DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

05-04-2022 08:30
SXEU31 DWAV 050800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 05.04.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal)

Windiger und wechselhafter, vielfach milder Witterungsabschnitt. Am Donnerstag
Frühjahrssturm NASIM, noch mit einigen Prognoseunschärfen.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC
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Dienstag... zeigt die großräumige Potenzialverteilung einen breit angelegten
Trog über Nordeuropa mit Drehzentrum über Skandinavien. Für den Vorhersageraum
resultiert daraus eine lebhafte, leicht zyklonal konturierte west-nordwestliche
Höhenströmung, in die zumindest heute keine signifikanten Kurzwellen eingelagert
sind. Korrespondierend zum Höhentrog finden sich in der Bodenwetterkarte zwei
Tiefdruckgebiete, von denen eines bald die Rente einreicht, während das andere
erst am Anfang einer wahrscheinlich prominenten Karriere steht.

Fangen wir mit Tief #1 an, weil es für das heutige Wettergeschehen
verantwortlich zeichnet. Es handelt sich um MIRELLA, ein ausgewachsenes
Sturmtief, das heute früh (06 UTC) mit einem Kerndruck von etwas unter 970 hPa
am Westeingang des Finnischen Meerbusens lag. Seine Achse ist quasisenkrecht und
so verwundert es nicht, dass die Numerik keine weitere Intensivierung des Tiefs
mehr simuliert. Auf der anderen Seite füllt sich die gute MIRELLA auf ihrem Weg
nach Finnland - die Zuggeschwindigkeit ist sehr pomadig, wodurch sie sich den
Titel eines steuernden Zentraltiefs verdient - nur wenig auf, so dass die
Kernisobare von zumindest 975 hPa bis zum Datumwechsel erhalten bleibt. Wie auch
immer, wichtiger für uns ist die Tatsache, dass auf der Süd- bzw. Südwestflanke
eine mäßige bis frische westliche Grundströmung generiert wird, in der der Wind
zwar merklich unterwegs bleibt, im Vergleich zu gestern aber ein bis zwei Gänge
zurückschaltet. Vor allem vom Süden bis in die Mitte sowie im Nordosten werden
Böen der Stärke 7 Bft, anfangs sowie allgemein im Bergland 8 Bft, in exponierten
Hochlagen 9 Bft erreicht, Tendenz am Nachmittag und Abend nachlassend.

Darüber hinaus gilt es natürlich die Kaltfront des Sturmtiefs zu erwähnen, die
nach Norddeutschland eingedrungen ist, dort aber nicht mehr so richtig weiter
vorankommt. Ursache ist ihre zunehmend strömungsparallele Exposition sowie die
Tatsache, dass sie nach Westen hin in eine Warmfront übergeht, womit wir bei
Tief #2 wären. Hierbei handelt es um die noch recht junge NASMIN, die den
heutigen Tag nordwestlich von Schottland verbringt. Ausgestattet mit zaghaften
1000n hPa arbeite die Gute an ihrer Performance, indem sie harmonisch mit einem
von Island südwärts schwenkenden, markant ausgeprägten Sekundärtrog interagiert.
Stetiges Auspumpen sorgt dafür, dass das Tief am Tagesende auf etwas unter 985
hPa kommt, was - so viel sei an dieser Stelle schon verraten - noch nicht das
Ende der Fahnenstange darstellt.
Zurück aber noch mal zur Front, die im Tagesverlauf wieder rückläufig wird
respektive als Warmfront nordostwärts schwenkt. Damit setzt sich in weiten
Teilen des Landes relativ milde Atlantikluft durch (T850 1 bis 4°C), während die
postfrontal eingeströmte maritime Polarluft (T850 immerhin bis zu -6°C) mehr und
mehr gen Nordosten abgedrängt wird. An der Front sowie auf der warmen Seite
kommt es heute zu weiteren Niederschlägen, die sich peu a peu nordostwärts
verlagern. Die Schneefallgrenze steigt bis in die Kammlagen der Mittelgebirge an
bzw. teilweise sogar darüber hinaus, in den Alpen (wo allerdings nicht mehr viel
fällt) auf über 1500 m. Zwar kommen in einigen Staulagen der Mittelgebirge 10
bis 15 l/m² Regen zusammen, eine Ausdehnung der laufenden Warnungen (Westen
Dauerregen, Thüringer Wald Tauwetter) drängt sich nicht unbedingt auf.
Aufdrängen tut sich heute auch die Sonne nicht, fast überall bleiben die
Schotten heute dicht. Die größten Chancen für einige Lücken haben die
Ostseeküste (eher am Vormittag) und der Alpenrand (eher im Tagesverlauf). Die
Temperatur erreicht Maxima zwischen 6 und 13°C mit den höchsten Werten im
Westen.

Die Nacht zum Mittwoch verbringen wir weitgehend im breit aufgespannten
Warmsektor des sich mausernden Tiefs NASIM. Die letzten Reste polarer Meeresluft
im Nordosten werden bis zum Morgen endgültig abgedrängt. Während es nach Süden
hin zunehmend abtrocknet, ohne dass aber die Wolkendecke nennenswert aufreißt,
regnet es im Norden und Nordosten noch längere Zeit. Die Mengen bleiben mit
unter 10 l/m² innert 12 h aber im überschaubaren Bereich. Der allgemein auf
Südwest drehende Wind legt außer in den Hochlagen zunächst eine kleine
Kunstpause ein, bevor er in der zweiten Nachthälfte im Nordwesten, speziell an
der Nordsee wieder auflebt (Böen 7 Bft, Küste 8 Bft, Hochlagen 8-9 Bft, Brocken
10 Bft).

Mittwoch... schwenkt der o.e. Sekundärtrog über dem nahen Atlantik südwärts,
wodurch die Höhenströmung bei uns leicht auf West-Südwest rückdreht. Dabei nimmt
sie vorübergehend eine indifferente bis leicht antizyklonal gekrümmte Struktur
an, wie es durchaus typisch für Warmsektoren ist. In genau diesem werden wir
nämlich weite Strecken des morgigen Mittwochs verbringen. Und während die
alternde MIRELLA über Finnland ihren wohlverdienten Ruhestand genießt und sich
dabei immer weiter auffüllt (klingt in Verbindung mit "Damen" uncharmant, ist
aber so), denkt Nachfolgerin NASMIN über Nachwuchs nach. Nein, sie denkt nicht
nur nach, sie handelt sogar. Heißt, während der Ursprungskern des Tiefs immer
dichter an die Äußeren Hebriden heranrückt (Kerndruck etwas unter 975 hPa),
bildet sich an der Okklusion über der Nordsee ein Teiltief. Die Kaltfront des
nunmehr als Doppelsystem fungierenden Tiefs greift schleifend von der Nordsee
her auf Nordwestdeutschland über, wobei der Begriff "Kaltfront" an dieser Stelle
nur mit viel Wohlwollen durchgeht. Zwar verdichtet sich die Bewölkung immer
weiter und es verlagert sich auch ein mehr oder weniger gut/schlecht definiertes
Regenband landeinwärts, die Baroklintät an der Front muss aber als miserabel
tituliert werden. Das trifft sowohl auf den Gradienten der pseudopotenziellen
Temperatur als auch auf T850, wo es von leichten Plusgraden auf gerade mal rund
0°C zurückgeht.

Und sonst so? - Während die Wolkendecke im Norden und Nordwesten geschlossen
bleibt und sich zudem besagter Regen ausbreitet (im Nordseeumfeld immerhin 5-10
l/m² bis zum Abend), bleibt es im großen Rest des Landes vielerorts trocken.
Wechselnde Bewölkung lässt mal mehr (Leelagen, Alpenvorland), mal weniger Lücken
und etwas direkte Sonnenstrahlung zu. Im Süden wird etwas CAPE simuliert, was
bei durchaus gegebener Labilität die Idee einzelner Gewitter entstehen lassen
könnte. Allerdings braucht´s dazu ausreichend Hebung, die alles andere als
garantiert ist. Gewarnt werden muss auf alle Fälle der Wind. Der frischt aus
Südwesten kommend vorübergehend merklich auf (außer im Süden BYs und BaWüs) und
erreicht in Böen Stärke 7-8 Bft, in exponierten Hochlagen 9 Bft, auf dem Brocken
10 Bft. Zum Abend hin beruhigt sich die Szenerie mit Ausnahme der höheren Lagen
sowie mit Abstrichen an der Nordsee noch mal, bevor es am Donnerstag dann
richtig zur Sache geht. Bei der Temperatur geht´s mordsmäßig nach oben,
insbesondere in der Südosthälfte, wo 13 bis 17°C, im Alpenvorland lokal
vielleicht 18°C auf der Karte stehen. Nach Nordwesten hin muss man sich dagegen
mit Maxima von 9 bis 14°C begnügen.

In der Nacht zum Donnerstag erreicht in Ausläufer des o.e. Sekundärtroges (wenn
man so will ein Tertiärtrog, der aber knackig aufgestellt ist) die Nordsee, was
mehrere Konsequenzen hat. Zunächst mal wird höhenkalte Luft herangespült (T500
unter -30°C über der Deutschen Bucht), die eine Labilisierung zur Folge hat. Des
Weiteren "schiebt" der Trog das Bodentief an, das mit konstant knapp über 970
hPa die nördliche Nordsee ostwärts gen Kimbrische Halbinsel kreuzt, diese aber
noch nicht erreicht. Und, auch noch wichtig, die bis dato schwache Kaltfront,
die sogar zu zerfleddern drohte, wird wiederbelebt respektive erst so richtig
auf Trab gebracht, indem die Baroklinität deutlich erhöht wird.

So kommt es im Norden und Westen zu weiteren frontalen Regenfällen, die in der
Spitze (punktuell) an bzw. etwas über 10 l/m² binnen 12 h bringen. Ob es ganz im
Nordwesten schon für ein Gewitter reicht, ist fraglich. Weniger fraglich ist
allerdings, dass es auch präfrontal zu Regenfällen kommt, die meist
schauerartiger Natur sind, z.T. aber durch Stau verstärkt werden (z.B. im
Schwarzwald laut ICON lokal 10 bis 15 l/m²). Zudem frischt der südwestliche Wind
mehr und mehr auf. Vor allem im Norden, in der Mitte und im Westen muss mit Böen
7-8 Bft im Flachland, an und auf der Nordsee sowie im höheren Bergland 9 Bft,
exponierte Hochlagen 10 bis 12 Bft gerechnet werden.

Donnerstag... zieht der erste "Tertiärtrog" über die Ostsee ab. Von der Nordsee
folgt aber noch ein weiteres Exemplar nach (nein, kein Quartärtrog, ein
hundsnormaler Randtrog), das in den Abendstunden die Norddeutsche Tiefebene
passiert. Derweil zieht Tief NASIM mit einem Kerndruck zwischen 970 und 975 hPa
über die nördliche Nordsee weiter ostwärts. Ob es am Abend (18 UTC) über dem
Norden Jütlands (ICON), über dem Ostausgang des Skagerraks (GFS) oder über dem
Kattegat (IFS) liegt, steht noch nicht fest. Fest steht aber, dass sich die
Modelle angenähert haben, was aber nicht bedeutet, dass für Donnerstag schon
alles klar ist. Fakt ist, dass die Kaltfront bis in die mittleren Landesteile
vorankommt, wo sie von einer ostwärts schwenkenden Welle ausgebremst wird.
Rückseitig gelangt ein frischer Schwall erwärmter Meereskaltluft polaren
Ursprungs insbesondere in den Norden und Westen (T850 um -2°C), während
präfrontal sehr milde Luftmassen angezapft werden (T850 2 bis 6, am Alpenrand
gar bis zu 8°C).

Nun zum Wetter und zum Wind respektive Sturm. Der SW-W-Wind frischt schon am
Vormittag weiter auf, wobei sich zwei Regionen herauskristallisieren: der
Bereich an bzw. vor der Kaltfront (Süden/Mitte) sowie postfrontal der Norden.
Getrennt werden die Gebiete durch ein markantes Windminimum direkt hinter der
Front, die einer regional begrenzten Gradientauffächerung - mitverursacht von
der Welle - geschuldet ist. Wo genau dieser Streifen positioniert sein wird
(favorisiert ist die nördliche Mitte), steht noch nicht abschließend fest. Nun
ist ja nicht primär wichtig, wo der Wind eher schwach daherkommt, sondern wo die
Luzie so richtig abgeht. Also, an bzw. knapp vor der Front werden Höhenwinde von
bis zu 65 Kt auf 850 hPa simuliert, was als Signal für Tieflandböen vielleicht
etwas hochgegriffen ist. Gleichwohl sollte man derzeit von Böen bis 10 Bft
(schwere Sturmböen) ausgehen, was übrigens auch für exponierte Lagen abseits der
Front (also im Süden) gilt. Ansonsten sorgt der starke Gradient im Süden und in
der Mitte für Sturm-, auf den Bergen für Orkanböen. Ob neben den genannten Böen
noch mehr geht - die Rede ist von rotierenden Elementen mit dem
Anfangsbuchstaben "T" -, muss abgewartet werden. Die Voraussetzungen wären
durchaus gegeben (gekurvter Hodograph in der unteren Troposphäre, ausreichend
Helizität und Scherung, niedriges HKN). Darüber hinaus können auch einzelne
Gewitter nicht ausgeschlossen werden.
Im Norden frischt der SW-W-Wind ebenfalls auf, wobei die Entwicklung im Süden
sowie an der Kaltfront aber als die stärkere einzustufen ist. Trotzdem, gerade
am Vormittag sind an der Nordsee Böen 10 Bft drin, während sonst 8-9 Bft auf der
Agenda stehen, Tendenz am Nachmittag nachlassend.

Neben dem Wind/Sturm dürfte es auch der Niederschlag aufs Scoring-Board
schaffen, sprich, es ist mit Dauerregenwarnungen evtl. bis in den
Unwetterbereich und z.T. übergreifend bis in die Nacht zum Samstag (Süden, vor
allem Schwarzwald) zu rechnen. Bis Freitagfrüh kommen mit Ausnahme des äußersten
Nordens und Nordwestens nicht selten 10 bis 30, in den westlichen Mittelgebirgen
und im Schwarzwald bis 40, lokal um 50 l/m² (ICON_Nest) in 24 h zusammen. Die
Temperatur erreicht Höchstwerte von rund 9°C an der See und bis zu 17°C im
östlichen Alpenvorland.

Die Nacht zum Freitag bringt die Kaltfrontpassage bis in den Süden
(wahrscheinlich aber nicht ganz bis zu den Alpen), wobei es zu weiteren
frontalen Regenfällen kommt. Rückseitig entwickeln sich einzelne Schauer (Regen,
Schneeregen, Graupel). Das Sturmmaximum verlagert sich mit der Front in den
äußersten Süden, tendenziell ist gesamtheitlich aber eine Abnahme erkennbar.
Einschränkend muss man aber darauf hinweisen, dass auch die Modellunsicherheiten
zunehmen.

Modellvergleich und -einschätzung
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Trotz Anpassung der Modelle sind noch nicht alle Fragen hinsichtlich der
donnerstäglichen Entwicklung geklärt. Das trifft sowohl auf den Sturm als auch
auf den Regen zu.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann