DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

23-02-2022 18:01
SXEU31 DWAV 231800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 23.02.2022 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Am Donnerstag bis in die Nacht zum Freitag von Nordwest nach Südost aktive
Kaltfront mit Wind/Sturm, Niederschlag und einzelnen Gewittern. Am Freitag
postfrontale Troglage mit Aprilwetter, am Samstag Übergang zu Hochdruckwetter.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 12 UTC
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Aktuell ... neigt sich ein klassischer Zwischenhochtag (JANNIS, du hast dir
wirklich viel Mühe gegeben) dem Ende entgegen. Erfreulich, dass die meisten von
uns heute endlich mal wieder für längere Zeit die Sonne zu Gesicht bekamen, auch
wenn es im Nordosten etwas länger gedauert hat. Inzwischen fällt der Luftdruck
aber und tatsächlich deutet alles darauf hin, dass es morgen schon wieder vorbei
ist mit der antizyklonalen Herrlichkeit. Doch der Reihe nach.

Die großräumige Potenzialverteilung zeigt ein mäandrierendes Muster mit einem
relativ breiten Trog über dem nahen Atlantik sowie einem Rücken stromab, der
heute für den Zwischenhocheinfluss mitverantwortlich zeichnete. Während der
Rücken in Richtung östliches Mitteleuropa abwandert, sorgen in den Trog stoßende
KLA sowie rückseitig einlaufende KW-Anteile für eine zunehmende Amplifizierung
desselben. In den frühen Morgenstunden des Donnerstags befindet sich seine
Hauptachse etwa über der Irischen See. Im Bodendruckfeld korrespondiert der Trog
mit einem Doppeltief (die BIBIs), von dem ein Kern das Seegebiet zwischen Island
und Schottland beackert und der andere vor den Lofoten kreuzt. Von Letzterem
geht eine teilokkludierte Kaltfront aus, die am Abend die nördliche Nordsee
erreicht, wo sie unter der südwestlichen Höhenströmung (die Front liegt
unmittelbar unter der Trogvorderseite) in Schleifen gerät. Präfrontale
respektive trogvorderseitige WLA lässt im Laufe der Nacht mehrschichtige
Bewölkung in den Norden und Westen sowie Teile der Mitte aufziehen, wo sie in
den meisten Fällen Nachtfrost verhindern. Etwas Regen fällt am ehesten auf
Helgoland und Sylt sowie zwischen Eifel und Bergischem Land, sonst bleibt es
noch weitgehend trocken. An und über der Nordsee sowie im Binnenland SHs
(Norden) weht weiterhin ein frischer Süd-Südwestwind, der in Böen Stärke 7 Bft,
an der nordfriesischen Küste 8 Bft erreicht. Gut im Futter einmal mehr auch der
Brocken, auf dem es für glatte Sturmböen 9 Bft reicht.

Nach Süden und Osten zu bleibt es nicht nur windschwach, sondern auch gering
bewölkt oder klar. Entsprechend geht die Temperatur in den leichten, in einigen
Mittelgebirgs- und Alpentälern mäßigen Frostbereich zurück, lokale Reifglätte
inklusive.

Donnerstag ... macht die Zyklonalisierung des heimischen Setups weitere
Fortschritte. Haupttreiber ist und bleibt der Höhentrog, der im Tagesverlauf
unter andauernder Amplifizierung erst die Nordsee, in der Nacht zum Freitag dann
auch Teile des Vorhersageraums erreicht. Ein vorderseitiges PVA-Maximum
harmoniert wunderbar mit der Kaltfront, was auch durch überlagerte KLA nur
bedingt kompensiert wird. Kurzum, die Front wird auf ihren Weg nach Deutschland
zusehends aktiviert und auf wetterwirksam getrimmt. Was zunächst allerdings nur
schleppend funktioniert, ist ihre Progression. Sie behält nämlich bis Mittag
weitgehend ihren schleifenden Charakter, so dass sie es gerade bis in den
deutschen Nordseeküstenraum schafft. Erst danach, wenn der Höhentrog ein Satz
nach vorne macht, bekommt sie einen merklich Push, der sie in der Folge rasch
über unser Land treibt. Am Abend dürfte sie etwa eine Linie Fischland-Harz-RMG,
kurz nach Mitternacht bereits die Alpen erreichen.

Da die Kaltfront Anacharakter aufweist und der Niederschlag somit hauptsächlich
postfrontal fällt, setzen die Regenfälle an der Nordsee erst am späten Vormittag
ein, bevor sie sich bis zu einer Linie Rügen-Ostharz-Vorderpfalz vorarbeiten.
Vom westlichen Niedersachen bis nach SH können gut und gerne 5 bis 10 l/m²,
lokal bis an die 15 l/m² Regen binnen weniger Stunden zusammenkommen. Außerdem
sollte es nicht zu sehr verwundern, wenn im Laufe des Nachmittags mit Einfließen
polarer Meeresluft (T850 -5/6°C) im äußersten Norden und Nordwesten ein paar
nasse Schneeflocken den Weg zur Erde finden (klassischer Fall von KLA +
Niederschlagsintensität vs. Durchmischung). Im Harz sowie in den westlichen
Mittelgebirgen sinkt die Schneefallgrenze bis zum Abend auf etwa 400 m, in den
Hochlagen kann sich bis dahin eine dünne Neuschneedecke bilden.

Nächster wichtiger Punkt neben dem Niederschlag ist der Wind, der aus Süd bis
Südwest kommend bereits im Vorfeld der Front im Norden und Westen sowie in
Teilen der Mitte auflebt. Dabei reicht es in tiefen Lagen für die eine oder
andere steife Böe 7 Bft, im Bergland für stürmische Böen 8 Bft, in exponierten
Kamm- und Gipfellagen 9-10 Bft, auf dem Brocken gar bis 11 Bft.
Der Höhepunkt der Windentwicklung wird dann vom Kaltfrontdurchgang markiert, der
sowohl eine kurzzeitige Drehung auf West- bis Nordwest als auch ein merkliches
Auffrischen bewirkt. Zwar laufen die maximalen Höhenwinde der Kaltfront etwas
voraus, mit bis zu 50 Kt auf 850 hPa und bis zu 40 Kt auf 925 hPa sind sie aber
noch stark genug, um stürmische Böen oder sogar Sturmböen 8-9 Bft möglich zu
machen. Denn: erstens ist die Kaltfront sehr gut organisiert (diskretes Maximum
in der Pseudoreflektivität => sehr gut ausgeprägte Querzirkulation; zudem sehr
gut geschertes Umfeld), zweitens nimmt an der Front die Labilität zu, wenn auch
nicht überbordend. In den Prognosesoundings ist eine bis etwa 600 hPa reichende
indifferente Schichtung erkennbar, die - sofern sie überwunden wird - einen
guten konvektiven Impulsaustausch garantiert. Dass das möglich ist, deuten
einige Modelle durch die Simulation einzelner Gewitter an, auch wenn kaum CAPE
angeboten wird. Kurzum, mit Frontpassage sollten im Flachland auf alle Fälle
Böen 8 Bft, weniger frequent 9 Bft und in Einzelfällen (kräftige Konvektion,
Graupelgewitter) sogar 10 Bft ins Kalkül gezogen werden.

Bevor die Kaltfront am Abend bzw. in der Nacht zum Freitag im Osten und Süden
ankommt, scheint dort erst noch mal für längere Zeit die Sonne (am meisten davon
in Ober- und Niederbayern sowie in Ober- und Niederlausitz). Im Süden und
Südosten wird es auch am mildesten mit 10 bis 15°C, aber auch sonst wird es mit
7 bis 12°C alles andere als kalt.

In der Nacht zum Freitag erreicht die Kaltfront wie schon erwähnt die Alpen.
Dahinter wird der Vorhersageraum mit maritimer Polarluft geflutet, in der T850
auf -5 bis -8°C sinkt. Kalt wird es auch auf 500 hPa, wenn nämlich der Höhentrog
mit höhenkalter Luft eintrifft und T500 in der Nordhälfte bis zum Morgen auf
-36°C oder etwas darunter zurückgeht. Klingt nach labil, ist auch labil, und
trotzdem hält sich die Schaueraktivität in den postfrontalen Weiten Nord- und
Mitteldeutschlands in Grenzen. Zum einen ist die frisch eingeflossene Luftmasse
trotz der Titulierung "maritim" ziemlich trocken (PPW unter 10 mm, spezifische
Grundschichtfeuchte unter 5 g/kg). Zum anderen mangelt es an Antrieben, weil von
der Sonne des Nachts in der Regel ja nicht so viel Wirkung ausgeht. Erst zum
Morgen hin, wenn ein weiterer KW-Anteil in den Haupttrog hineinläuft und
gleichzeitig von der Nordsee und den Niederlanden ein Bodentrog übergreift,
nimmt die Schaueraktivität im Nordwesten wieder zu (Regen, Graupel, Schnee und
kurze Gewitter).

Zurück noch mal zur Front, an der weiterhin das Windmaximum und einzelne
Gewitter auftreten. Allerdings nimmt die Wahrscheinlichkeit für (schwere)
Sturmböen mit weiterer Verlagerung gen Südosten immer weiter ab. Hinter der
Front lässt der westliche Wind dann sowieso nach, einzig an der See sowie in
höheren Lagen bleiben Böen 7-8 Bft, exponiert 9 Bft übrig. Erst gegen Morgen
nimmt der auf Südwest rückdrehende Wind vor dem Bodentrog im äußersten
Nordwesten wieder zu.
Mit der Front verlagert sich auch der Niederschlag in den Süden. Die
Schneefallgrenze sinkt auf 400 m, teils auch darunter. Allerdings lässt der
Niederschlag mit Eintreffen der kältesten Luft rasch nach, so dass nur einige
Hochlagen etwas Neuschnee abbekommen. Einzig im Allgäu könnte der Schneeertrag
etwas üppiger ausfallen (vielleicht 5 bis 10 cm, ja mei...). Da der Wind nicht
ganz einschläft, dürfte sich Frost im Wesentlichen auf das Bergland beschränken.
Sonst sind nur in windgeschützten Lagen bei gleichzeitig längerem Aufklaren
Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt möglich.

Freitag ... stehen die Zeichen auf Aprilwetter Ende Februar, die Palette
potenzieller Wettererscheinungen wird ordentlich ausgereizt. Höhentrog,
Bodentrog mit eingelagerter Konvergenz, hochreichend labile Polarluft und ein
inzwischen leidlicher Sonnenstand - was will man mehr? Mit Unterstützung des
Tagesgangs stellt sich ein wechselhafter und windiger Freitag ein, an dem sich
immer Regen-, Graupel- und Schneeschauer sowie kurze Graupelgewitter entwickeln.
Die wenigsten Schauer treten laut ICON und GFS im Nordosten auf. Oberhalb 400
bis 600 m fällt durchweg die feste Phase, allerdings bleibt der
Wasserdampfgehalt der Luftmasse gering. Von daher reicht es wohl nur in einigen
Staulagen für ein paar Zentimeter Neuschnee. Zwischen den Schauern kommt dann
auch immer mal die Sonne zum Vorschein, am längsten wahrscheinlich im Südosten,
wo die Konvektion erst spät ankommt.

Der von Südwest auf West bis Nordwest drehende Wind mischt auch wieder
ordentlich mit und erreicht in Böen Stärke 7 Bft, in Schauer- und Gewitternähe
sowie an der Nordsee 8 Bft, mit Durchgang der Konvergenz (kleine Schauerlinien)
vielleicht sogar 9 Bft. In Kamm- und Gipfellagen der Mittelgebirge und der Alpen
sind Sturmböen 9 Bft öfters anzutreffen, hier und da ist auch mal eine "10 Bft"
am Start. Mit 4 bis 9°C werden die Tageshöchstwerte gegenüber den Vortagen etwas
gestutzt.

In der Nacht zum Samstag steigen Luftdruck und Potenzial von Westen her an.
Boden- und Höhentrog ziehen gen Osten ab und werden von einem vorstoßenden
Höhenrücken (reicht von der Iberischen Halbinsel bis zum Europäischen Nordmeer)
sowie einem von Frankreich ostwärts wandernden Bodenhoch (Gott zum Gruße KAI)
ersetzt. Folgerichtig beruhigt sich das Wetter, was sowohl auf den Wind als auch
auf die Schauer zutrifft. Im Osten kommt es trogrückseitig anfangs noch zu
einigen 7er-Böen (Bergland auch mehr) aus Nordwest, ebenso an der Küste. Bis zum
Morgen hat sich die Sache dann aber weitgehend erledigt. Das gilt von wenigen
Ausnahmen abgesehen auch für die Schauer. Am längsten schneit es noch im
Erzgebirge (bis zu 5 cm) sowie an den Alpen (lokal um 10 cm), wo sich eine
vorübergehende Stausituation einstellt.
In der frisch eingeflossenen Polarluft lockert bzw. klart es teilweise auf, so
dass die Temperatur auf +1 bis -4°C zurückgeht. Lediglich direkt an der See
bleibt es etwas milder. Dort, wo noch Restnässe vom Tag vorhanden ist, besteht
die Gefahr gefrierender Nässe (vor allem im Bergland).


Samstag ... verlagert sich das Hoch mit über 1035 hPa nach Deutschland, gestützt
von dem leicht nach Südosten kippenden Höhenrücken. Damit steigen insbesondere
im Norden und Osten trotz einiger Wolken die Chancen auf längeren Sonnenschein.
Nach Südosten hin - quasi im Dunstkreis des nach Südwesten zurückhängenden,
möglicherweise abtropfenden Höhentrogs - halten sich hingegen mehr oder weniger
dichte Wolken, aus denen an den Alpen anfangs noch etwas Schnee fällt. Die
Höchstwerte liegen zwischen 2 und 9°C.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die großräumige Entwicklung wird von den Modellen sehr ähnlich gesehen. Bei der
Passage der Kaltfront gibt es noch ein paar Unschärfen, die es morgen früh vor
Ausgabe der Warnungen (die präfrontale Windauffrischung wird bereits heute Abend
abgebildet) zu klären gilt. So wartet z.B. AROME mit einem hinsichtlich der
Sturmentwicklung sehr aggressiven Szenario auf (vermehrt Böen 10 Bft im Norden),
während SuperHD sehr flau daherkommt. ICON-D2 wiederum liegt etwas unter der
Lösung von AROME. Man wird sehen, wo sich Modelle und Ensembles einpendeln.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann