DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

01-07-2022 08:30
SXEU31 DWAV 010800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 01.07.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang von HFz (Hoch Fennoskandien zyklonal) zu BM (Brücke Mitteleuropa)

Heute markiger Luftmassenwechsel mit Regen und Gewittern, im Nordosten Unwetter
möglich. Zum Wochenende Hochdruckeinfluss.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
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Freitag... befinden wir uns aktuell mitten in einem veritablen
Luftmassenwechsel, der im Westen bereits in Sack und Tüten ist, im Osten
hingegen noch bevorsteht. Auslöser ist ein ganzes Besteck synoptischer Elemente
angefangen mit einer Kaltfront (ohne die geht´s meist nicht), einer
vorgelagerten Rinne nebst Konvergenz sowie einen von hinten "anschiebenden"
Höhentrog. Alle vier Elemente haben deutsches Territorium erreicht und geben
sich dabei leicht progressiv, so dass das ganze Schauspiel im Laufe des Tages
weitgehend über die Bühne gebracht werden kann. Wan wie wo das Ganze
vonstattengeht und welche Unsicherheiten die Vorhersage noch birgt, dazu im
Folgenden mehr.

Zuerst sei kurz die Potenzialverteilung skizziert, die im Wesentlichen von zwei
Protagonisten geprägt ist: auf der einen, der östlichen Seite ein blockierender
Rücken, der vom zentralen Mittelmeer bis hoch zur Barentssee reicht. Auf der
anderen, der westlichen Seite ein Langwellentrog über dem nahen Atlantik, der im
Gegensatz zu seinem östlichen Gegenspieler zumindest partiell über einen
gewissen Bewegungsdrang verfügt. Genau genommen hat sich der südliche Teil des
Troges bereits gestern in Gang gesetzt, indem er einen Ost-Nordostschwenk in
Richtung Kontinent begonnen hat, der heute im Laufe des Tages genau über dem
Vorhersageraum fortgesetzt wird. Derweil wird weiter westlich eifrig an der
Regeneration des Haupttrogs gearbeitet. Vor dem negativ exponierten südlichen
Trogteil hat sich eine meridionale Rinne gebildet, die am westlichen Rand durch
die o.e. Kaltfront abgeschlossen wird. Diese gehört zu einem flachen Tief über
der nördlichen Nordsee (ULRIKE; nur wenig unter 1010 hPa), das sich ganz langsam
in Richtung südliche Norwegische See entfernt. Von der Baroklinität her ist die
wellende Front ein echtes Musterexemplar, das ihren Namen wohlverdient hat.
Abgesehen vom Gradienten der pseudopotenziellen Temperatur reicht heute früh
allein schon ein Blick auf die Temperatur in 850 hPa. 17°C im äußersten Osten
stehen 5°C im äußersten Westen gegenüber, was eindrucksvoll den markanten
Luftmassenunterschied zwischen Subtropik- und Atlantikluft illustriert.
Eindrucksvoll ist auch der Windsprung innerhalb der präfrontalen Rinne
respektive Konvergenz, wo östliche und westliche Winde mit einem Winkel von rund
180° aufeinandertreffen.

Wie auch immer, in den nächsten Stunden verschiebt sich das genannte Muster
langsam aber sicher ost-nordostwärts, wodurch die gemäßigte, ja fast schon als
kühl zu bezeichnende Atlantikluft (Tageshöchstwerte 18 bis 24°C) immer mehr Raum
bei uns einnimmt. An der Front bzw. eher auf der kalten Seite kommt es dabei zu
weiteren, teils gewittrigen, teils ungewittrigen Regenfällen, die sich mehr und
mehr in die Osthälfte verlagern. Gleichzeitig beginnt die Wolkendecke von Westen
her aufzulockern und die Luftmasse innerhalb des ostwärts vorstoßenden
Bodenhochs (HARTMUT) abzutrocknen. Das wird zunächst allerdings nicht
ausreichen, um eine solide Quellwolkenbildung zu verhindern, die in dem einen
oder anderen Fall sogar einen schwachen Schauer produziert. Zwar dürfte es nicht
höher hinausgehen als 700 hPa (siehe Nachtaufstieg von Paris-Trappes sowie
Prognosetemps), aufgrund der relativ niedrigen 0°C-Grenze bei etwa 2400 m reicht
es lokal aber für etwas Niederschlag.

Das Hauptaugenmerk liegt aber eindeutig im präfrontalen Bereich in der noch
vorhandenen potenziell instabilen Warmluft, also im Osten. Hier ist die große
Frage, wie weit sich die Luftmasse noch mal aufheizen kann, bevor Bewölkung und
der vorstoßende Westwind ihre dämpfende Wirkung entfalten. Je schneller das
Ganze, desto weniger wahrscheinlich sind schwere Gewitter. Zwischen Lausitz und
Vorpommern soll sich die Luft noch mal auf 25 bis 30°C aufheizen und es gibt
durchaus Indizien dafür, dass sich im Grenzbereich zu Polen sowie in MV ab
Mittag etwas "Stärkeres" organisiert. ICON-D2 sieht den Schwerpunkt zwar auf
polnischer Seite, doch dafür sollte man seine Hand nicht ins Feuer legen.
Scherung ist ausreichend vorhanden (vor allem DLS teils über 20 m/s, aber auch
etwas LLS), so dass ohne Weiteres linienhafte Segmente vorstellbar sind. Neben
Starkregen um oder etwas über 30 l/m² innert kurzer Zeit (PPW bis zu 40 mm,
trotz Verlagerung teilweise Südanbau) können auch größere Hagel um 2-3 cm
Durchmesser sowie (schwere) Sturmböen 9-10 Bft mit am Start sein. Sollte
allerdings der Westwind schon durchgreifen, was er in Sachsen schon getan hat,
und von unten eine Stabilisierung einleiten bzw. die relevante Mischungsschicht
immer weiter von unten entkoppeln ("elevated mixed layer"), nehmen Hagel und
Sturm in ihrer Bedeutung ab. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass mit
Fortschreiten einer Druckanstiegswelle der Wind an der Ostsee sowie im
nordostdeutschen Binnenland kurzzeitig und unabhängig vom konvektiven Geschehen
mal böig aufbrisen kann mit Böen bis zu 7 Bft. An der Nordsee ist damit im Laufe
des Vormittags hingegen schon wieder Schluss.
Ach ja, auch ganz im Südosten, vor allem am östlichen Alpenrand besteht im Laufe
des Tages noch eine geringe Gewitterwahrscheinlichkeit aus den Alpen heraus, die
aber maximal markant ausfällt.

In der Nacht zum Samstag ist der Spuk dann rasch vorbei. Letzte und
wahrscheinlich nicht mehr gewittrige Regenfälle ziehen aus dem Nordosten in
Richtung Ostsee ab. Und auch am östlichen Alpenrand sowie im Bayerischen Wald
ist - sollte es überhaupt noch irgendwo regnen - ziemlich bald Schluss. Dem
scheidenden Trog folgt von Westen her ein ganz flacher Rücken, der das sich nun
vollständig über den Vorhersageraum legende Bodenhoch stützt. Die Bewölkung
lockert auf, vielfach ist der Himmel klar. Dort, wo die Grundschicht durch den
vorherigen Regen ordentlich durchgefeuchtet ist, können sich ein paar flache, im
Süden gebietsweise sogar dichtere Nebelfelder bilden. In der frischen subpolaren
Luftmasse kühlt es sich auf 15 bis 8°C ab, in den westlichen Mittelgebirgen z.T.
sogar noch etwas darunter. Also, Fenster sperrangelweit auf und tief schlafen.


Samstag... bestimmt Hochdruckeinfluss das Geschehen im Land. Zwar wandert der
flache Rücken langsam nach Osten ab, so dass wir wieder mehr auf die Vorderseite
des runderneuten Troges über dem nahen Atlantik respektive Westeuropa kommen.
Das Setup bleibt aber trotzdem ganz klar antizyklonal konturiert, was sich in
sonnigen oder nur locker bewölkten Verhältnissen widerspiegelt. Lediglich nach
Norden und Nordwesten hin könnte es mitunter mal etwas wolkiger werden
(Quellwolken aus der labilen Grundschicht, Inversion um 750 hPa, dazu einige
Cirren), es bleibt aber im Großen und Ganzen trocken. Da sich ähnlich wie der
Rücken auch das Zentrum des Bodenhochs allmählich ostwärts davonschleicht, setzt
niedertroposphärisch WLA ein, die T850 von 5 bis 10°C am Morgen auf 7 (äußerster
Norden) bis 17°C (südliches Alpenvorland) steigen lässt. Dadurch kann sich auch
die 2 m nach der heutigen, zugegeben nicht unwillkommenen Abkühlung wieder
erholen auf 24 bis 29°C, ganz im Norden auf 21 bis 25°C.

In der Nacht zum Sonntag löst sich aus dem Höhentrog über Westeuropa ein
Randtrog, der zur Nordsee zieht. Ihm vorgeschaltet ist die teilokkludierte
Kaltfront eines Tiefs zwischen Island und Norwegen, die auf den Nordwesten
Deutschlands übergreift. Ihre Wetterwirksamkeit beschränkt sich zunächst
vornehmlich auf Wolkenfelder und weniger auf Niederschlag, was ein paar
vereinzelte schwache Schauer aber nicht ausschließt. Ansonsten fällt der
Luftdruck zwar leicht, trotzdem verläuft die Nacht im größten Teil des Landes
gering bewölkt oder klar mit Tiefsttemperaturen zwischen 16 und 10°C, in einigen
Mittelgebirgstälern und -senken etwas darunter.

Sonntag... zieht der Randtrog nach Skandinavien ab. Dahinter wölben sich die
Isohypsen aber nur kurz ein weinig auf, weil bereits der Haupttrog mit großen
Schritten auf die Nordsee und Benelux zuläuft, um am Nachmittag schlussendlich
auf Norddeutschland überzugreifen. Derweil kommt die weiterhin nur schwach
ausgeprägte Kaltfront in ihren Nordteil etwas weiter nach Osten voran, während
sie nach Süden hin deutlich zurückhängt. Von daher erklären sich auch die großen
Temperaturunterschiede auf 850 hPa, deren Spanne am Nachmittag von 7°C rund um
die Deutsche Bucht und bis zu 18 oder 19°C am Alpenrand reicht. Wettermäßig
läuft der Sonntag in weiten Landesteilen trotz Front noch störungsfrei und
sonnenscheinreich ab. Lediglich nach Nordwesten hin ist der Wolkenanteil höher
und mit Annäherung des Troges sowie mit Hilfe des Tagesgangs entwickeln sich
Schauer, am Nachmittag und Abend lokal auch kurze Kaltluftgewitter. Einzelne
Gewitter sind auch in Alpennähe möglich, wo die Luftmasse von unten her
zunehmend labiler wird, die Feuchte zunächst aber noch etwa zu wünschen übrig
lässt. Die Temperatur steigt in der Südosthälfte auf 28 bis 32°C, sonst auf 23
bis 28°C, an der Nordsee bei westlichem Wind etwas darunter.

Kurz noch die Nacht zum Montag, die im Norden mit Trogdurchgang weitere Schauer,
Richtung Küste auch vereinzelte kurze Gewitter bringt. Gewitter mit erhöhter
Starkregengefahr auch im Süden, wo von Frankreich her ein kleiner Randtrog mit
ausgewiesenem PVA-Maximum auf eine "dankbare" Warmluft (feucht und potenziell
instabil) stößt. Zwischen den Aktivzonen im Norden und Süden bleibt die Nacht
bei teils wolkigem, teils klarem Himmel trocken.

Modellvergleich und -einschätzung
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Im Grunde steht der Fahrplan, doch wie im richtigen Leben ist man vor
Verspätungen nicht gefeit. Sollte also der Westwind heute im äußersten Nordosten
Verspätung haben, dann könnte es dort noch mal ordentlich rappeln. Vielleicht
kann sich dann die aktuelle etwas ausgelaugt wirkende, von der westlichen Ostsee
bis ins nordöstliche BB reichende Linie noch mal so weit erholen, dass daraus
einige schwere Gewitter resultieren. Die Rahmenbedingungen sind genannt, die
Möglichkeit kommuniziert, der Rest ist Nowcasting.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann