DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

05-06-2022 09:01
SXEU31 DWAV 050800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 05.06.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: HNz (Hoch Nordmeer zyklonal)

Heute Gewitterlage mit Schwerpunkt Süden (hohe Unwettergefahr!). Die nächsten
beiden Tage ruhiger, aber nicht ruhig.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 24 UTC
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Sonntag... steht den Vorhersagemeteorologen ein arbeitsreicher Pfingstfeiertag
ins Haus, einen schönen guten Morgen auch von dieser Stelle. Die schon gestern
in die Warnkarte eingravierten schraffierten Flächen zeigen die Richtung für
heute an und lassen vermuten, dass es ein spannender Tag wird.

Die Ausgangslage: Geopotenziell befindet dich Deutschland zwischen einem langsam
ost-nordostwärts abwandernden Höhenrücken und einem Höhentief knapp vorm
Westeingang des Ärmelkanals. Heraus kommt dabei eine gebremste süd-südwestliche
Höhenströmung, die aufgrund ihrer diffluenten Struktur sowie eingelagerter
kurzer Wellen für synoptisch skalige Hebung taugt. Allerdings trifft das heute
tagsüber nur für die Südwesthälfte (und vielleicht noch etwas darüber hinaus)
zu. Der Nordosten profitiert heute noch vom erwähnten Rücken, dem
korrespondierenden Bodenhoch BURKHART (erstreckt sich vom Seegebiet südlich
Islands bis hinüber zum Baltikum) sowie von einer relativ trockenen und stabilen
Luftmasse (Taupunkte heute früh verbreitet im einstelligen Bereich, PPW teils
unter 15 mm). Mit anderen Worten, von SH über MV und BB bis hinunter zum
Erzgebirge steht heute ein sonnenscheinreicher, trockener und warmer
Pfingstsonntag ins Haus, an dem die Temperatur (T850 steigt auf 10 bis 13°C) 24
bis 29°C, in unmittelbarer Nähe von Nord- und Ostsee 17 bis 22°C erreicht.

Ganz anders die Lage weiter südwestlich, wo die einfließende Warmluft
mediterranen Ursprungs deutlich energiereicher ist, was am fühlbaren, noch mehr
ab am latenten Wärmegehalt liegt. Die 850-hPa-Temperatur liegt nach Westen und
Südwesten hin mit 11 bis 14°C gar nicht mal so viel höher als im Nordosten. Im
Süden hingegen geht es mit Föhneffekten hoch auf satte 15 bis 20°C. Hinzu kommt
- getriggert auch durch bereits heute früh von Frankreich schon übergegriffene
Gewitter und Regenfälle - eine markante Feuchteakkumulation, die sich in
PPW-Werten bis zu 40 mm sowie eine hohe spezifische Grundschichtfeuchte bis zu
14 g/kg widerspiegelt. Da die Subtropikluft zudem ausreichend labil geschichtet
ist, liefert sie summa summarum einen sehr guten Nährboden, um die o.e. Hebung
auch in fruchtbare Ergebnisse umzuwandeln. Die Frage ist nun, wie geht das Ganze
vonstatten, wann und wo liegen die Schwerpunkte, wo geht richtig der Punk ab und
wo kann man vielleicht einen moderaten Verlauf erwarten. Um hier Antworten zu
finden, muss man noch etwas näher auf die Druckverhältnisse eingehen, die alles
andere als trivial sind. Die Frühanalysen zeigen eine amöbenartige, von
Frankreich bis in den Alpenraum bzw. nach Süddeutschland verlaufende
Tiefdruckrinne (MAYA), in die eine Warmfront eingelagert ist. Diese fungiert
quasi als Luftmassengrenze zwischen der gewitterträchtigen Warmluft im
Süden/Südwesten und der gemäßigten Luftmasse weiter nördlich. Die Rinne schiebt
sich in den nächsten Stunden peu a peu weiter nach Norden, wobei zwei Dinge
passieren. Zum einen etabliert sich über BeLux ein kleines eigenständiges
1010-hPa-Tief, das am Abend die Niederlande erreicht. Zum anderen bildet sich
über Süddeutschland ein flaches Föhntief, das die LLS auf Kosten der DLS erhöht.


Zum möglichen Ablauf: Der Regen- und Gewittercluster, der heute früh den
Südwesten von Frankreich her erreicht hat, wird in den nächsten Stunden ost-
bzw. nordwärts vorankommen. Dabei ist jetzt schon erkennbar, dass es am
Vorderrad durch Entrainment trockenerer Luft (überall Ostwind) zu einer
Abtrocknung und damit Abschwächung des Systems kommt. Hinzu kommt die Tatsache,
dass der Sonnenstand noch nicht den Status erreicht hat, um ordentlich Energie
in die untere Troposphäre zu pumpen. Kurzum, das Ganze läuft in die nicht selten
auftretende vormittägliche Depression. Gleichwohl treten einige Gewitter auf,
die in der Regel aber markant abgewarnt werden können (Starkregen bis 25 l/m²
innert kurzer Zeit, Böen bis max. 9 Bft, kleinerer Hagel.

Ab dem späten Vormittag respektive in den Mittagsstunden muss dann mit einer
Intensivierung des konvektiven Geschehens gerechnet werden. Dabei gilt es - ganz
grob - zwei Gebiete zu unterscheiden. Erstens den Westen und Teile der Mitte, wo
mangels ausreichend Einstrahlung nur wenig CAPE generiert wird (nur lokal 500
bis 750 J/kg). Die dort auftretenden Gewitter sind eher eingelagert in
schauerartig verstärkten Regen und vor allem durch Starkregen geprägt, wobei
lokal auch die Unwetterschwelle (> 25 l/m² innert kurzer Zeit) gerissen werden
kann. Die Hauptaktivität soll laut ICON-D2-EPS aber auf belgischer Seite
abgehen. Hagel und Wind/Sturm sollten eine untergeordnete Rolle spielen (8 Bft,
worst case 9 Bft). Erwähnenswert ist auf alle Fälle das Absinken des HKN auf
unter 1000 m bei gleichzeitig hoher Helizität und LLS bis 15 m/s in NRW und dem
westlichen NDS, was einen ersten Verdacht auf mögliche "Rüsselei" nahelegt.
Dagegen spricht allerdings ein bisschen die fehlende Einstrahlung, die eine
bessere Labilisierung der untersten Schichten und somit Kopplung zu den Zellen
gewährleisten würde.

Gebiet #2 liegt im Süden, wo aktuell der schwächelnde Gewittercluster ostwärts
vorankommt und insbesondere nördlich der Donau für Abschattung und reduzierte
Einstrahlung sorgt. Das ist insofern von Bedeutung, als dass man sich dort
ebenso wie nach Westen hin ernsthaft über die Aufhebung der Vorabinformation
Gedanken machen kann (und schon hat Taten folgen lassen), weil später zumindest
unwettermäßig nicht viel geht. Klar wird es tagesgangbedingt ein Regenerieren
des Clusters geben, die meisten Gewitter dürften aber im Ockerbereich
angesiedelt sein. Wenn Unwetter, dann lokal wegen Starkregen und etwas größerem
Hagel (wohl aber nicht über max. 2-3 cm Korngröße).

Das heftigste Geschehen des heutigen Tages dürfte sich am Nachmittag und Abend
in Teilen Ober- und Niederbayerns, vielleicht auch noch im südlichen Schwaben
sowie in der Bodenseeregion abspielen, wenn man so will in Verbindung mit dem
Leetief. Der Energieinput ist durch vorherige Einstrahlung am höchsten bei
gleichzeitig stärkster Labilität, so dass ML-CAPE von z.T. 2,5 bis 3,0 kJ/kg
angeboten werden. Aus der Schweiz (die Weichenstellung wird bereits jetzt über
dem Jura und dem Mittelland eingeleitet) und Lichtenstein sowie den westlichen
Alpen heraus entwickeln sich Zellen, die zu einem Cluster verschmelzen. Dieser
wird angetrieben durch einen ausgeprägten Cold-Pool sowie eine hinter dem Tief
herlaufende Druckanstiegswelle relativ zügig nach Osten getrieben, so dass er
bereits im Laufe des Abends in Richtung Austria verschwindet. Aufgrund der
Rahmenbedingungen können die Gewitter von größerem Hagel (durchaus um oder etwas
über 5 cm Durchmesser) und schweren Sturm- bzw. Orkanböen 10 bis 12 Bft
begleitet sein (Organisation + inverse V-Struktur mit ausgeprägter
Trockenadiabaten in der Grundschicht). Auf Starkregen gilt es ebenfalls zu
achten, wobei die sehr hohen Wahrscheinlichkeiten von ICON-D2-EPS, z.B. aber
auch von AROME und ICON-D2 ins Auge fallen. 100% für Mengen > 35 l/m²/6h und
lokal bis zu 70% für > 60 l/m²/6h in Teilen Ober- und Niederbayerns sieht man
nicht alle Tage und sind ein deutliches Zeichen.
Noch ein Satz zum Südwesten, wo es ja heute Morgen schon gewittert und geregnet
hat. Dort kann sich die Luftmasse nur noch dahingehend regenerieren, als dass
noch einzelne Schauer und Gewitter möglich sind. Unwetter sind aber eher
unwahrscheinlich.

In der Nacht zum Montag kommen Gewitter und Regenfälle unter Abschwächung weiter
nordostwärts voran. Im Nordwesten, wo das kleine Bodentief unter Vertiefung auf
nahe 1005 hPa wahrscheinlich direkt über Borkum auf die Nordsee zieht, besteht
noch eine gewisse Starkregengefahr, auch ungewittrig. Außerdem fährt der über
und an der Deutschen Bucht auffrischende Wind (Böen 7, vereinzelt 8 Bft)
Karussell, indem er von Ost-Nordost über Südost-Süd auf Südwest dreht (viel
Spaß, liebe Hamburger, beim Erstellen des Warntextes).


Montag... erreicht das Höhentief, das inzwischen den Ärmelkanal passiert hat,
die südwestliche Nordsee, womit es immer dichter an das Bodentief heranrückt.
Vorderseitig verbleiben wir unter einer zyklonal konturierten südwestlichen
Höhenströmung, die auf eine inzwischen weniger warme (T850 zwischen 5°C an der
Nordsee und 13°C in SO-Bayern), weniger instabile und trockenere (nicht
trockene!) Luftmasse trifft. Heraus kommen unterschiedliche
Bewölkungsverhältnisse mit einzelnen Schauern oder Gewittern, die aber 2-3 Ligen
unter denen spielen, die heute Nachmittag im Süden erwartet werden. Im
Nordwesten sowie an der Nordsee weht ein mäßiger bis frischer Südwestwind mit
Böen 7 Bft, vereinzelt 8 Bft.

In der Nacht zum Dienstag nähern sich die mittlerweile sich überlappenden Tiefs
der nordfriesischen Küste. Vorderseitige Hebung (PVA) lässt gewittrige
Regenfälle auf den äußersten Nordwesten übergreifen, wobei lokaler Starkregen
möglich ist. Außerdem bleibt es auf und an der Nordsee windig bis stürmisch.
Schauerartiger Regen und Gewitter stehen gebietsweise aber auch in der SO-Hälfte
auf der Karte, wobei am Alpenrand Signale für höhere Regenmengen vorliegen.


Dienstag... zieht das Tief nach Jütland, wobei es im Norden und Nordwesten noch
etwas regnet. Außerdem bleibt es an der Nordsee windig. Im Süden und Südosten
wird ausreichend CAPE generiert, um Gewitter gelb bis ocker zu generieren. Die
Temperaturen erreichen nur noch Höchstwerte von 17 bis 24°C.

Modellvergleich und -einschätzung
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Im Großen und Ganzen zeigen die Modelle sehr ähnliche Lösungen. Wie eigentlich
immer bei konvektiven Lagen können letzte Unsicherheiten erst relativ zeitnah
geklärt werden. Auffallend ist, dass der 06-UTC-Lauf von ICON-D2-EPS die hohen
Regenmengen im Süden bestätigt, während im Westen gerade am Vormittag ein
deutlicher und synoptisch nachvollziehbarer Rückzieher erfolgt ist.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann