DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

08-04-2022 08:30
SXEU31 DWAV 080800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 08.04.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang von NWz (Nordwest zyklonal) zu HM (Hoch Mitteleuropa)

Heute von Frankreich her Wellentief ORTRUD mit Sturm im äußersten Süden, dazu
einzelne Gewitter und kräftige Niederschläge, die z.T. bis in die Lagen in
Schnee übergehen. Morgen klassisches Aprilwetter mit hochreichender Kaltluft. Am
Sonntag von Südwesten her Druckanstieg, aber nur zögernde Wetterbesserung.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
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Freitag... steht nach dem gestrigen Sturmtag ein weiteres synoptisches Highlight
auf der Agenda, das aufgrund seines Facettenreichtums zu einer echten
Herausforderung für das warnende Personal werden dürfte. Dabei ist das
"gestrige" Ereignis noch gar nicht richtig zu Ende, wenn man sich z.B. die
Windgeschwindigkeiten am frühen Morgen im Osten und in der Mitte sowie an der
Küste anschaut. Grund dafür ist das noch immer sehr wirksame Sturmtief NASIM,
das heute früh mit immer noch etwas unter 970 hPa an der Ostküste Schwedens
liegt, von wo aus es im Tagesverlauf den Bottnischen Meerbusen ansteuert.
Verlagerungsgeschwindigkeit und Auffülltendenzen sind eher gering, was der guten
NASIM den Charakter eines steuernden Zentraltiefs verleiht. Dabei korrespondiert
es mit dem Drehzentrum eines breit angeordneten Höhentrogs über Nordeuropa, auf
dessen Südflanke sich bei uns einer veritable Zonalströmung mit eingelagertem
Jet etabliert hat. Dieser schwächt sich in den nächsten Stunden kontinuierlich
ab respektive wird nach Nordosten abgedrängt. Ursache ist ein markanter Randtrog
über UK/Irland und dem nahen Atlantik, der langsam südostwärts schwenkt.
Entsprechend dreht die Höhenströmung bei uns zurück auf West-Südwest, was mit
einer allmählichen Auffächerung des Potenzialgradienten einhergeht.

Wichtiger als das ist aber vielmehr die Tatsache, dass besagter Randtrog mit
einem kleinen aber feinen Wellentief interagiert, das heute früh vor der
bretonischen Küste verortet ist. ORTRUD heißt die "Dame" und die Tatsache, dass
die Kollegen von Meteo-France ihr einen eigenen Namen gegeben haben (int. DIEGO)
unterstreicht, dass dieses Tief was auf dem Kasten. Noch ist es allerdings zu
weit weg, um unserem Wetter nachhaltig den Stempel aufzudrücken, aber was nicht
ist, wird sicherlich noch werden. Fakt ist, dass ORTRUD heute früh einen
Kerndruck von etwas unter 990 hPa aufs Barometer bringt, was um ein paar
Hectopascal niedriger liegt als von den meisten Modellen simuliert. Im Laufe des
Tages wird das Tief über Zentralfrankreich ostwärts ziehen, wobei es aus dem
entwicklungsgünstigen Bereich des Randtrogs herausläuft und sich dementsprechend
nicht mehr vertieft, sondern leicht auffüllt.

Nun zu uns, wo wir die heutige Entwicklung grob in zwei Zonen einteilen können.
Fangen wir mit dem etwas einfacheren, aber keinesfalls uninteressanten Norden
an, wo sich ein Schwall maritimer Polarluft breitgemacht hat (T850 um -4°C).
Aufgrund der glatten Höhenströmung konzentriert sich die höhenkälteste Luft
(T500 unter -30°C, teils bis nahe -35°C) auf den äußersten Norden, wo die
Luftmasse entsprechend am labilsten geschichtet ist. Bereits heute früh sind
erste Gewitter aufgetreten und auch tagsüber dürfte sich die meiste konvektive
Aktivität auf den äußersten Norden konzentrieren. Neben kurzen Graupelgewittern
mit Böen 7-8 Bft (die Oberwinde nehmen langsam ab, daher später vielleicht auch
nur "gelbe" Gewitter am Start) entwickeln sich bei wechselnder Bewölkung und
gelegentlichem Sonnenschein Regen-, Graupel- und Schneeregenschauer. Je weiter
südlich man in die Norddeutsche Tiefebene reingeht bzw. sich dem nördlichen
Mittelgebirgsraum nähert, desto stabiler die Schichtung und desto geringer die
Schauerwahrscheinlichkeit. Dabei spielt sicherlich auch die von Süden
einsetzende WLA eine Rolle, die für eine gewisse Deckelung respektive
Stabilisierung sorgt.
Zum Wind, der in der Nordosthälfte - der Dank geht an NASIM - aus westlichen
Richtungen kommend noch längere Zeit lebhaft und böig unterwegs ist, bevor zum
Nachmittag und Abend von Süden und Südwesten her eine merkliche Abnahme zu
verzeichnen ist. Meist liegen die Böen bei 7 Bft, an der See (vor allem Ostsee
und nordfriesische Küste), auf den Bergen sowie in Schauernähe 8, vereinzelt 9
Bft.

Vom Norden in den Süden, wo es sich die gestern über das Land gezogene Kaltfront
noch nördlich der Alpen gemütlich gemacht hat. Mit dem Müßiggang hat es sich
aber bald erledigt, wird die Front doch neu aktiviert, wobei sie allerdings in
die Rolle einer Warmfront schlüpft. Das muss so sein, weil die Front nicht mehr
nach der Pfeife von NASIM tanzt, sondern zunehmend an das Wellentief gekoppelt
ist. Kurzum, die Warmfront löst sich mehr und mehr aus dem äußersten Süden und
bewegt sich langsam nordwärts. Langsam auch deswegen, weil sich vor dem
eigentlichen Tief immer wieder flache Wellen an der Front bzw. in einer nach
Osten reichenden Rinne entlanghangeln, die einer schnelleren Verlagerung alles
andere als förderlich sind. Bedingt durch die einsetzende WLA, durch die
besagten Wellen sowie frontaler Hebungsimpulse (die Baroklinität ist nicht zu
verachten) kommt es zu skaligen Dauerniederschlägen, die sich aus dem äußersten
Süden und Südwesten bis zur Mitte ausbreiten. Der Schwerpunkt lässt sich dabei
eindeutig im Südwesten ausmachen, wo akkumuliert über 12 h 10 bis 25 l/m², im
Stau des Schwarzwalds lokal um oder etwas über 30 l/m² zusammenkommen können.
Vor dem Hintergrund weiterer Niederschläge in der kommenden Nacht wurden die
Dauerregenwarnungen nach Norden bis zu einem vom Saarland bis ins westliche
Franken reichenden Streifen ausgeweitet.

Doch damit nicht genug, zum Nachmittag hin gelangt ein Schwall feuchter und
labil geschichteter Subtropikluft in den Südwesten, in der es auch mal
auflockert. Ausgelöst durch die Orografie, aber auch durch markante
Windkonvergenzen im Bereich der Rinne (NO vs. SW), die bei Oberwinden von bis zu
65 Kt in 850 hPa und gut geschertem Umfeld durchaus von schweren Sturmböen 10
Bft, vielleicht sogar einer orkanartigen Böe 11 Bft sowie kurzem aber knackigen
Starkregen um 15 l/m² in kurzer Zeit begleitet sein können. Und während auf der
einen Seite fast schon frühsommerlich anmutende Konvektion am sprudeln ist (wenn
auch sicherlich nicht verbreitet), setzt nur wenige Kilometer weiter nördlich
der Winter noch mal einige Duftmarken. Konkret, starke Hebungs- und
Niederschlagsabkühlung gepaart mit dem Ansaugen maritimer Polarluft aus dem
Norden lassen den Regen im nördlichen Teil des Niederschlagsgebietes zunehmend
in Schnee oder Schneeregen übergehen. Betroffen ist vor allem ein Streifen von
Eifel/Hunsrück über den Spessart bis hinüber zum Fichtelgebirge und dem
Westerzgebirge. Oberhalb etwa 400 bis 600 m könnte es schon tagsüber trotz
Strahlung und Bodenwärmestrom für eine dünne Nassschneeauflage zumindest auf
Grünflächen und den üblich verdächtigen Objekten reichen.

So, und als ob das nicht schon alles genug ist, kommt zu allem Überfluss nun
auch noch Wind respektive Sturm ins Spiel. Südlich der Rinne (südliches BaWÜ,
südliches BY) zieht der Südwestwind von Frankreich und der Schweiz her deutlich
an und erreicht in Böen Stärke 8-9 Bft, vereinzelt 10 Bft (vor allem natürlich
bei Gewittern), auf den Gipfeln von Schwarzwald und Alpen gar bis 12 Bft.
Die Temperatur erreicht landesweit Höchstwerte von 5 bis 13°C.

In der Nacht zum Samstag erreicht der Randtrog Frankreich. Auf seiner
Vorderseite steuern die sehr flotten west-südwestlichen Höhenwinde das
Wellentief zügig über den Süden (etwa die Donau entlang) ost-nordostwärts.
Dahinter dreht der Wind markant von Südwest auf Nordwest bis Nord, womit nicht
nur die Warmfront - nun wieder in der Rolle einer Kaltfront - rückläufig wird,
sondern sich folgerichtig auch die Polarluft bis zu den Alpen ausbreitet.
Anfängliche Gewitter mit ähnlichen Begleiterscheinungen wie am Tage sind ebenso
am Start wird teils kräftige Niederschläge, die z.T. bis in tiefe Lagen in
Schnee übergehen. Vor allem zwischen Main und Donau könnte sich bei hoher
Intensität eine 1 bis 5 cm dünne Nassschneedecke bilden und in mittleren sowie
höheren Lagen des Pfälzer Waldes, des Odenwalds, einiger nordbayerischer
Mittelgebirge bis zum Erzgebirge sowie des Schwarzwalds und der nördlichen Alb
sind durchaus um 10 cm Neuschnee innert weniger Stunden möglich. An den Alpen
fällt weniger Schnee, allerdings sinkt auch dort die Schneefallgrenze auf unter
1000 m.
Nach einer kurzen abendlichen Schwäche frischt der Wind im äußersten Süden noch
mal stürmisch auf mit Spitzen bis zu 10 Bft, auf den Bergen mehr, zieht sich bis
zum Morgen aber an/in die Alpen zurück. Einzig im Südostzipfel Bayerns kann es
kurz vorm Brötchenholen noch stürmisch sein.

Weit gediegener als im Süden gestaltet sich die Nacht im Norden sowie in weiten
Teilen der Mitte. Insbesondere an der See sowie in den Mittelgebirgen reicht es
noch für den einen oder anderen Regen-, Graupel- oder Schneeschauer. Sonst
bleibt es aber vielerorts trocken, wobei auch die Bewölkung mitunter auflockert.
Frost/Glätte beschränkt sich im Wesentlichen auf die höheren Lagen der zentralen
Mittelgebirge (Schneeschauer, gefrierende Nässe). Der W-NW-Wind lässt weiter
nach, Böen 7, vereinzelt 8 Bft treten am ehesten noch an der Küste sowie in
einigen exponierten Hochlagen auf.

Samstag... schwenkt der o.e. Randtrog zu uns rein, wobei die Bezeichnung "Rand"
inzwischen deutlich untertrieben ist. Der Trog gliedert sich dem hochreichenden
Drehzentrum NASIM an, das nach wie vor über dem Bottenbusen thront. Rand hin,
Trog her, entscheidender ist die Tatsache, dass das ganze Land mit hochreichen
kalter und labil geschichteter maritimer Polarluft geflutet wird, die straight
ahead vom Nordmeer zu uns strömt. Während auf 850 hPa rund -4°C gemessen werden,
sind es auf 500 hPa rund -34°C.

Wettermäßig kann das Ganze im Gegensatz zum Vortag kurzgehalten werden. Es
stellt sich ein klassischer Apriltag mit wechselnder Bewölkung, Regen-, Graupel-
und Schneeschauern sowie kurzen Graupelgewittern ein. Die Schneefallgrenze liegt
bei guter Durchmischung bei rund 400 m (je nach Intensität +/-), eine
nennenswerte Neuschneeakkumulation ist aber nicht erkennbar. Lediglich an den
Alpen, wo die Schauerfrequenz höher ist bzw. es durch Stau auch mal längere Zeit
am Stück schneit, reicht es bis in die Nacht zum Sonntag für 5 bis 10 cm, lokal
um 15 oder gar bis 20 cm. Mit Ausnahme des Südens und Südwestens weht ein
frischer und - klassisch für Kaltluft - stark böiger West- bis Nordwestwind mit
Böen 7 Bft, an der See sowie in Verbindung mit konvektiven Umlagerungen 8 Bft,
vereinzelt sowie in exponierten Hochlagen 9 Bft. Dazu erreicht die Temperatur
Höchstwerte von 6 bis 11°C, in höheren Lagen sowie an den Alpen darunter.

In der Nacht zum Sonntag schwenken thermischer und Potenzialtrog langsam
ostwärts. Gleichzeitig steigt der Luftdruck von Südwesten her, was sich vor
allem im Süden in Form eines veritablen Bodenkeils (das Hoch selbst verbringt
die Nacht in Frankreich) widerspiegelt. Bedingt durch den Tagesgang lässt die
Schaueraktivität nach, kommt aber nicht ganz zum Erliegen. An der See, in den
Mittelgebirgen sowie ganz im Süden fallen noch Schnee-, an der Küste
Regenschauer. Insbesondere an den Alpen reicht es nochmals für einige Zentimeter
Neuschnee. Mit Ausnahme der Küste und einiger Hochlagen (7-8 Bft, lokal 9 Bft)
schwächt sich der leicht rückdrehende Wind soweit ab, dass er keine
Warnschwellen mehr erreicht. Vor allem in der Mitte und im Süden geht die
Temperatur gebietsweise in den leichten Frostbereich zurück, streckenweise
Glätte durch gefrierende Nässe und/oder leichten Schneefall gratis dazu.

Sonntag... verschärft sich das meridionale Strömungsmuster. Auf der einen, knapp
östlich von uns gelegenen Seite der von Nordeuropa bis über das Ionische Meer
hinausragende Höhentrog. Auf der anderen, knapp westlich von uns gelegenen Seite
ein nicht minder amplifizierter, von NW-Afrika über Island hinausreichender
Höhenrücken. Deutschland befindet sich genau zwischen den Stühlen unter einer
glatt konturierten nordwestlichen Höhenströmung. Am Boden steigt der Luftdruck
weiter an, indem sich das Zentrum des "französischen" Hochs bis nach
Süddeutschland verlagert ((knapp über 1020 hPa). Da über Skandinavien aber
weiterhin niedriger Luftdruck herrscht, bleibt im Norden und Osten ein
leidlicher Gradient erhalten, der mit Unterstützung des Tagesgangs einen flotten
West-Nordwestwind generiert (meist Böen 7 Bft, bei Schauern oder an der Ostsee
vereinzelt 8 Bft). Zudem entwickeln sich erneut teils gewittrige Regen-,
Graupel- und Schneeschauer, die aber nicht mehr so hoch reichen wie am Vortag.
Am wenigsten in puncto Konvektion tut sich im Südwesten, wo durch den Vorstoß
des Hochs eine Stabilisierung erkennbar ist, die sich auch in einer erhöhten
Sonnenscheindauer widerspiegelt. Bei T850, die weiterhin um -5°C liegen, wird es
nicht wärmer als 6 bis 13°C mit den höchsten Werten im Rheintal.

Die Nacht zum Montag bringt eine weitere Antizyklonalisierung des gesamten
Strömungssetups. Die Folge: abklingende Schauertätigkeit (am ehesten noch
einzelne Schauer im Osten sowie an der See), teils auflockernde Bewölkung,
gebietsweise Frost, abflauender Wind.

Modellvergleich und -einschätzung
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Auch wenn die Modelle gut übereinstimmende Basisfelder liefern, einfach ist die
Prognose nicht. Am schwierigsten gestaltet sich die Niederschlagsprognose in der
kommenden Nacht hinsichtlich der Phase. Dass Schnee am Start sein wird, ist
unstrittig. Die Fragen sind "nur": Wie weit runter, wo genau, wie stark, wie
wirkt der Bodenwärmestrom dagegen - schwierig! Ein gut mögliches, aber nicht in
Stein gemeißeltes Szenario wurde im Text beschrieben. Erste Warnungen sind am
Nachmittag zu erwarten.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann