DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

01-06-2022 08:01
SXEU31 DWAV 010800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 01.06.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
HNz (Hoch Nordmeer zyklonal)
Heute gewittertechnisches "Vorgeplänkel", im Norden vor allem mit Starkregen. Am
Donnerstag Zwischenhocheinfluss. Am Freitag von Südwesten zunehmend schwül-warm
mit steigender Unwettergefahr.


Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... startet der meteorologische Sommer traditionell am Kindertag nach
einem abermals zu sonnigen und trockenen Frühjahr. Es war der neunte zu trockene
Frühling in Folge und der drittsonnigste seit Messbeginn mit nahezu 675 Stunden
im Deutschlandmittel. In dieses Bild reiht sich heute vor allem ein Streifen
südlich der Mittelgebirge von der Mosel bis nach Franken ein. Doch der Reihe
nach...

In der Höhe wetterbestimmend ist ein dipolartiger Tiefkomplex mit Zentren über
Mittelnorwegen und der Deutschen Bucht. Vom südlichen Teil erstreckt sich an der
Ostflanke ein Randtrog Richtung Oderbruch und verursacht(e) bereits aktuell
zahlreiche Schauer und auch vereinzelte Gewitter. Während dieser im Laufe des
Vormittags nordostwärts abschwenkt, folgt im Tagesverlauf von Westen ein zweiter
nach, dessen Achse zum Abend das Emsland erreicht. Zwischen den Trögen ist die
Strömung aber ebenfalls leicht zyklonal konturiert, weshalb es mit der
Konvektion über der Nordhälfte des Landes eigentlich den ganzen Tag über nie
wirklich abebben wird. Während es in den meisten Fällen Gewitter der Kategorie
"gelb" sein werden, denen man im Vorfeld schwerlich (d.h. ohne großen
Vorwarnzeiten) Herr werden wird, besteht gerade im gradientschwachen
Trog(nahen)bereich sprich von Ostfriesland über Hamburg und Schleswig-Holstein
bis nach Vorpommern ein erhöhtes Potential für lokalen Starkregen bei nur
langsam ziehenden Zellen und PPW's bis an die 20 mm. Das zeigt auch
eindrucksvoll das ICON-D2 EPS mit teils mehr als 70% zwischen Rostock und
Stralsund für mehr als 25 l/m² binnen 12 Stunden. Sogar ernstzunehmende
Unwettersignale lassen sich mit knapp 50% für mehr als 40 l/m² in diesem Bereich
finden. Dafür muss aber schon wirklich vieles "schief" laufen und mehrere Zellen
über denselben Ort ziehen. Mit der Scherung ist es nämlich äußerst mau, so dass
eher pulsierende Einzel-/Multizellen maßgebend sein werden. Gleichwohl liegt
MeckPom zur besten Tageszeit am späten Nachmittag voll über dem linken
Jetausgang, so dass neben Trog und Luftmasse auch ein gewisses Maß an dynamisch
erzwungener Hebung mit hinzukommt. Derartige Lagen sind auch immer mal wieder
"gut" für eine Wasserhose über der See (Typ II Tornados aufgrund konvergenter
Strömung am Boden bei tiefen HKN's).

Etwas anders sieht es scherungstechnisch südlich angrenzend aus, wo der Jet vor
allem aus der Geschwindigkeitsscherung die DLS auf über 20 m/s treibt.
Ausreichend labil ist die Schichtung auch noch, so dass von NRW bis nach
Brandenburg weniger der Starkregen als viel mehr Wind-, vereinzelt auch mal eine
stürmische Böe als Begleiterscheinung dabei sein werden. Die Oberwinde in 850
hPa liegen bei rund 25 Knoten (Bft 6+), von daher ist die Bft 8 dann mittels
Eigendynamik aber auch wirklich schon der Worst Case.

Wiederum ein Stück weiter südlich sind wir in dem eingangs erwähnten, aus dem
Frühjahr gewöhnten Schönwettergebiet angelangt, wo es kompensatorisch mit
spezifischen Feuchten unter 5 g/kg ein gutes Stück trockener ist als im Norden
und daher neben einem Sonne-Wolken-Mix kaum einmal für einen kurzen Schauer
reicht.

Etwas diffiziler gestaltet sich die Situation im äußersten Süden des Landes, wo
über dem Alpenraum eine Luftmassengrenze lagert, die schwül-heiße Mittelmeerluft
noch von uns fernhält. Im Vorfeld eines Cut-Offs westlich von Portugal wird
diese jedoch zögernd nordwärts gedrückt. Ein erster Anlauf dessen mit
Aufgleitniederschlägen ist aktuell über Zentralfrankreich zu erkennen, der unter
Abschwächung (wegen Entfernung zum Tief) ostwärts gesteuert wird. An dessen
Südrand (warme Seite) sind auch einzelne Gewitter eingelagert. Nun ist die
Höhenströmung den ganzen Tag über den Alpen recht glatt und WLA über Deutschland
allenfalls rudimentär. Somit sollte keine zusätzliche Verstärkung stattfinden
und vor allem südlich der Donau am Nachmittag "nur" mehrschichtige Bewölkung mit
etwas Regen aufkommen. Warmlufteinschubgewitter sind zwar nicht gänzlich
ausgeschlossen (bisschen ML CAPE unter 100 J/kg wird vom ICON Nest auch
angeboten), aber die CAPE-Fläche verbleibt unterhalb der -10 Grad Isotherme.
Eventuell ist der Regen auch mal schauerartig verstärkt, einzelne Gewitter
sollten aber inneralpin bleiben.

Luftmassentechnisch bleiben die Gegensätze über Deutschland also groß mit der
kühlen Meeresluft polaren Ursprungs im Norden, T850 nur wenig über 0 Grad, und
rund 10 Grad an der Grenze zur Mittelmeerluft im Süden. Dementsprechend steigen
die Temperaturen im Norden selbst bei bester Durchmischung nur auf rund 15 Grad,
südlich der Mittelgebirge auf 20 bis 25 Grad.


In der Nacht zum Donnerstag schwenkt der o.e. Sekundärtrog, der im Norden
scharf, im Süden dagegen nur flach konturiert ist, ostwärts über Deutschland
hinweg. Dadurch wird die Konvektion bis weit in die Nacht hinein
aufrechterhalten. Nach Mitternacht setzt dann mit NVA von Westen aber doch eine
deutliche Beruhigung ein, der Tagesgang tut sein Übriges.

Ausnahmen:

Die küstennahen Gebiete, wo sich in den Frühstunden von Jütland her ein weiterer
Randtrog nähert. So lebt gerade in Schleswig-Holstein in den Frühstunden nicht
nur die Konvektion wieder auf. Den Randtrog wird man gerade an der
Nordfriesischen Küste auch in Form der ein oder anderen Böe mit Bft 7 aus
Nordwest "spüren". Starkregen und stürmische Böen sind die Ausnahme.

Zum anderen Hochrhein und Alpenrand, wo noch immer die LMG strömungsparallel
langschleift und mal mehr, mal weniger Regen mit sich bringt - in der Regel
mengentechnisch nicht warnwürdig und ungewittrig.

In den Frühstunden bildet sich im Westen sogar ein kleines eigenständiges Hoch
mit einer 1020 hPa Isobare aus. Vor allem innerhalb dieser windschwachen
Divergenzachse (südl. Niedersachsen, NRW, RPL, Saarland, Hessen, Thüringen) ist
die Nebelneigung erhöht. Die Tiefstwerte liegen bei rund 10 Grad im Süden und an
der See, sonst bei 8 bis 3 Grad, in der Eifel bis nahe 0 Grad. In ungünstigen
Lagen gibt es erneut leichten Frost in Bodennähe.


Donnerstag... steht im Zeichen des Zwischenhocheinflusses. Der Trog über
Norddeutschland schwenkt nun erstmal ostwärts Richtung Polen und südliche Ostsee
weiter. Sein "dipolarer" Partner verbleibt am Kap Svinöy, womit die gesamte
Rotationsachse allmählich von zonale auf meridionale Orientierung kippt. Das
macht den Weg für einen Rücken frei, der sich WLA gestützt von Frankreich
ausgehend allmählich zur nördlichen Nordsee ausweiten kann. Auf dessen
Vorderseite erfährt die kleine Hochparzelle über Westdeutschland Unterstützung
und kann sich etwas kräftigen. Um 12z verläuft die Divergenzachse vom
Münsterland bis ins Vogtland.

Nördlich davon sind die Auslösetemperaturen in der westlichen Strömung, die in
Nordfriesland und an der Ostsee auch noch recht böig daherkommt (vereinzelte
Windböen Bft 7), mit 14 bis 20 Grad noch recht niedrig und werden schnell
erreicht. Für Schauer reicht es aber nur noch vereinzelt (Wolkenoberkante kaum
bei -10 Grad), am ehesten in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Luftsäule noch
ausreichend feucht und labil geschichtet ist.

Südlich davon gibt es in trockener Luft in der schwachen östlichen Strömung viel
Sonnenschein, nur vom Hochrhein bis nach Berchtesgaden sind die Wolken vor allem
am Vormittag noch dichter mit schauerartigen Regenfällen. Die Gewitterneigung
bleibt zunächst noch eher gering und auf die Grenzbereich beschränkt. Zum
Nachmittag und Abend wird zwar mit der Einstrahlung erneut CAPE generiert (an
der Grenze zur Schweiz teilweise bis 500 J/kg), das aber größtenteils noch
leicht gedeckelt ist.

Die Erwärmung der Luftmasse erfährt durch das Absinken weitere Fortschritte und
so kann sich auch die maritime Polarluft im Norden allmählich durch Alterung
umwandeln. So erreicht die 20 Grad - Isotherme bei den Höchstwerten schon eine
Linie Hannover-Berlin, am Oberrhein sind bis 27 Grad drin.


In der Nacht zum Freitag schwenkt die Achse des Rückens langsam nordostwärts und
erreicht bis zum Morgen in etwa eine Linie Bayern-Deutsche Bucht. Das bedeutet
im Umkehrschluss, dass die Südwesthälfte des Landes bereits anfällig für neue
Störungen wird, die bei ausreichend hoher Auflösung der Isohypsen tatsächlich in
Form eines flachen Kurzwellentroges auszumachen sind. Dieser greift in den
Frühstunden von Frankreich und Luxemburg auf Rheinland-Pfalz und das Saarland
über. Dabei kommt auch seichte WLA und mithin mehrschichtige Bewölkung in den
Süden und Westen des Landes voran.

Gleichzeitig hat sich am Boden eine Rinne über Frankreich etabliert, auf dessen
Vorderseite gerade nach Westen hin die schwül-warme Mittelmeerluft große
Fortschritte macht. So liegt die Theta in 850 hPa am Morgen im Südwesten bereits
bei 50 Grad, die PPW's steigen auf 30 mm. Auch die Scherung ist mit 15-20 m/s
beachtlich, zudem durch die sich langsam reinbohrende Rinne auch
richtungstechnisch gegeben. Sollte sich nachts ein MCS oder ähnliches über
Frankreich entwickeln und auf Deutschland zusteuern, macht dieser (abgehoben)
ziemlich sicher den Durchmarsch, da es kaum noch hemmende Faktoren gibt. Für
entsprechende Details ist es aber noch zu früh. ICON-D2 hat im aktuellen 03z
Lauf eine Superzelle über dem Tessin drin, im Vorlauf ähnlich. Die Gefahr eines
rechten Ausscherens ist aufgrund der Hodographen mit Sicherheit groß, was uns
vermutlich erstmal noch etwas Luft verschafft (Zugbahn eher Schweiz, Italien,
Österreich).

Sonst verläuft die Nacht vielfach gering bewölkt und windschwach. Durch die
Alterung der Luftmasse in der Nordosthälfte ist die Nebelneigung geringer als in
den Vornächten, dafür erneut frisch mit 8 bis 3 Grad mit lokalem Bodenfrost. In
der zunehmend schwülen Luft im Südwesten und Süden geht es nur auf Werte
zwischen 15 und 10 Grad zurück.

Freitag... droht in der Südhälfte Deutschlands eine Schwergewitterlage. Der
Rücken verbleibt zwar in etwa in seiner nächtlichen Ausgangslage mit seiner
Achse längs über Deutschland, wird allerdings immer flacher und von mehreren
Randtrögen überlaufen. Der markanteste erreicht zum Abend Franken.

Die Tiefdruckrinne am Boden bohrt sich im Tagesverlauf bis nach Thüringen vor
mit rund 1015 hPa. Das ist in etwa auch die Grenze, bis zu der die schwül-warme
Luft aus Südwesten vorstößt. Somit liegen bis zum Abend die Gebiete südlich des
Sauerlandes, Harzes und Erzgebirges innerhalb dieser gewitterträchtigen
Luftmasse mit PPW's bis 35 mm, ML CAPE bis 1000 J/kg und DLS um 15 m/s.
Vorrangigstes Unwetterkriterium wird demnach der Starkregen sein, der leicht 25
l/m² binnen kurzer Zeit reißen wird. Aber auch einzelne organisierte Strukturen
bis hin zu vereinzelten Superzellen mit größerem Hagel und schweren Sturmböen
sind durchaus vorstellbar. Summa summarum wird man um eine Vorabinformation wohl
nicht herumkommen.

Nördlich der Mittelgebirge bleibt es im Einflussbereich einer Hochdruckbrücke,
die sich von Schottland über Norddeutschland bis nach Belarus erstreckt noch
vielfach freundlich und trocken bei angenehmen Temperaturen zwischen 20 und 26
Grad, an der See bei auflandigem Wind 16 Grad. Im Süden schwitzt man unterdessen
bei schwülen 25 bis 29 Grad.

Modellvergleich und -einschätzung
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In den Basisfeldern sind sich die gängigen Vorhersagemodelle weitgehend einig.
Unsicherheiten bestehen vor allem noch darin, wie aktiv die Gewitteralge am
Freitag tatsächlich wird (Ausprägung und Timing der Randtröge) und wie schnell
die Luftmasse Raum nach Nordosten gewinnt. So könnten durchaus auch noch weite
Teile Sachsens, Sachsen-Anhalts und Brandenburgs von den Gewittern betroffen
sein, da die Hochdruckbrücke dort ihre Schwachstelle hat.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Robert Hausen