DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

19-02-2022 19:01
SXEU31 DWAV 191800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 19.02.2022 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Erste Namensliste durch, jetzt kommt ANTONIA. Weiterhin unbeständig und windig
bis stürmisch. Höhepunkt die aktive Kaltfrontpassage in der Nacht zum Montag
(partiell orkanartige Böen 11 Bft möglich).

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 12 UTC
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Aktuell ... befinden wir uns unter einem breitgelatschten Höhentrog mit nur
wenig Amplitude. Entsprechend ist die Strömung zonal ausgerichtet, wobei sich
von den Niederlanden und der südwestlichen Nordsee her ein kurzwelliger Randtrog
anschickt, uns in der kommenden Nacht zu beehren und über Norddeutschland
ostwärts zu schwenken. Dabei schiebt er kleines Randtief vor sich her, das aus
der WENJIN-Dynastie entstammt (ein aus mehreren Kernen bestehendes
Familienunternehmen über Nord- und Nordwesteuropa). Auf seinem Weg über die
Norddeutsche Tiefebene wird es vom KW-Trog überholt, was der Entwicklung der
kleinen WENJIN nicht gut bekommt. Sie wird ihren Status als Tief mit
abgeschlossener Kernisobare verlieren und zu einem hundsnormalen Bodentrog
degradiert werden.

Trotzdem, und das konnte man heute Nachmittag gut beobachten, bilden Trog und
Tief ein optisch ansprechendes Gebilde, ausgestattet mit einem klassischen
Vorticitykomma auf der diffluenten Vorderseite des Troges. Der daraus
resultierende Niederschlag überquert weite Teile des Vorhersageraums ostwärts,
lediglich im äußersten Süden bleibt es bis zum Morgen weitgehend trocken.
Ansonsten kommen vor allem im Nordwesten (gebietsweise) sowie im Stau der
westlichen und zentralen Mittelgebirge (plus Harz) 5 bis 10 l/m² Niederschlag
zusammen - lediglich der verhaltene Auftakt zu weiteren, deutlich üppigeren
Ergüssen. Schnee ist in der zuvor eingeflossenen subpolaren Meeresluft übrigens
auch am Start. Die Schneefallgrenze dürfte sich größtenteils zwischen 400 und
600 m bewegen, nach Nordosten hin können einige Schneeflocken aber auch bis ganz
runter überleben. Die Schneegrenze (als die Höhe, aber der auch wirklich was
liegenbleibt) ist etwa bei 600 m zu verorten, die Neuschneehöhe beträgt 1 bis 3,
lokal um 5 cm, in seltenen Fällen bis 10 cm. Mit Ausnahme einiger Hochlagen
sowie stellenweise im Süden (anfangs klar und kaum noch Wind) bleibt es
frostfrei.

Zweite Baustelle neben dem Niederschlag betrifft den Wind, der nach einer nur
kurzen abendlichen Atempause wieder zulegt. Allerdings - und das ist erstmal
beruhigend - liegen die Aktivitäten von WENJIN etwa zwei bis drei Ligen unter
den exzessiven Auswüchsen ihrer berühmten Vorgängerinnen YLENIA und ZEYNEP. Mit
anderen Worten, der auf Südwest bis West drehende Wind frischt insbesondere in
der Mitte und im Süden (also auf der Südflanke des Bodentrogs) wieder auf mit
Böen 7 Bft, im Bergland, teils aber auch im Flachland respektive den Niederungen
8 Bft. In höheren Lagen stehen Böen 9 Bft, exponiert 10 Bft, auf dem Brocken bis
11 Bft auf der Karte. In den frühen Morgenstunden lässt der Wind im Westen nur
für ganz kurze Zeit nach, bevor die nächste Attacke erfolgt...

Sonntag ... ... womit wir auch gleich beim neuen Namensalphabet wären. Etwa 7
Wochen haben wir gebraucht, um die erste Runde der Namensgebung für
Tiefdruckgebiete zu beenden. Dabei waren einige echte Kracher wie z.B. Sturmtief
NADIA, die an der Nordsee eine schwere Sturmflut entfacht hat (fetter Sandraub
u.a. auf Wangerooge). Und natürlich die zuletzt gestarteten Athletinnen aus der
Kategorie "Sturm-/Orkantief" YLENIA und ZEYNEB. Jetzt geht´s also wieder bei A
los, und da steht keine Geringere als ANTONIA auf der Karte, die uns ihren
Stempel von Sonntag bis Montag aufsetzen wird. Schon heute Abend lässt sich
ANTONIA auf der Wetterkarte bewundern, mit etwas unter 965 hPa Kerndruck liegt
das Tief aber noch weit draußen auf dem Atlantik bei 30°W, 60°N (südwestlich von
Island). Bis morgen Abend kommt ANTONIA ins Seegebiet zwischen Island und
Schottland voran, wo sie - nachdem zuvor die 955 hPa angekratzt wurden - mit
rund 960 hPa noch immer sehr prominent aufgestellt ist.

Wir hier in Deutschland bekommen es zunächst mal mit der Warmfront des
Sturmtiefs zu tun, die uns im Laufe des Sonntags von Südwest nach Nordost
überquert. Dabei wird nicht nur milde Biskayaluft advehiert (Anstieg T850 von -4
bis 0°C am Morgen auf 0 bis +3°C am Abend), gleichzeitig breitet sich
stratiformer (Haupttrigger WLA), teils kräftiger Regen nordostwärts aus. Im
Westen und Nordwesten sowie partiell in den zentralen Mittelgebirgen werden
gebietsweise 10 bis 20, in Staulagen lokal bis 30 l/m² erwartet, wobei man aber
sagen muss, dass die deutsche Modellkette die offensivste Performance anbietet.
Trotzdem, vor dem Hintergrund weiterer Regenfälle bis Montag wurden bereits
heute Nachmittag länger andauernde markante Dauerregenwarnungen ausgegeben
(meist Mittelgebirge, im Westen gebietsweise auch flaches Land, 30 bis 50 l/m²,
in einigen Staulagen bis zu 80 l/m²). Weitgehend verschont vom Regen bleibt
weiterhin der äußerste Süden, wo es mitunter sogar mal auflockert. Mit 7°C im
Nordosten und bis zu 13°C im Südwesten wird es einmal mehr "bitterkalt".

Kommen wir zum Wind, der sich nach der o.e. kurzen morgendlichen Pause im
Warmsektor neu aufstellt. Bei stabiler Schichtung frischt der Südwestwind von
West-Südwest auf. Mit Ausnahme des für längere Zeit noch präfrontal
positionierten Nordostens werden verbreitet Böen 7-8 Bft, im Bergland sowie an
der Nordsee 9 Bft, vereinzelte Hochlagen 10 Bft (925-hPa-Wind im Norden und in
der Mitte um 50 Kt; aufgrund der Schichtung zunächst aber nur für die Hochlagen
interessant) erreicht. In exponierten Hochlagen stehen gar Böen 11 bis 12 Bft
auf der Agenda.

So weit, so gut, kommen wir jetzt zur Nacht auf den Montag, in der der nächste
Höhepunkt bevorsteht. Zunächst mal beginnt die zuvor relativ glatt gebügelte
Frontalzone an zu mäandrieren, wodurch es über UK/Irland zu einer Austrogung
kommt. Dieser Trog greift unter fortdauernder Amplifizierung noch bis zum Morgen
auf den Vorhersageraum über. Gleichzeitig zeigt sich die gute ANTONIA als
äußerst gebährfreudige Zyklone, die es schafft, in einer Nacht Drillinge auf die
Welt zu bringen (nun gut, das schaffen andere Mütter auch, aber in der
Meteorologie ist das schon was Besonderes). Während sie selbst gen Schottland
zieht und dabei mächtig an Substanz verliert - ´ne Drillingsgeburt ist
schließlich kein Pappenstiel -, entstehen stromab ihre drei Töchter: eines
östlich der "Mutter" vor der norwegischen Westküste, eines über dem Skagerrak
(mit den geringsten Überlebenschancen), eines über Jütland (am
entwicklungsgünstigsten und mit der höchsten Relevanz für unser Wetter). Im
Grunde handelt es sich bei allen Drei um Teiltiefs an der Okklusion bzw. im
unmittelbaren Umfeld (evtl. orografische Effekte durch die norwegischen
Gebirge). Wie auch immer, das zuletzt Genannte vertieft sich bis zum Morgen auf
970 bis 960 hPa (ICON höher, Externe tiefer) und zieht in Richtung Südschweden.

Für die Entwicklung vor Ort ist vor allem die zugehörige, baroklin sehr gut
aufgestellte Kaltfront von Bedeutung, die uns von Nordwest nach Südost überquert
und am Morgen das südliche Alpenvorland, evtl. auch schon den Alpenrand
erreicht. Dahinter strömt maritime und labil geschichtete Polarluft zu uns, in
der T850 auf Werte um -6°C und T500 im Westen und Norden auf knapp unter -36°C
zurückgehen. Der Kaltfront selbst kann einmal mehr der Status "sehr aktiv"
verliehen werden, was schon mit dem Niederschlag beginnt. Frontale
Querzirkulation, vor allem aber recht breit aufgestellte und kräftige PVA
vorderseitig des nachstoßenden Höhentrogs sorgen für ergiebige Regenfälle, die
staubedingt noch verstärkt werden. Im zentralen Mittelgebirgsraum, aber auch im
Westen und Nordwesten kommen nochmals 10 bis 20 l/m², im Stau lokal um 30 l/m²
innert 12 h runter, wobei 3h-Raten von rund 10 l/m² dabei sein können.
Zusätzlich zum Regen gesellen sich wahrscheinlich noch Gewitter, da es an der
Front zu einer Labilisierung kommt und sogar etwas CAPE generiert wird (unter
100 J/kg; schmale Labilitätsfläche bis knapp unter -10°C). Die prognostizierten
Pseudoreflektivitäten zeigen jedenfalls eine ausgeprägte Linienstruktur mit
eingelagerten kleinen Bogensegmenten, die auf üppige Windspitzen hindeuten.
Womit wir beim Thema wären: WIND/STURM

Vertiefung und Passage des südlichen Randtiefs gepaart mit Kaltfrontdurchgang
kommt es zu einer landesweiten Windzunahme (erst Südwest, postfrontal auf
westliche Richtungen drehend), in der es verbreitet zu Böen 8-9 Bft kommt. An
der Küste (Bodentrog) und im Bergland sind schwere Sturmböen 10 Bft zu erwarten,
in den Hochlagen Orkanböen 11 bis 12 Bft. Der Höhepunkt des Sturms ist eindeutig
mit bzw. in der Peripherie der Kaltfrontpassage zu erwarten, insbesondere im
Falle kräftiger Konvektion. Der Kaltfrontbereich wird überdeckt von kräftigen
Höhenwinden (925 hPa um 50 Kt, lokal bis 60 Kt, 850 hPa lokal bis 80 Kt), was
eine mehr als ordentliche Ansage ist. Kurzum, es besteht die Gefahr, dass
kurzzeitig auch mal schwere Sturmböen oder orkanartige Böen 10-11 Bft
runtergemischt werden, wenn auch nicht überall (siehe gestrige KF-Passage).

Zurück noch mal kurz zum Niederschlag. Mit Eintreffen der Kaltluft hört dieser
alsbald auf, so dass die Chance, als Schnee zu fallen, gering ist (oberhalb 600
bis 400 m wenige Flocken). Allerdings entwickeln sich mit Ankunft der
höhenkalten Luft einige Schauer und kurze Gewitter, die als Regen, Graupel oder
Schnee (bei entsprechender Intensität bis in tiefe Lagen) den Weg zur Erde
finden.

Montag ... wird es leicht anekdotisch, wenn nämlich die "Tochter" von ANTONIA
(gemeint ist das südliche Teiltief) den Familienvorsitz übernimmt und als
veritables 970-hPa-Tief die schwedischen Gewässer nördlich von Gotland in
Richtung Rigaer Bucht kreuzt. Und was wird mit Muttern? - Nun, die wird gegen
Mittag als kleines Resttief, vielleicht auch nur noch als Bodentrog von den
Niederlanden her deutsches Hoheitsgebiet betreten und über den Norden in
Richtung Ostdeutschland ziehen. "Überwacht" bzw. überlagert wird das Ganze vom
o.e. Höhentrog, der langsam ostwärts schwenkt. Die Kaltfront hält sich nicht
lange an den Alpen auf, so dass auch dort kaum (frontaler) Schnee fällt.

Gemäß der geschilderten Rahmenbedingungen startet die neue Woche bei uns
wechselhaft und weiterhin sehr windig bis stürmisch. Es kommt zu weiteren,
vielfach schauerartigen und teils gewittrigen Niederschlägen, die oberhalb 400
bis 600 m als Schnee fallen. Viel dürfte davon allerdings nicht liegenbleiben,
weil bei guter Durchmischung die 0°C-Grenze auf etwa 1000 m oder etwas darüber
steigt (in tiefen Lagen Tageshöchstwerte von 5 bis 11°C). Vielleicht reicht es
im Allgäu für 5 bis 10 cm, lokal 15 cm Neuschnee, wenn der Niederschlag von
Mutter ANTONIA aufläuft. In einigen Mittelgebirgen kommen noch mal um 10 l/m²
zusammen, die in den laufenden Warnungen aber schon eingepreist sind.

Thema Wind, der weiterhin sehr flott und böig unterwegs ist (erst um West, dann
vorübergehendes Rückdrehen auf Südwest, später wieder auf West oder gar Nordwest
drehend). Südlich der Donau startet der Tag an der abziehenden Kaltfront
stürmisch (8-9 Bft, lokal 10 Bft), bevor nur eine kurze Beruhigung einsetzt.
Ansonsten stehen verbreitet Böen 7-8 Bft, vereinzelt 9 Bft auf der Karte, berge
und anfangs auch an der Ostsee darüber. Mit Übergreifen des Bodentrogs
respektive Resttiefs legt der Wind erst im Westen, später auch in der Mitte und
im Süden noch eine Schippe drauf, so dass vermehrt (schwere) Sturmböen 9-10 Bft
anzutreffen sind - ja hört das denn gar nicht mehr auf? Doch, in
Norddeutschland, wo der Gradient innerhalb des Bodentrogs mächtig auffächert.

In der Nacht zum Dienstag gelangen wir zunehmend unter eine nordwestliche
Höhenströmung, die sich zwischen dem abziehenden Trog und einem sich über
Westeuropa aufwölbenden Rücken einstellt. Bodennah dreht der nachlassende, an
der Küste und im Bergland aber weiterhin lebhafte Wind (Böen 7-8 Bft, exponierte
Hochlagen darüber) auf West bis Nordwest. Dabei wird ein frischer Schwall
maritimer Polarluft eingesteuert (T850 um -5°C), in der sich weitere Regen- oder
Graupelschauer, oberhalb 400-500 m Schneeschauer entwickeln. An den Alpen sowie
im Erzgebirge ist die Frequentierung der Schauer staubedingt höher, teils
schneit es auch längere Zeit am Stück. Belohnt wird das mit rund 5 cm, an den
Alpen örtlich um 10 cm Neuschnee. Insbesondere im Bergland muss mit leichtem
Frost (und Glätte durch Schnee, Matsch oder gefrierende Nässe) gerechnet werden.


Dienstag ... nur kurz und ohne Verben: kurzes Zwischenhoch, in der Höhe
Durchgang des Rückens. Nur vorübergehend Nachlassen der Schauer und
Auflockerungen, ab dem Nachmittag von Westen her ein neues Frontensystem
(Absender ein fettes Sturm-/Orkantief bei Island) mit Regen, ostwärts
ausbreitend. Milderung und steigende Schneefallgrenze. Kurze Windberuhigung,
später wieder auffrischend, aber nichts Dramatisches.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die grundlegende Entwicklung wird modellübergreifend sehr ähnlich simuliert. Bei
der von ANTONIA ausgehenden Mehrfachzyklogenese sind noch ein paar Unschärfen
gegeben, ebenso bei den Niederschlägen (ICON am offensivsten).


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann