DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

15-05-2022 08:30
SXEU31 DWAV 150800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 15.05.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Schwierig, aber am ehesten Sa (Süd antizyklonal), auch wenn man am Montag
beide Augen zudrücken muss.

Heute HPI (High Pressure Influence), morgen und Nacht zum Dienstag teils
kräftige Gewitter und Regenfälle, Dienstag wieder allmähliche Beruhigung.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 24 UTC
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Sonntag... verbringt Deutschland unter der Nordostabdachung eines veritablen
Höhenrückens, dessen Hauptachse vom zentralen Mittelmeer via Nordsee und Island
bis nach Ostgrönland reicht. Flankiert wird der Rücken im Westen von einem
LW-Trog über dem Ostatlantik, auf dessen Vorderseite wiederholt kurzwellige
Anteile nord-nordostwärts schwenken. Einer dieser KW-Exemplare passiert heute
die Biskaya, wodurch über Frankreich Druckfall induziert wird. Heraus kommt eine
recht breite Rinne (BORA), die dem Zentraltief ASTRID über dem Ostatlantik
angeschlossen ist. Ja und was geht uns das an? - Für den heutigen Tag wenig bis
nix, aber was die morgige Entwicklung betrifft, werden heute schon die Weichen
gestellt.

Am heutigen Sonntag dominiert zunächst noch Absinken vorderseitig des Rückens
das Geschehen. Dabei hat sich eine meridionale Hochdruckzone bestehend aus
YANNES und XENOPHON gebildet, die von Grönland über weite Teile Mitteleuropas
bis zur Großen Syrte reicht. Die Macht dieser Herren ist derart ausgeprägt, dass
es heute nichts Anderes als Sonne satt bei uns geben kann. Rund 15 Stunden
beträgt die astronomisch mögliche Sonnenscheindauer im Süden, rund 16 Stunden im
äußersten Norden. Im Nordwesten musste zwar erst noch der morgendliche Nebel
getilgt werden, was aber schnell erledigt war. Danach sind nur noch einige
Cirren und ein paar wenige quellige Irrläufer am Himmel zu sehen. Trotz
Labilisierung bleibt die Gewitterneigung über dem Schwarzwald gering. Die
Temperatur steigt in der Südwesthälfte (T850 8 bis 14°C) auf 24 bis 29°C (am
Oberrhein punktuell 30°C), in der Nordosthälfte (T850 2 bis 8°C) auf 19 bis 25°C
mit der jahreszeittypischen Einschränkung "Küste und Inseln bei Seewind etwas
darunter".

In der Nacht zum Montag schwenkt der o.e. Randtrog über Frankreich hinweg gen
Benelux, wobei er aber an Kontur verliert. Es reicht aber, um den Luftdruck
weiter fallen zu lassen und weiter an der Ausprägung der Rinne zu feilen, die
nun so langsam auch ihre Fühler bis in den Westen des Vorhersageraums streckt.
Derweil folgt von der Biskaya der nächste Sekundärtrog, der schärfer als sein
Vorgänger ausgeprägt ist (stärkere Krümmung, diffluente Vorderseite) und
entsprechend über ein solides PVA-Maximum verfügt. Das reicht, um über
Frankreich konvektive Umlagerungen zu initiieren, von denen am frühen Morgen
erste Ausläufer den Westen und Südwesten des Landes treffen können. Konkret,
neben dichteren Wolken und einzelnen Schauern könnte es auch schon für
vereinzelte Gewitter reichen, auch wenn die Numerik derzeit noch sehr verhalten
agiert. Auch aus der Schweiz und dem Vorarlberg bzw. dem Allgäu heraus sind
Schauer, vielleicht sogar Gewitter nicht ganz ausgeschlossen, wobei hier
besonders French HD die treibende Kraft ist. Wenn es kracht, dann sind
Starkregen um oder etwas über 15 l/m² (Anstieg PPW auf rund 25 mm) sowie Böen 7
Bft die favorisierten Begleitparameter.

Im großen Rest des Landes sorgt die nur langsam nordostwärts weichende
Hochdruckzone für eine gering bewölkt oder klare Nacht, die immerhin eine totale
Mondfinsternis zu bieten hat. Bei der könnten übrigens die früh einsetzende
Dämmerung und der schon recht frühe Tiefstand des Trabanten ein größeres Hemmnis
als die Bewölkungsverhältnisse sein. Wenn´s nicht klappt, nächste Chance in
Deutschland Oktober 2023.

Montag... heißt geht es nach dem beschaulichen Sonntag deutlich deftiger zur
Sache. Auf den allerersten Blick sieht die Lage gar nicht mal so
besorgniserregend aus, verbleiben wir doch unter dem Höhenrücken, der sich kaum
verlagert. Allerdings - und als Mensch weiß man das nur zu genau - haben Rücken
mitunter so ihre Schwächen, die bei uns schmerzhaft sein können, in der Natur
hingegen andere Reaktionen zeigen. In diesem Fall "bohrt" sich am Montag von
Benelux und Ostfrankreich her der o.e. Sekundärtrog in die Westflanke, wodurch
im Wesentlichen PVA-bedingt synoptisch-skalige Hebung generiert wird. Hinzu
kommt, dass sich die Tiefdruckrinne weiter formiert, heißt, schmaler wird und
eine klare Konvergenzachse ausbildet, die am Mittag etwa von den Niederlanden
über die Harzgegend bis zum Westerzgebirge, am Abend dann vom Dollart bis zum
Osterzgebirge reicht.

Nord-nordöstlich der Rinne fließt mit auflebendem, aber nicht warnwürdigem
Ostwind aus dem Hoch heraus zwar zunehmend labile, auf der anderen Seite aber
auch trockene Luft in den Nordosten. Das bedeutet, dass nordöstlich der Elbe,
vielleicht sogar noch etwas weiter westwärts ausgreifend, bis zum Abend wetter-
und niederschlagstechnisch nichts passiert. Zwar wird es durch hereinziehende,
vor allem hohe und mittelhohe Wolken nicht mehr ganz sonnig wie heute, eincremen
sollte man sich trotzdem.

Synoptisch weit interessanter als der Nordosten präsentiert sich der
Wochenanfang in den übrigen Landesteilen, also in den Regionen, die
süd-südwestlich der Konvergenz liegen, wo der Wind auf westliche Richtungen
dreht. Dort wir potenziell instabile und immer feuchtere Subtropikluft
advehiert, in der das PPW vielfach auf über 30 mm steigt und die spezifische
Grundschichtfeuchte auf über 10 g/kg. Je nach Einstrahlung - man bedenke die
morgendliche und vormittägliche Bewölkung, die von Westen hereinkommt und in
seiner Durchlässigkeit für direkte Strahlung (die ja im Wesentlichen den
Energieinput triggert) schwer einzuschätzen ist - wird CAPE von z.T. über 1000
J/kg generiert. Schaut man nun noch aufs "Gewürzboard" des Konvektionsfavoriten,
fällt ein gewisses Defizit ins Auge, sprich, die Scherung ist sowohl unten als
auch in der Vertikalen zunächst schwach ausgeprägt. Erst später, wenn die
abschließende Kaltfront aufläuft, nimmt insbesondere die LLS im Westen und
Südwesten merklich zu. Auf der anderen Seite setzt dann aber auch schon
Stabilisierung und Abtrocknung ein, so dass die Überlappung alles andere als
optimal ist.

Trotzdem ist davon auszugehen, dass sich im Tagesverlauf (schwerpunktmäßig nach
Mittag) gerade im Bereich der Konvergenz bzw. knapp dahinter auf der warmen
Seite die Gewitter zumindest abschnittsweise linienartig organisieren bzw.
bogenartige Elemente ausweisen, während sonst häufig Multi- und Einzelzellen am
Start sind. Obwohl eine gewisse Verlagerungsgeschwindigkeit gegeben ist, dürfte
Starkregen ganz oben auf der Watch-Liste begleitenden Parameter stehen. 25 l/m²
kommen ganz schnell zusammen, weshalb Starkregen auch das entscheidende
Kriterium für das Ziehen der Roten Karte sein dürfte. Beim Hagel wird die ganz
große Nummer aufgrund der nicht überragenden Scherung wohl ausbleiben,
allerdings sind auch 1,5 bis 2 cm schnell mal erreicht. Beim Wind sprechen die
limitierten Höhenwinde (max. 30 Kt auf 925 und 850 hPa) sowie die relativ
schnell angefeuchtete Grundschicht (=> fehlendes oder nur schwach ausgeprägtes
inverses V in der Sondierung) für eine moderate Entwicklung mit Böen 7-8,
maximal 9 Bft. Gleichwohl ist zu beachten, dass sich die Natur immer mal wieder
gerne über die gängige Meinung aus Lehrbüchern respektive über konzeptionelle
Überlegungen hinwegsetzt, aber das ist freilich meist nur in situ zu händeln.

Die Temperatur erreicht Maxima zwischen 23 und 28°C, im Osten bei längerem
Sonnenschein lokal 29°C, im Nordosten 19 bis 24°C, direkt an der See
(auflandiger Wind) um 16°C.

Die Nacht zum Dienstag wird nicht minder interessant als der Tag zuvor. Zunächst
mal wird der kontinentale Teil des Höhenrückens von dem o.e. Sekundärtrog
überlaufen. Dabei wird zwar weiterhin Hebung generiert, die Hauptrolle übernimmt
aber die schmale Rinne bzw. die darin stark ausgeprägte Wind-Konvergenz. Beide
kommen bis zum Morgen nur mit Mühe bis zur Elbe voran, weil sie vom Hoch über
Nordeuropa bzw. dessen Keil geblockt werden. Aber genau diese sehr langsame
Verlagerungsgeschwindigkeit veranlasst insbesondere die deutsche Modellkette,
der Rinne eine hohe Wetterwirksamkeit zuzutrauen. Kurzum, in einem Streifen von
der Deutschen Bucht bis hinüber zur Lausitz werden kräftige, zunehmend
ungewittrige Regenfälle simuliert, die in wenigen Stunden 40 bis 50, lokal um
70, laut ICON-D2 sogar bis nahe 90 l/m² Niederschlag bringen sollen. Okay, Regen
ist erwünscht, gern auch viel Regen, aber bitte nicht so fette Portionen innert
so kurzer Zeit. Von den externen Modellen wird dieses Szenario nur bedingt
unterstützt (am ehesten Super HD, mit Abstrichen IFS), auch die Ensembles
reagieren verhalten. Bei ICON-D2-EPS wird das Starkregenmaximum in der ersten
Nachthälfte übrigens in Ostbayern gesehen, was wahrscheinlich den anfangs noch
auftretenden, später dann nachlassenden Gewittern geschuldet ist. Wie man sieht,
sind noch einige Fragen offen und das detaillierte Warnmanagement dazu
(Gewitter, mehrstündiger nicht-gewittriger Starkregen, evtl. sogar
12-h-Dauerregen, Vorabinfo ja/nein usw.) dürfte wahrscheinlich erst am Montag
festgezurrt werden, wenn hoffentlich die Modeloutputs einheitlicher ausfallen.

Ansonsten bleibt nur noch zu konstatieren, dass von Südwesten und Westen eine
kühlere (T850 unter 10°C) und stabilere Meeresluft einfließt, in der das
konvektive Geschehen rasch zum Erliegen kommt. Im Südwesten bilden sich einige
Nebelfelder.

Dienstag... steigen Luftdruck und Potenzial an. Es lässt sich klar erkennen,
dass sich der Rücken deutlich regeneriert und auch das Hoch über Nordeuropa
dehnt sich wieder nach Süden aus, so dass die Rinne mehr und mehr zugeschüttet
wird. Allerdings reicht das noch nicht ganz aus, das Wirken der Rinne gänzlich
auf null zu setzen. Übrig bleibt ´ne Menge Bewölkung und zwischen Niedersachen
und Sachsen bzw. dem südlichen BB auch noch zeitweilige, aber längst nicht mehr
so intensive Regenfälle. Auch die Gewitterwahrscheinlichkeit nimmt deutlich ab.
Etwas Restlabilität ist noch im Süden gegeben, wo neben einigen Schauern auch
noch mal ein Gewitter dabei sein kann (max. markant). Im Westen und Südwesten
bleibt es überwiegend trocken und die Sonnenanteile nehmen deutlich zu bei 24
bis 28°C. Viel Sonne auch an der Ostsee und im küstennahen Binnenland bei
allerdings nur 16 bis 20°C. Ansonsten erreicht die Temperatur Höchstwerte
zwischen 20 und 25°C.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die größte Prognoseunsicherheit resultiert derzeit noch in der genauen
Gewitterentwicklung am morgigen Montag sowie im Hinblick auf die potenziellen
Starkregenfälle in der Nacht zum Dienstag. Dass etwas passiert, ist unstrittig.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann