DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

16-02-2022 10:01
SXEU31 DWAV 160800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 16.02.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal; und das von der fettesten Sorte)

Ab der kommenden Nacht bis Samstagfrüh knackiger Doppelschlag mit zwei
veritablen Sturmereignissen (YLENIA und ZEYNEP). Langeweile geht anders...

Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... erfolgt die Weichenstellung für einen bemerkenswerten
Witterungsabschnitt, bei dem ein(e) Knaller(in) (es sind die Ladys, die in
diesem Jahr für Bambule verantwortlich zeichnen) dem/der nächsten folgt. Erst
Donnerstag, dann Freitag, und auch danach ist keinesfalls Schluss mit den
Einschlägen. Aber der Reihe nach.

Zunächst mal gilt es einen Blick auf den Atlantik zu werfen (nicht auf den
Schiffsverkehr), wo sich eine lehrbuchmäßige Frontalzone mit integriertem Jet
formiert hat. Das Jetmaximum mit über 180 Kt! auf 300 hPa verbleibt heute zwar
noch westlich von UK/Irland, gleichwohl nähert er sich langsam dem europäischen
Kontinent an. Am kalten Rand respektive auf der kalten Seite der Frontalzone
turnen diverse Tiefs rum, von denen genau zwei unters Mikroskop gehören, da sie
den heutigen und auch den morgigen Tag entscheidend prägen. #1 ist das Tief
XANDRA, das das heute Morgen Schottland in Richtung nördliche Nordsee verlässt,
den Skagerrak passiert und zum Tagesende Südschweden erreicht, vielleicht sogar
schon hinter sich gelassen hat. Es liegt entwicklungsungünstig und wird sich
daher nicht weiter vertiefen (Kerndruck knapp unter 980 hPa). Mit der #2 ist die
Kollegin YLENIA (international Dudley) am Start, deren Stern vergangene Nacht
als zarte Welle weit westlich von Irland aufging, die sich nun aber zu einem
eigenständigen Tief entwickelt. Am Mittag erreicht sie mit rund 975 hPa die
Hebriden, überquert danach Schottland und erreicht in der ersten Nachthälfte die
nördliche Nordsee, wobei wahrscheinlich ein zweiter Kern gebildet wird. Auf der
Südflanke der beiden "Damen" hat sich ein veritabler West-Südwestfetch
aufgebaut, der sich heute und in der kommenden Nacht noch verstärkt.

Zunächst steht heute aber erst mal die Warmfrontpassage des Tiefs XANDRA an, die
nicht nur eine Menge Gewölk und Regen, sondern zusätzlich milde bi sehr milde
Atlantikluft heranführt. T850 steigt von etwa -2 bis +2°C am frühen Morgen bis
auf 1 bis 6°C am Abend. Steigen tut damit auch die Schneefallgrenze auf locker
über 1000 m, teils sogar über 1500 m. Im Verbund mit dem Regen (tagsüber 1-5,
gebietsweise bis 10, lokal bis 15 l/m², in der Nacht dann noch mehr) kommt es in
den Mittelgebirgen mit noch vorhandener Altschneedecke sowie an den Alpen zu
Tauwetter, was aber auch schon abgewarnt ist (Niederschlagsdargebot bis
Donnerstag (Vor)Mittag 30 bis 50 l/m²).
Darüber hinaus frischt der von Süd auf Südwest drehende Wind von Westen her
spürbar auf mit Böen 7/8 Bft im Tiefland, 8/9 Bft im Bergland und an der See,
exponiert 10 Bft, auf dem Brocken 12 Bft. Die Temperatur erreicht Werte von 7°C
in Teilen Südostdeutschlands und molligen 14 oder 15°C im Westen.

In der Nacht zum Donnerstag geht´s dann richtig los mit dem Spektakel, die
Zeichen stehen auf Weststurm. Die Frontalzone schiebt sich bis nach Deutschland
rein, der Gradient verschärft sich weiter und zu allem Überfluss greift nun auch
noch die Kaltfront von YLENIA von der Nordsee her auf Deutschland über. Und
genau diese AKTIVE Kaltfront ist es, die der Sturmlage die Krone aufsetzt.
Präfrontal feuchte Luft mit für Mitte Februar ungewöhnlichen 20 bis 25 mm PPW,
Labilisierung (vor allem in den untersten Schichten) mit CAPE-Bildung (bis zu
200 J/kg), dazu Höhenwinde von bis zu 60 Kt auf 925 hPa und 80 Kt auf 850 hPa -
mein lieber Scholli, wenn das keine Rahm(en)bedingungen sind. Ach ja, auch
Windscherung und Hodograph sind nicht von schlechten Eltern (=> hohes SRH), so
dass neben schauerartigen Verstärkungen an der Front auch Gewitter und
eingelagerte Mesozyklonen wahrscheinlich sind. Wo Mesos, da auch das T-Wort
nicht fern, aber das nur mal am Rande.
Der Fokus des nächtlichen Geschehens richtet sich eindeutig auf die
(geradlinige) Sturmentwicklung. Mit Verlagerung der Kaltfront in Richtung Mitte
breitet sich das Sturmfeld von Nord nach Süd aus (um Missverständnissen
vorzubeugen, auch präfrontal wird es im Süden stürmisch, aber nicht ganz so wild
wie weiter nördlich). Dabei treten verbreitet Böen 9-10 Bft auf. Mit
KF-Durchgang sowie in Verbindung mit nachfolgenden Schauerlinien (gut erkennbar
in den Pseudoreflektivitäten von ICON-D2) kommt es im Nordwesten sowie in der
Mitte und im Osten (hier übrigens die besten Bedingungen, weil noch der linke
Ausgangsbereich des Jets pumpend hinzukommt) zu orkanartigen Böen 11 Bft,
vereinzelt vielleicht sogar unteren Orkanböen 12 Bft um 120 km/h (die
geschätzten Kollegen von ESTOFEX haben an der Kaltfront ein für Winter eher
seltenes Level 3 herausgegeben). Auf den Bergen steht voller Orkan 12 Bft an
(bis 140 km/h, Brocken hoch auf rund 180 km/h; Nachtwanderung nicht empfohlen).

Wie bereits erwähnt kommt es zu weiteren, teils kräftigen Regenfällen (in
Staulagen teils über 20 l/m², aber auch im Norden gebietsweise um 15 l/m²), die
postfrontal zunehmend Schauercharakter annehmen.

Donnerstag... verläuft die Frontalzone genau über Deutschland (WNW nach OSO).
Derweil zieht das Sturmtief (es wird YLENIA alias Dudley sein) zum Baltikum, wo
es am Mittag mit etwas unter 965 hPa in Estland aufschlägt. Damit könnte man
meinen, der Spuk mit dem Sturm sei vorbei, doch weit gefehlt. The show must go
on und so wird uns nach Kaltfront (und postfrontaler Schauerstaffeln) ein
weiterer Höhepunkt geboten. Dabei handelt es sich um einen weit nach Südwesten
zurückhängenden Bodentrog, der von der Nordsee und Jütland her am Vormittag über
den Nordosten des Landes hinwegrauscht (angesichts der horrenden
Grundgeschwindigkeit der steuernden Strömung ist dieser Begriff durchaus
angepasst). Auf seiner Südwestflanke kommt es zu einer vorübergehenden
Gradientverschärfung, die zudem mit einem zweiten Maximum des Höhenwindes
korreliert (ähnliche Werte wie in der Nacht). Kurzum, nach einer vorübergehend
etwas!! schwächeren Sturmphase hinter der Front überquert am Morgen und am
Vormittag von der Nordsee her ein weiteres Sturmmaximum den Norden und Osten in
Richtung Polen, wo erneut Böen 11 Bft, lokal sowie an der Nordsee sogar 12 Bft
auf der Karte stehen.

Auch abseits der genannten Regionen bleibt es zunächst noch stürmisch mit Böen
8-10 Bft (am schwächsten das Ganze im Südwesten ausgeprägt), auf den Bergen bis
12 Bft. Die Kaltfront steuert die Alpen an, die sie bis Mittag auch erreichen
wird. Präfrontal schiebt sie ein sekundäres Sturmmaximum vor sich her, das aber
nicht so stark ausgeprägt ist wie das im Norden und Osten. Zum einen löst sich
die Front von den stärksten Höhenwinden, auch wird die Exposition zum Jet
schlechter. Kurzum, die Wahrscheinlichkeit für Böen 11 Bft nimmt abseits der
Berge (dort weiterhin die volle Dröhnung 12 Bft) ab, trotz Leitplankeneffekts
auch im Alpenvorland (so zumindest die numerische Ansicht).
Nach Abzug des Bodentrogs und einsetzendem Druckanstieg wird nach dem
Mittagessen am Abbau der Sturmlage gearbeitet. Von Südwesten her beginnt sich
der Wind abzuschwächen, was aber nicht mit Einschlafen gleichzusetzen ist. Am
Abend jedenfalls dürften in der Südwesthälfte stürmische Böen 8 Bft abseits der
Berge nur noch vereinzelt auftreten. Dagegen bleibt es nach Nordosten hin am
Nachmittag und Abend weiterhin stürmisch, allerdings mit abnehmender Intensität.
Abgesehen von den Hochlagen des Berglands werden an und auf der Nordsee die
höchsten Windgeschwindigkeiten mit Böen bis 10 Bft aus West.

Noch ein, zwei Sätze zum Wetter. In der postfrontal einfließenden subpolaren
Meeresluft (Rückgang T850 auf rund -5°C in der Nordhälfte und +2 bis -3°C weiter
südlich) kommt es zu schauerartigen, teils gewittrigen Niederschlägen, die im
höheren Bergland in Schnee übergehen. Eine nennenswerte Neuschneeakkumulation
ist dabei nicht zu erwarten. Die Schauer bringen neben dem Gradientsturm
natürlich auch noch mal ein lokales Sturmmaximum aufs Tableau. Im Norden kann es
mit Passage des Bodentrogs auch mal für einige Stunden am Stück regnen (bis
maximal 10 l/m²). Die Temperatur erreicht im Norden Maxima von 7 bis 11°C, sonst
11 bis 15°C, im äußersten Süden (wo sich die Subpolarluft nicht richtig
durchsetzt und es sogar etwas auflockert) bis zu 17°C.

In der Nacht zum Freitag wölbt sich die Frontalzone etwas auf (leicht
antizyklonale Krümmung) und von Südwesten her setzt sich leichter
Zwischenhocheinfluss durch. Wind- und Schaueraktivität lassen nach, so dass am
Morgen nur noch an der Ostsee sowie im Bergland Böen 7-8 Bft, in exponierten
Hochlagen 9-10 Bft aus Südwesten übrig sind. Ob in den frühen Morgenstunden im
Vorfeld des nächsten Sturmtiefs (Gott zum Gruße ZEYNEP, international Eunice) im
Südwesten schon wieder etwas Regen auf deutsches Territorium fällt, ist noch
unsicher. ZEYNEP (warum nur hat genau dieses Tiefs so einen exotischen Namen,
wird sich auch manch Fernsehmeteorologe fragen) ist ein ganz besonderes Exemplar
seiner Zunft, weist es doch Merkmale einer Shapiro-Keyser-Zyklone auf (linker
Ausgang/rechter Eingang, T-Bone-mäßige Feuchteverteilung (Wolken), diffuse
Kaltfront im Kernbereich). Bis zum Morgen jedenfalls intensiviert sich das Tief
auf 990 bis 970 hPa (noch große Modellunterschiede zwischen den Modellen) und
schlägt entweder über der Keltischen See oder in Irland auf.
Es sei noch erwähnt, dass die Temperatur im höheren Bergland in den leichten
Frostbereich zurückgeht, Glätte durch gefrierende Nässe inklusive.

Freitag... startet vergleichsweise entspannt, bevor es etwa ab Mittag wieder
ordentlich zur Sache geht. So viel vorweg, noch ist der detaillierte Ablauf mit
Unsicherheiten versehen, was insbesondere an der Zugbahn und Intensität des
Tiefs ZEYNEP liegt. Beides wird von ICON anders gesehen als z.B. von IFS und
GFS. So lässt ICON das Tief via Ärmelkanal zu den friesischen Inseln ziehen (18
UTC mit rund 985 hPa knapp nördlich von Borkum), während die Externen zur
gleichen Zeit mit rund 960 hPa auf der nördlichen Nordsee (Forties/Fisher)
unterwegs sind (nicht die Externen sind unterwegs, sondern das Tief).

Auf Basis ICON 00 UTC nun in Kürze die Entwicklung am Freitag und in der Nacht
zum Samstag: Im Tagesverlauf überquert uns die Warmfront von Südwest nach
Nordost, wobei es im Westen und Nordwesten am kräftigsten schütten soll
(kräftige WLA, später auf diffluenter Trogvorderseite PVA => gebietsweise 10 bis
15 l/m²). Rückseitig strömt sehr milde, fast schon warme Subtropikluft in den
Süden (T850 5 bis 10°C), in der die Temperatur bei nachmittäglichen
Auflockerungen bis auf 16/17°C, lokal vielleicht 18°C steigt. Wichtiger als das
ist aber die Tatsache, dass der südwestliche Wind etwa ab Mittag von Westen her
deutlich zulegt mit Böen 8-9 Bft, gegen Abend im Westen und Nordwesten 10 Bft,
erste 11 Bft.

In der Nacht zum Samstag dann Passage der Kaltfront mit Sturmfeld mit Böen 9 bis
11 Bft, lokal 12 Bft, Winddrehung auf West. Details noch sehr unsicher. Zufuhr
polarer Meeresluft (T850 bis -7°C), Schauer teils bis unten als Schnee, lokale
Gewitter. Sorry, aber zu wenig Zeit heute Vormittag...

Modellvergleich und -einschätzung
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Vor allem im Hinblick auf Freitag/Nacht zum Samstag sind noch viele Fragezeichen
offen. Die Modelle divergieren und haben offensichtlich so ihre Schwierigkeiten
mit Madame ZEYNEP. Wir dürfen gespannt auf die nächsten Modellläufe sein.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann