DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

17-02-2022 18:30
SXEU31 DWAV 171800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 17.02.2022 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Nach kurzer Wetterberuhigung im Laufe des Freitags das nächste Orkantief
(ZEYNEP) und schwerer Sturm insbesondere im Norden und Teilen der Mitte. An der
Küste und im höheren Bergland Orkan, an der Nordsee extremes Unwetter mit Böen
über 140 km/h, sogar um 160 km/h möglich!!

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 12 UTC
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Aktuell ... befinden wir uns ganz klar auf Kurs Wetterberuhigung. Das liegt zum
einen daran, dass das Sturmtief YLENIA schon über alle Berge ist und nun
versucht, die Weiten Finnlands in Richtung Norden zu überqueren. Zwar ist die
Gute mit etwas unter 965 hPa immer noch Preisklasse 1, aufgrund der weiten
Entfernung vermag sie aber nur noch bedingt ihren Stempel auf unser Wetter zu
setzen. Darüber hinaus steigt der Luftdruck schon seit geraumer Zeit an, was
eine Gradientauffächerung und somit auch Windabnahme zur Folge hat. Vor allem
Süddeutschland kommt dabei in der Nacht in den Genuss eines flachen
Zwischenhochs.

Der Südwest- bis Westwind nimmt von Südwesten her also immer mehr ab (an der
Ostsee in der ersten Nachthälfte allerdings noch mal ein sekundäres Maximum in
Verbindung mit einem flachen Bodentrog => bis 10 Bft auf Rügen), so dass ab
Mitternacht eigentlich nur noch an der See Böen 7 Bft, an der Ostsee 8 Bft,
exponiert 9 Bft auftreten. Klar, auch im höheren Bergland lässt sich der Wind
nicht so schnell kleinkriegen, allerdings geht´s längst nicht mehr so heftig zur
Sache wie während des heutigen Hauptsturms. In den östlichen und ostbayerischen
Mittelgebirgen, auf den Alpengipfeln sowie auf dem Feldberg und auf dem Brocken
stehen noch Böen 8-9 Bft, Brocken anfangs 10 Bft auf der Karte.
Darüber hinaus nimmt die Niederschlagsneigung im Zuge kontinuierlicher
Stabilisierung ab, auch wenn gerade in der Mitte noch ein paar Schauer unterwegs
sind. Die fallen in der frisch eingeflossenen subpolaren Meeresluft oberhalb
600-800 m als Schnee, viel Neuschnee wird es aber nicht geben (Glättewarnungen
genügen).

Freitag ... ist es mit der Herrlichkeit des namenlosen Zwischenhochs alsbald
schon wieder vorbei und es droht der nächste fette Einschlag. In den Fokus rückt
ein weiteres Sturm- respektive Orkantief mit dem Namen ZEYNEP (international:
Eunice), das am Morgen mit einem Kerndruck von nahe 975 hPa (externe Modelle
knapp 5 hPa tiefer) bereits den Süden Irlands erreicht hat. ZEYNEP weist
Signaturen einer Shapiro-Keyser-Zyklone auf (double jet configuration,
T-Bone-artige Feuchteverteilung, fraktile Kaltfront, zunehmend warmer Kern). Das
Tief überquert zügig UK, erreicht spätestens am frühen Nachmittag die westliche
Nordsee, um von dort weiter zum Seegebiet Fisher zu ziehen (18 UTC, Kerndruck
rund 965 hPa, Anpassung zwischen ICON und den Externen).

Die zugehörige Warmfront greift schon am Vormittag mit stratiformen Regenfällen
von Südwesten her auf Deutschland über und überquert uns zügig nordostwärts.
Dabei strömt vorübergehend ein Schwall sehr milder Atlantikluft ein, in der T850
im Süden auf bis zu 6/7°C ansteigt (Höchstwerte mit Hilfe von Auflockerungen
bzw. sonnigen Abschnitten bis 18°C, lokal vielleicht nahe 20°C). Gleichzeitig
beginnt der Süd-Südwestwind in der Westhälfte bei zunächst noch stabiler
Schichtung aufzufrischen mit Böen 7-8 Bft, exponierte Hochlagen sowie Helgoland
9-10 Bft. Der meiste Regen fällt im Norden, wo gebietsweise 5 bis 10 l/m², lokal
(Nordsee, SH) um 15 l/m² über 12 h zusammenkommen.

Soweit das Präludium, jetzt zum Hauptspiel, 1. Akt. Am Nachmittag verschärft
sich nicht nur der Druckgradient massiv, es greift zudem die Kaltfront von
Westen her über. Die Front ist - typisch für SK-Zyklonen - mangels
hochreichender Labilität und partieller Abtrocknung in der Troposphäre
niederschlagstechnisch nicht besonders wetterwirksam. Gewitter sind
unwahrscheinlich, Schauer oder schauerartiger Regen fallen nicht überbordend
intensiv aus. Und trotzdem kann der Front der Status einer aktiven Kaltfront
attestiert werden, was eindeutig der von ihr ausgehenden Windentwicklung
zuzuschreiben ist. Neben der gradientbedingten Windzunahme auf verbreitet 7 bis
9 Bft (Nordhälfte mehr als Südhälfte, Berge je nach Höhenlage bis 12 Bft) setzt
die Kaltfront noch 1-2 Windstärken drauf. Dabei reicht eine von Boden bis auf
etwa 700 hPa (oder nur wenig darüber hinaus) reichende Labilität, die in der
Lage ist, die immensen Höhenwinde (925 hPa bis 65 Kt, 850 bis 75 Kt, nach Süden
hin jeweils etwas weniger) zumindest partiell runterzumischen. Mit anderen
Worten, schwere Sturmböen respektive orkanartige Böen 10 bis 11 Bft, vereinzelt
vielleicht sogar 12 Bft sind an bzw. im unmittelbaren Umfeld der Front
wahrscheinlich. Offen ist dabei immer noch, wie weit die unwetterartigen Böen
(also 11 Bft und mehr) nach Süden ausgreifen. Fakt ist, dass die KF-Passage grob
in der Südhälfte nur ein kurzzeitiges Windmaximum induziert, bevor postfrontal
wieder eine Abnahme in den Bereich 7-8 Bft (Bergland mehr) erfolgt.

Akt 2 folgt dann ab den Abendstunden, wenn das Tief weiter in Richtung Jütland
und dann gen Kattegat zieht und wir genau auf die scharfgradientige Südflanke
gelangen. Hinzu kommt in der Nacht zum Samstag die Passage eines Bodentrogs über
Jütland/SH, der eine zusätzliche Gradientverschärfung an der Küste und auf See
bringt. Und nicht zu vergessen die Luftmassen- und Temperatureigenschaften rund
um das Tief. Zwar wird es wohl nicht mehr für einen Stingjet bei uns reichen,
dafür passen andere Bedingungen: warm inclusion mit herumgeholten cold-jet (=>
hohe Baroklinität südwestlich des Kerns), dazu überlagert dry intrusion bis etwa
700 hPa (Tropopause sinkt auf 500 hPa!), geringe statische Stabilität und nahezu
trockenadiabatische Schichtung von unten bis 850/800 hPa und dazu weiterhin
extrem starke Oberwinde von bis zu 80 Kt!! in 925 hPa (Nordseeküste) und bis zu
95 Kt in 850 hPa. Kein Wunder also, dass ICON-D2 (15 UTC) auf den Ostfriesischen
Inseln in der ersten Nachthälfte Windgeschwindigkeiten von rund 160 km/h oder
sogar noch etwas mehr ausspuckt (Drehung von West-Südwest auf Nordwest. Ein
Wert, der leider nicht in das Reich der Fabel verwiesen werden kann, zumal
ICON-D2-EPS auf den Ostfriesischen Inseln mit Wahrscheinlichkeiten von über 70%
für Böen 140 km/h hantiert - Hammer!!
Grundsätzlich dürfte der Ablauf so sein, dass ab dem späten Nachmittag bis weit
in die Nacht hinein ein mehrstündiger schwerer Südwest- bis Weststurm über den
Norden und die nördliche Mitte von West nach Ost hinwegzieht. Dabei kommt es
vermehrt zu schweren Sturmböen oder orkanartigen Böen 10 bis 11 Bft, an den
Küsten und im höheren Bergland voller Orkan 12 Bft, an der Nordsee, auf dem
Brocken und dem Fichtelberg über 140 km/h. Weiter südlich wird es zwar auch
windig bis stürmisch, Böen > 10 Bft dürften aber weitgehend den Hochlagen des
Berglands vorbehalten bleiben.

Hinter der Kaltfront, die bereits in der ersten Nachthälfte die Alpen erreicht,
wird Deutschland von einem Schwall maritimer Polarluft überspült (T850 -4 bis
-8°C). An den Alpen fällt etwas Neuschnee, wobei die Schneefallgrenze bis in die
Täler sinkt. Im Norden, wo mit Streifschuss eines Höhentrogs und etwas
höhenkalter Luft (T500 um -34°C) eine Labilisierung bis in die mittlere
Troposphäre erfolgt, entwickeln sich Regen-, Schneeregen- und bei entsprechender
Intensität vielleicht sogar Schneeschauer. Hinzu kommen einzelne
Graupelgewitter. Leichter Frost beschränkt sich aufs Bergland, ansonsten ist es
viel zu windig bzw. stürmisch.

Samstag ... beruhigt sich die Lagen zwar etwa, ohne dass der Wind wirklich in
die Knie geht. Es stellt sich ein flotter und hochreichender Westfetch ein, der
vom Norden bis in die Mitte für stürmische Verhältnisse mit Böen 8-9 Bft,
Vorpommern anfangs 10 Bft, Berge anfangs noch bis 12 Bft induziert. Etwas
gemächlicher geht es weiter südlich zu. Im Norden kommt es bei wechselnder
Bewölkung zu weiteren Schauern, teils gewittrig und teils als Schnee oder
Graupel, Tendenz am Nachmittag nachlassend. Temperaturen 6-9°C.
Nach Süden hin macht sich ein weit nach Osten ausgreifender Keil des Azorenhochs
positiv bemerkbar mit längerem Sonnenschein, der auch auf die mittleren
Landesteile abfärbt. Temperaturen 7 bis 12°C.

Im Laufe des Nachmittags gilt es den Blick wieder gen Westen zu richten, wo sich
das nächst Tief nicht lange bitten lässt. Keine Angst, es spielt nicht in der
gleichen Liga wie seine beiden Vorgängerinnen, trotzdem wird es uns insbesondere
in der Nacht zum Sonntag beschäftigen. Es handelt es sich dabei um ein Teiltief
des über der Irminger See befindliche Tief WENJIN, das von England her die
Nordsee erreicht, um von dort via Jütland die Ostsee anzusteuern. Vorderseitig
des Tiefs frischt der auf südliche Richtungen rückdrehende Wind noch vor dem
Abend zunächst im Westen und Nordwesten auf (7-8 Bft), wo es gleichzeitig
anfängt zu regnen.

Am Abend und in der Nacht zum Sonntag breitet sich das Starkwindfeld über weite
Landesteile ostwärts aus, wobei der Wind auf Südwest bis West, zur Nordsee hin
auf Nordwest dreht. Es kommt verbreitet zu Böen 7-8 Bft, in freien Lagen 9 Bft,
im Bergland je nach Exposition 11 Bft. Nach Mitternacht erfolgt mit Druckanstieg
von Westen her eine vorübergehende Windannahme. Zweite Baustelle neben dem Wind
ist der Niederschlag, der sich mit Passage einer Okklusion über den Norden und
die Mitte (im Süden nur abgeschwächt) ostwärts ausbreitet. Die Schneefallgrenze
liegt zwischen 300 und 700 m, nach Osten und Nordosten hin kann es anfangs bis
ganz runter schneien. Gegen Morgen könnte im Westen und Südwesten schon der
nächste Regen aufschlagen, der die Warmfront eines weiteren Tiefs über dem
Ostatlantik (es dürfte ANTONIA sein, womit wir schon bei der zweiten Liste des
Jahres wären) ankündigt.

Sonntag ... dauert die lebhafte Zonalströmung an. Deutschland liegt dabei am
östlichen Ausgang der über dem Atlantik leicht flatternden Frontalzone. Die
Warmfront des nördlich an Schottland zur Nordsee ziehenden Tiefs ANTONIA
überquert Deutschland ostwärts, bevor sich von Nordwesten her die schleifende
Kaltfront nähert. Während es im Süden nur wenig oder sogar überhaupt nicht
regnet und die Wolkendecke z.T. sogar auflockert, regnet es in den übrigen
Landesteilen mal mehr, mal weniger. ICON haut dabei am meisten auf den Putz,
indem es im Westen und Nordwesten auf 10 bis 25 l/m², in Staulagen um 30 l/m²
innert 12 h kommt. Externe Modelle sind diesbezüglich deutlich gelassener.
Der Süd- bis Südwestwind frischt verbreitet auf mit Böen 7-8 Bft, lokal 9 Bft,
im höheren Bergland 10-12 Bft. Lediglich der Nordosten präsentiert sich über
weite Strecken des Tages deutlich windschwächer. Höchstwerte 7-13°C.


Modellvergleich und -einschätzung
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Hinsichtlich des morgigen Orkantiefs ZEYNEP haben sich die Modelle deutlich
angepasst. Schwerer Sturm respektive Orkan vom Norden bis in die (nördliche)
Mitte ist sicher. Entsprechende (extreme) Unwetterwarnungen werden noch heute
Abend ausgegeben. Evtl. erforderliche Anpassungen im Übergangsbereich von
Unwetter im Norden zu "normalem" Sturm im Süden können erst im Laufe des
Freitags in situ erfolgen. Auch die Böenspitzen an der Kaltfront werden morgen
relativ kurzfristig abgewarnt (draufgesetzt auf eine länger andauernde
Basis-Wind-/Sturmwarnung).


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmannn