzt und keinesfalls
flächig auftreten. Auch kann man ad infinitum diskutieren, wo und wo nicht die
Vorabinfo hätte noch ausgegeben werden können. Die jetzige Lösung stelle einen
Konsens aus numerischer Prognose mit regionalem Know-How der jeweiligen
Außenstellen dar. Dass auch außerhalb dieser Flächen das eine oder andere
Unwetter auftritt, kann als wahrscheinlich angesehen werden. Such als life....

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann