DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

06-04-2022 17:30
SXEU31 DWAV 061800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 06.04.2022 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Am Donnerstag Kaltfrontpassage mit teils schweren Sturmböen und eingelagerten
Gewittern. Am Freitag im Süden weiterer Regen, im Schwarzwald kräftig und auch
stürmisch, in der Nacht zum Samstag zwischen Main und Donau Übergang in Schnee.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 12 UTC
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Aktuell ... liegt Deutschland an der Südflanke eines komplexen Höhentiefs mit
Zentrum über Finnland respektive Schottland. In der südwestlichen Strömung
schwenkt ein flacher Rücken ostwärts Richtung Polen ab, womit der überwiegend
antizyklonal geprägte Tag im Warmsektor des Tiefs NASIM endet.
In den kommenden Stunden schwenkt also von Westen ein schwacher Randtrog nach
Deutschland, der die west-südwestliche Höhenströmung allmählich zyklonaler
aufstellt. Unter dieser ist eine schwache Kaltfront eingebettet, die im
thermischen Feld kaum zu finden ist, sich allerdings sehr schon in den
Fernerkundungsdaten wiederspiegelt und auf den Nordwesten übergegriffen hat.

Dabei kommt es zu schauerartigen Regenfällen, die in der Nähe des
Okklusionspunktes über Schleswig-Holstein auch mal kräftiger sein können (bis 10
l/m² binnen 3h). Bei diesem Low Cape - High Shear Setup sind vereinzelte
Gewitter nicht gänzlich ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Gleiches gilt für
einzelne orographisch initiierte konvektive Umlagerungen über Süddeutschland, wo
über dem Schwarzwald und der Alb sowie aus den Alpen heraus in den Abendstunden
ebenfalls einige Schauer aufziehen. Dort ist die Scherung deutlich verringert
und es handelt sich allenfalls um kurze Einzelzellen.

Im Laufe der Nacht wird die Kaltfront durch eine postfrontal einlaufende
Okklusionsstaffel quasi regeneriert. Auf dem Weg nach Osten entfernen sich die
Niederschläge aus dem Trogbereich und schwächen sich immer weiter ab. So bleibt
es gerade Richtung Sachsen und Brandenburg auch gebietsweise trocken. Unter den
Wolken bleibt es recht mild mit Tiefstwerten zwischen 9 und 4 Grad.

Der Wind lässt tagesgangbedingt vorübergehend nach, bleibt nur in Küstennähe und
im Bergland lebhaft und nimmt erst ausgangs der Nacht westlich der Weser langsam
zu mit vermehrten Wind-; im Bergland, anfälligen Leelagen und an der Nordsee
Sturmböen aus Südwest. Der Auftakt einer neuerlichen Sturmserie.

Donnerstag ... greift das Höhentief über Schottland zunächst zur Nordsee und bis
zum Abend auch nach Jütland aus. Das korrespondierende Bodentief NASIM zieht
nahezu achsensenkrecht ebenfalls über die Nordsee hinweg und erreicht zum Abend
die dänische Küste. Sein Kerndruck von rund 970 hPa bleibt dazu größtenteils
unverändert. Im Prinzip ein "handelsübliches" mittelprächtiges Sturmtief, wären
da nicht zwei pikante Details:

Zum einen verschärfen sich durch einen Warmluftberg über der Biskaya in der Höhe
die Temperaturgegensätze und an der Südflanke baut sich ein markanter Jetstreak
auf, der bis zum Abend bis an die 150 Knoten in 300 hPa über der Normandie
erreicht. Deutschland liegt damit größtenteils im hebungsfördernden linken
Ausgangsbereich. Dieser korrespondiert mit der Kaltfront, die sich zur
Mittagszeit etwa von der Eifel über den Harz bis nach Vorpommern erstreckt. In
deren Umfeld sind Höhenwinde von 60 Knoten in 850 hPa zu verzeichnen. Durch die
Geschwindigkeitsscherung führt das zu 20-25 m/s zwischen 0 und 1 km und 30-40
m/s zwischen 0 und 6 km. ML Cape ist allerdings nur sehr sporadisch vorhanden.
Einzelne gewittrige Einlagerung in der scharf definierten Linie, die auch in den
Pseudoreflektivitäten der hochauflösenden Modelle simuliert wird, wird es aber
aufgrund der starken Hebung wohl geben. Dabei drohen mit Frontdurchgang
verbreitet Böen der Stärke 9-10 Bft. Orkanartige Böen können nicht ganz
ausgeschlossen werden. Signale beim ICON-D2 EPS gibt es dafür aber so gut wie
keine. Dementsprechend werden Unwetterwarnungen nur für die exponierten
Gipfellagen der Mittelgebirge ausgegeben. Als sonstige Begleiterscheinungen gibt
es allenfalls im Südwesten bei langsamer Verlagerung und PPW's um oder knapp
über 15 mm warntechnisch relevanten Starkregen um 15 l/m² binnen einer Stunde
und kleinen Hagel oder Graupel. Glücklicherweise muss man sagen, sind die
Hebungskondensationsniveaus mit 800 bis 1000 m recht hoch. Gerade im zentralen
und westlichen Mittelgebirgsraum kann man sich kurzzeitig und kleinräumig aber
durchaus die ein oder andere Großtrombe vorstellen - gerade eine Zunahme des
postfrontalen Druckanstiegs und eine nicht unerhebliche cross-frontale
Winddrehung, die sich im orographisch gegliederten Gelände noch verstärken kann.
Bis zum Abend erreicht die Kaltfront die Bereiche vom Schwarzwald über
Mittelfranken bis zum Erzgebirge.

Postfrontal sorgt kräftige KLA für Absinken (postfrontale Subsidenz), bevor sich
(isolierte) Schauer und Gewitter des Trogbereiches von Nordwesten bemerkbar
machen. Und damit sind wir beim ...

Zum anderen: Wie so häufig bei derartigen Sturmtiefs greift an dessen
unmittelbarere Südflanke ein markanter Bodentrog in den Abendstunden auf den
Nordwesten über. Das heißt, nach vorübergehend Windabnahme legt dieser erneut zu
und es treten im Nordwesten auch abseits der Schauer (T500 sinkt unter -30 Grad)
verbreitet Sturmböen (Bft 8 bis 9), über der freien Nordsee auch schwere
Sturmböen (Bft 10) aus Südwest bis West auf. Der Höhenwind ist im Trogbereich
aber generell etwas schwächer und erreicht nur noch vereinzelt Geschwindigkeiten
bis 50 Knoten, das größere Gefahrenpotential geht definitiv von der
Kaltfrontpassage aus. Die HKN's sinken von Nordwesten zwar auf 400 m ab, die
Scherung aber gleichermaßen ebenfalls.

Am mildesten wird es vor Kaltfrontpassage noch in Niederbayern und der Lausitz
mit 15 bis 18 Grad. Sonst liegen die Höchstwerte meist zwischen 10 und 15 Grad.


In der Nacht zum Freitag kommt die Kaltfront über dem Süden des Landes in ein
zunehmend strömungsparalleles Umfeld und gerät ins Schleifen. Im weiteren
Verlauf wird sie rückläufig und mündet als Warmfront in das neue Tief ORTRUD,
das zum Morgen die Bretagne erreicht. Die Tatsache, dass dies bereits von den
Kollegen von Meteo-France den internationalen Namen Diego erhalten hat, spricht
dafür, dass das ebenfalls nicht von "schlechten Eltern" sein wird, aber dazu
später.

So regnet es im Süden noch längere Zeit schauerartig verstärkt, anfangs auch
noch teils gewittrig durchsetzt. Im Laufe der Nacht ziehen sich die
Niederschläge zunehmend zu den Alpen zurück. Bis Freitag Früh fallen in diesem
Zusammenhang um die 10, im Südschwarzwald und Allgäu 20 bis 30 l/m², in
Staulagen auch etwas mehr. Die 65 l/m² vom ICON 12 UTC Lauf im Südschwarzwald
scheinen aber doch etwas übertrieben zu sein und passen weder zu den anderen
deterministischen Modellen als auch zum EPS (90% Perzentil von COSMO-LEPS bei 50
l/m², ICON-EU EPS immerhin bei 60 l/m²).

Auf der Rückseite strömt ein Schwall subpolarer Meeresluft nach Deutschland,
womit die 850 hPa Temperaturen auf 0 Grad an den Alpen und -6 Grad im Nordosten
zurückgehen. Die Schneefallgrenze sinkt dementsprechend in der Mitte bis in die
Kammlagen auf rund 400 bis 600 Meter ab (nur noch einzelne Schauer, die kaum
noch ergiebig sind mit < 5 l/m²), an den Alpen bis zum Morgen auf rund 1200 m.


Im Norden sind die Schauer im Trogbereich (das eigentliche Tief NASIM zieht sich
nordostwärts zur nördlichen Ostsee zurück) noch zahlreicher, aber im Flachland
nur vereinzelt mit Graupel vermischt. Der Wind ist allerdings weiter markant.
Während er im Süden mit Frontanschmiegung an die Alpen bis Mitternacht rasch
nachlässt, geht im Norden ein weiteres Maximum im Bodentrogbereich von West nach
Ost durch. Allerdings setzen die Modelle auf eine geringfügige Entkopplung der
Grenzschicht (was auch realistisch ist u.a. dank etwas nächtlicher
Stabilisierung/Ausstrahlung, besonders im Nordosten), sodass meist nur starke
bis stürmische Böen Bft 7 bis 8 aus
West zu erwarten sind. Im Küstenumfeld tritt voller Sturm, exponiert auch
schwerer Sturm (Bft 10) auf.

Die Temperaturen gehen bis in die Frühstunden auf 7 bis 2, im höheren Bergland
bis in den leichten Frostbereich zurück.

Freitag ... stell sich eine Dreiteilung über Deutschland ein.

Im Norden...schwenkt der Höhentrog nach Nordpolen und zum Baltikum weiter und
die Strömung glättet einmal komplett zonal durch über Mitteleuropa. Der
küstennahe Bereich verbleibt noch in der höhenkalten Luft mit teils bis -35 Grad
in 500 hPa und Lapse Rates von -0.8K pro 100 m in einer niedertroposphärisch
ordentlich labilen Schichtung. Die Tops reichen bis 500 hPa rauf. ML CAPE ist
allerdings marginal, da die Luftmasse sehr trocken ist. So sind es allenfalls
kurze Graupelgewitter mit 1-2 Blitzen pro Zelle, die warntechnisch kaum in den
Griff zu bekommen sind. Der Wind ist noch stark böig mit Bft 7, im Ostseeumfeld
auch noch längere Zeit stürmische Bft 8.

Im Süden...das zunächst noch flache Wellentief ORTRUD über der Bretagne agiert
nun nahezu perfekt mit einem scharf gekrümmten Höhentrog über den Britischen
Inseln, der durch Höhendivergenz eine starke Intensivierung/Vertiefung erfährt.
Inzwischen wird immerhin recht unisono, ein kräftiges dipolartiges Tief mit
Hauptzentrum mit Kerndruck um 995 hPa zur Mittagszeit noch immer über der
Bretagne und einem zweiten Kern mit geringfügig höherem Kerndruck über
Ostfrankreich zu erwarten ist. Die über Süddeutschland befindliche
Luftmassengrenze wird damit wieder aktiv und als Warmfront nordwärts geführt.

Im Warmsektor wird die Schichtung im Tagesverlauf zunehmend labilisiert, so dass
die Niederschläge vermehrt konvektiv verstärkt und mithilfe der Orographie
eventuell auch gewittrig ausfallen können (bevorzugt Schwarzwald). Zudem frischt
der Wind an der Südflanke wieder auf mit starken bis stürmischen Böen (Bft 7 bis
8), im Bergland Sturmböen (Bft 9), auf dem Feldberg Böen bis Orkanstärke.

Wie weit der Niederschlag dabei nordwärts ausgreift und auf der kalten Seite
durch Niederschlagsabkühlung bis auf welches Höhenniveau in Schnee übergeht, ist
noch mit Unsicherheiten behaftet. Höchst wahrscheinlich wird es in einem
schmalen Streifen über der Mitte einen Bereich kompensatorischen Absinkens geben
(3. Zone), wo vorübergehend ruhiges, wenn auch nicht unbedingt freundliches
Wetter vorherrscht. Im Bereich mehrschichtiger, aus Südwesten aufziehender
Bewölkung fällt aber nur gebietsweise etwas Regen. Schneefall sollte zumindest
tagsüber - selbst in den Kammlagen - aufgrund der fortgeschrittenen
Globalstrahlung bei positiven Belagstemperaturen glättetechnisch (noch)
unkritisch sein.

In der Nacht zum Samstag wird es extrem spannend, wenn das Tief ORTRUD auf
Lothar-ähnlicher Zugbahn über Süddeutschland ostwärts hinweg zieht. Der
rückseitige Druckanstieg ist immens und sollte nahezu dreistellig sein (mehr als
10.0 hPa binnen 3 h). Druck- und Temperaturfeld sowie Lage des Jets lassen auch
eine Shapiro-Keyser ähnliche Entwicklung mit warmen Kern zu. Erst die
rumgewickelte Okklusion markiert den eigentlichen (Kaltfront-)Bereich, wo es
nachfolgend deutlich kälter wird. Auch wenn die Details noch sehr unsicher sind,
kann man grundsätzlich festhalten:

Im Süden regnerisch und stürmisch, südlich der Donau vorübergehend leicht föhnig
und kaum Regen.

Nördlich anschließend - wahrscheinlich in einem Streifen von Rheinland-Pfalz bis
zum Erzgebirge länger anhaltende Niederschläge (10-20 l/m² binnen 12 Stunden),
später von Westen abklingend. Dabei absinkende Schneefallgrenze je nach
Intensität teils bis in tiefe Lagen. Somit ist nochmals eine morgendliche weiße
Überraschung in einigen Landesteilen möglich.

Abseits davon teils aufgelockert und nur in Küstennähe noch einzelne Schauer.
Dazu wird es wieder frisch mit zwischen +5 und -2 Grad, im Nassschneefall um 0
Grad.

Samstag ... hat sich aus der einst zonalen Strömung eine Meridionale entwickelt
mit einem markanten Trog über Mitteleuropa mit T500 unter -35 Grad, der aber
zügig nach Osten schwenkt. Die kräftigen skaligen Niederschläge der Nacht
weichen wechselhaftem Schauerwetter mit kurzen Gewittern und stark böigem und
sehr kühlem Westwind (verbreitet Bft 6 bis 7, im Nordosten auch 8). Das meiste
CAPE (mit allerdings auch allenfalls knapp 100 J/kg) wird im Nordwesten
simuliert, wo der niedertroposphärische Feuchteintrag von der Nordsee noch am
größten ist). Die Schneefallgrenze pendelt von Nord nach Süd zwischen 500 und
800 m und in einigen Staulagen (v.a. Sauerland, Harz) sind zeitweise auch
kräftige Schneeschauer möglich. Auch an den Alpen schneit es noch längere Zeit
mit 5, in Staulagen bis um 10 cm binnen 12 Stunden. Die Höchstwerte erreichen in
der gut durchmischten Luftmasse 6 bis 10 Grad.



Modellvergleich und -einschätzung
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Die jüngsten Läufe haben die Niederschlagssummen im Schwarzwald sukzessive
reduziert, so dass sich statt einer Unwetterwarnung eher eine ausgereizte
markante Warnung angeboten hat. Bezüglich der Kaltfrontpassage besteht
weitestgehend Einigkeit, was das Timing und die maximalen Böen betrifft.

Die vorliegenden 12z Läufe haben nun auch die Tiefentwicklung am Freitag über
Frankreich und Süddeutschland recht einheitlich drin mit dipolartigem Kern,
aktiver Luftmassengrenze und scharfen Gradienten an der Südwestflanke des
westlichen Kerns über der Bretagne. Bezüglich der genauen Zugbahn, Wind- und
Niederschlagsentwicklung in der Nacht zum Samstag gibt es aber noch größere
Unschärfen. Das derzeit wahrscheinlichste Szenario wurde im Text kommuniziert.
Vor allem in Sachen Windentwicklung besteht aber durchaus hohes
Gefahrenpotential für "mehr" bis in den Unwetterbereich hinein.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Robert Hausen