DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

15-02-2022 10:01
SXEU31 DWAV 150800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 15.02.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal)

Bis Donnerstag jeden Tag windiger, ab der Nacht zum Donnerstag veritabler
Weststurm mit schweren Sturmböen oder orkanartigen Böen bis in tiefe Lagen. Dazu
kurze Gewitter und teils kräftige Regenfälle mit Tauwetter. Mild bis sehr mild.


Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC
--------------------------------------------------------------
Dienstag... befinden wir uns unter einem Trog, der südlich der Alpen abtropft.
Das nördliche Residuum kommt unter Abschwächung nur langsam ostwärts voran.
Derweil nähert sich die über dem mittleren Nordatlantik verlaufende, sehr gut
ausgeprägte Frontalzone immer weiter dem Kontinent an. Im "Köcher" der
Frontalzone befinden sich einige vielversprechende "Pfeile", die in den
kommenden Tagen auf Teile Mitteleuropas abgefeuert und dabei auch Deutschlands
voll treffen werden. Bevor es soweit ist, verläuft der heutige Dienstag noch
ziemlich beschaulich ab, bevor es aber der kommenden Nacht mit der Ouvertüre zu
einer 2-, vielleicht sogar 3-aktigen Sturmoper losgeht.

Den heutigen Tag verbringen wir auf der Südflanke des Tiefs VERA, das sich über
die norwegischen Berge in Richtung Mittelschweden quält, wo sie spätestens heute
Nachmittag anlandet. Mit schwachen bis mäßigen west-südwestlichen Winden wird
subpolare Meeresluft advehiert (T850 um -3°C), in der sich das Wetter leicht
wechselhaft präsentiert. Im Südosten kommt es bis in den Nachmittag hinein noch
zu länger andauerndem Niederschlag, wobei die Schneefallgrenze bei 800 bis 1000
m liegt. In und an den Alpen sowie im Bayerischen Wald kommen bis zum Abend zu
dem, was schon gefallen ist, noch mal einige Zentimeter, lokal um 10 cm
Neuschnee dazu. Im großen Rest des Landes hält sich die Schaueraktivität
angesichts von Westen einsetzender Stabilisierung in Grenzen, hier und da lässt
sich sogar mal die Sonne blicken. Die Tageshöchstwerte liegen zwischen rund 4°C
am Alpenrand sowie in den östlichen und südöstlichen Mittelgebirgen bis zu 11°C
im Rheintal sowie in den östlichen Landesteilen.

In den Abendstunden nähert sich von Westen her das weitgehend okkludierte
Frontensystem eines Tiefs über der Irminger See (WENJIN). WLA und in Verbindung
mit einem aus der Frontalzone herauslaufenden KW-Trog lassen von der Nordsee und
Benelux Niederschläge aufkommen, die sich bis zum Morgen auf weite Teile des
Vorhersageraums ausbreiten. Genau genommen lässt sich der Niederschlag in zwei
Anteile teilen: erst die Okklusion mit nachfolgendem KW-Trog, zum Morgen im
Westen dann schon die Vorderseite einer weiteren Warmfront (Tief XANDRA um 00
UTC dicht vor den Hebriden). Wie auch immer, h der Süden und Südosten bleiben
bis zum Morgen noch weitgehend davon verschont. Mit Anstieg T850 auf 0 bis +2°C
sowie guter Durchmischung steigt die Schneefallgrenze in den westlichen
Mittelgebirgen rasch auf über 1000 m an. Im zentralen Bereich sowie nach Osten
hin liegt sie etwas niedriger, so dass in den Hochlagen zunächst noch etwas
Schnee fällt. Die akkumulierten Regenmengen liegen im Westen und in der Mitte
gebietsweise zwischen 5 und 10 l/m², lokal um 15 l/m².

Darüber hinaus frischt der Süd-Südwestwind mit Annäherung sowie Durchgang der
Front von NW nach SO merklich auf, wobei im Südosten aber nicht mehr so viel vom
Windmaximum ankommt. Auf der Karte stehen Böen 7 Bft, vereinzelt sowie an der
See und in höheren Lagen obligatorisch 8 Bft, an der Nordsee und in exponierten
Kamm- und Gipfellagen 9 Bft, auf dem Brocken bis 11 Bft. Postfrontal lässt der
Wind zur 2. Nachthälfte wieder nach.
In der einfließenden milden Meeresluft bleibt es weitgehend frostfrei, einzig
höhere Lagen im Osten und Süden gehen noch mal in den leicht negativen Bereich.


Mittwoch... kommt die Frontalzone immer dichter an den europäischen Kontinent
heran. Die östlichen Ausläufer des Jets, der im Kernbereich westlich von
UK/Irland auf ein Maximum von 180 Kt in 300 hPa kommt, erreichen die Nordsee
respektive Teile Norddeutschlands. Tief XANDRA überquert Schottland und befindet
sich am Mittag mit etwas unter 980 hPa über der nördlichen Nordsee, von wo aus
der Skagerrak angesteuert wird. Gemeinsam mit Nachfolgesturmtief YLENIA
(international DUDLEY), das mit rund 970 hPa im Kern um 12 UTC nordwestlich von
Irland liegt, spannt XANDRA einen sehr breiten und vor allem stürmischen
Warmsektor auf, dessen Warmfront Deutschland im Tagesverlauf ostwärts überquert.
T850 steigt bis zum Abend auf 2°C im NO und bis zu 7°C im Westen. Mit der Front
breitet sich ein Regengebiet ost-südostwärts, dem eine kurze Pause folgt. Am
späten Nachmittag/frühen Abend setzt im Nordwesten neuer Regen ein, der die
nachfolgende Kaltfront ankündigt. Akkumuliert über den Tag kommen im Nordwesten
sowie im Bergland 5 bis 10 l/m², in Staulagen lokal um oder etwas über 15 l/m²
zusammen, so dass vor dem Hintergrund weiterer Regenfälle für einige
Mittelgebirge markante Dauerregen- oder Tauwetterwarnungen ausgegeben werden
müssen (DR vor allem Rothaargebirge, Sauerland; TW eher Thüringer Wald,
Schwarzwald, bayerische Mittelgebirge).

Zweites Warnelement ist der Wind, der aus Südwest kommend im Warmsektor
landesweit auffrischt mit Böen 7-8 Bft, an der Nordsee zum Nachmittag 9 Bft, in
Hochlagen des Berglands je nach Exposition 9 bis 12 Bft. Weitgehend verschont
von warnwürdigen Wind-/Sturmböen bleiben bis zum Abend Teile des Nordostens und
des Südostens. Mit 8 bis 14°C wird es mild bis sehr mild.

In der Nacht zum Donnerstag geht´s erstmalig so richtig zur Sache. Erstens
erreicht die Vorderseite des Jets den Vorhersageraum. Zweitens vereinigen sich
XANDRA und die nachfolgende YLENIA über der nördlichen Nordsee bzw. dem
Skagerrak zu einem elliptisch geformten Tief, auf dessen Südflanke der Gradient
gewaltig anzieht. Und drittens greift noch vor Mitternacht die Kaltfront der
beiden Damen von der Nordsee her auf NW-Deutschland über, um von dort recht
zügig südostwärts bis in die mittleren Landesteile voranzukommen. Das Sturmfeld
breitet sich von Nord nach Süd aus, wobei allein schon vom Gradienten verbreitet
Sturmböen und schwere Sturmböen 9-10 Bft aus westlichen Richtungen auftreten.
Auf den Bergen bläst der Wind mit voller Orkanstärke 12 Bft, teils über 140
km/h. Gekrönt wird die ganze Sache aber noch durch die KF-Passage, die nicht nur
einige Gewitter induziert, sondern dem Sturm noch einen draufsetzt. Oberwinde
bis zu 65 Kt auf 925 hPa und bis zu 80 Kt im Norden und in der Mitte findet man
nicht alle Tage im Angebot und die Chancen, dass ein nicht unerheblicher Teil
davon runtergemischt wird, stehen gut. Dabei sollte man sich übrigens nicht von
den Lapse-Rates zwischen 2 und 4 km Höhe täuschen lassen, die z.T. eine relativ
stabile Schichtung anzeigen und erst postfrontal labiler werden.
Aussagekräftiger sind in diesem Fall die Labilitätsraten zwischen Boden und
850/800 hPa, welche einen trockenadiabatischen Gradienten mit trockener
Grundschicht anzeigen (=> zusätzlicher Katalysator durch verdunstenden
Niederschlag, Stichwort Cold-Pool). Kurzum, gerade vom Norden bis in die Mitte
muss auch in tiefen Lagen mit orkanartigen Böen 11 Bft gerechnet werden,
entsprechend wurde am Morgen eine Vorabinformation geschaltet.

Ansonsten sei noch vermerkt, dass es verbreitet teils kräftig regnet, wobei der
Regen postfrontal zunehmend schauerartigen Charakter annimmt. Akkumuliert über
12 h kommen im Norden (gebietsweise) und im Bergland 10 bis 15 l/m², lokal um
oder etwas über 20 l/m² zusammen.

Donnerstag... läuft der Jet ost-südostwärts orientiert genau über Deutschland
hinweg. Das Doppeltief (wahrscheinlich bleib XANDRA übrig) zieht zu den
baltischen Staaten, wobei es sich auf nahe 960 hPa vertieft. Zwischen dem Tief
und hohem Luftdruck westlich der Iberischen Halbinsel bleibt bei uns ein mehr
als veritabler Druckgradient erhalten, der die Sturmlage am Laufen hält. Nur
kurz und auch nicht besonders stark fällt eine unmittelbar hinter der Front
auftretende Sturmabschwächung aus, bevor es wieder ordentlich zur Sache geht.
Zwar schwächen sich die Oberwinde geringfügig ab, gleichwohl muss weiterhin
verbreitet mit Böen 9-10 Bft, Norden/Mitte bis 11 Bft, Berge bis 12 Bft
gerechnet werden. Ab Mittag zeichnet sich im äußersten Nordosten von Dänemark
her eine Abschwächung ab (Bodentrog mit Auffächerung) und auch im Südwesten wird
es am Nachmittag allmählich weniger mit dem Sturm.

Ansonsten gilt es noch zu konstatieren, dass die Kaltfront weiter in Richtung
Alpen zieht (=> evtl. orkanartige Böen 11 Bft im Alpenvorland durch
Leitplankeneffekt). In der rückseitig einfließenden subpolaren Meeresluft (T850
im äußersten Süden um 0°C, im Norden bis -5°C) kommt es zu schauerartigen
Niederschlägen, die in den Hochlagen als Schnee fallen oder mit Schnee vermischt
sind. Höchsttemperatur: Im Norden 7-10°C, sonst 10 bis 16°C.

In der Nacht zum Freitag sorgt Druckanstieg von Süden und Südwesten her für eine
allmähliche Auffächerung des Gradienten und damit einhergehend eine Abnahme des
Sturms. Am Morgen dürfen Böen 8-9 Bft nur noch in exponierten Hochlagen sowie an
der Ostsee auftreten. Abnehmen tut auch die Schaueraktivität und im Bergland
kann es hier und da glatt werden durch gefrierende Nässe.

Modellvergleich und -einschätzung
--------------------------------------------------------------
Die Modelle simulieren die Sturmlage ab der Nacht zum Donnerstag sehr ähnlich.
Zwar sind noch ein paar Detailfragen zu klären (z.B. genaues Timing, regionale
Sturmminima/-maxima, Überlappung der maximalen Höhenwinde mit Hauptlabilität),
der Generalkurs steht aber.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann