DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

01-01-2022 09:01
SXEU31 DWAV 010800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 01.01.2022 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang von Wa zu Wz (West antizyklonal => zyklonal)

Prosit Neujahr - beschaulicher Jahresstart dank Zwischenhocheinfluss. An den
Folgetagen wieder zunehmende Dynamik mit rascher Abfolge von Tiefs, Wellen und
Fronten, gemeinhin wechselhaft also.

Synoptische Entwicklung bis Montag 24 UTC
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Samstag... startet das neue Jahr mit einer "benutzerfreundlichen" Wetterlage.
Vorhersagemeteorologen (und natürlich auch Kolleginnen) dürfen sich über
Zwischenhocheinfluss freuen, der den Arbeitsaufwand zumindest für den laufenden
Tag in Grenzen hält, was nach der meist kurzen Silvesternacht nicht die
schlechtesten Voraussetzungen sind. Vollwetterfans freilich dürfte die Lage
weniger schmecken, doch auch diese Herrschaften werden wahrscheinlich schon in
naher Zukunft auf ihre Kosten kommen. Wie immer man dazu steht, Fakt ist, dass
der Jahreswechsel wie erwartet in weiten Landesteilen mild bis sehr mild
verlaufen ist. Um 06 MEZ wurden verbreitet zweistellige Temperaturen bis zu 13°C
gemessen. Etwas kühler war es direkt an der See sowie im Süden, wo es ganz weit
"unten" sogar leichten Frost gab (so z.B. auf der Baar bei den Schwenninger Wild
Wings oder direkt am Alpenrand). Ausstrahlung hat dort ein dünne, von der
ansonsten milden Atlantikluft entkoppelte Grundschicht generiert, was in den
übrigen Gebieten aufgrund meist starker Bewölkung und etwas Wind nicht gelingen
konnte.

Zur Wetterlage, die geprägt ist von einem veritablen Höhenrücken, der im
Tagesverlauf von Westen her den Vorhersageraum ostwärts überquert. Dabei
korreliert er mit dem umfangreichen Hoch CHRISTINE (die sich aus dem alten ins
neue Jahr gerettet hat und wohl das letzte weibliche Hoch in 2022 sein wird),
das sich von Südwesteuropa nordwärts bis nach Skandinavien ausdehnt und bei uns
besagten Zwischenhocheinfluss induziert. Allerdings ist die Bodenhochdruckzone
genauso progressiv wie der Höhenrücken. So liegen wir zum Tagesende bereits
wieder auf ihrer Rückseite, die gleichzeitig die Vorderseite eines kräftigen
Sturmtiefs südlich von Island darstellt. Hierbei handelt es sich übrigens um den
Kollegen ÜMIT, der - ausgestattet mit Shapiro-Keyser-Wesenszügen -
wahrscheinlich als der erste und gleichzeitig aber auch letzte männliche
Vertreter seiner Zunft (nämlich Tiefdruckgebiete) in die 2022-Chroniken eingehen
wird. Nun sind Namen zwar eine hübsche Spielerei für den Boulevard, letztlich
aber auch nur Schall und Rauch. Entscheidend ist vielmehr, was die Hochs und
Tiefs am Ende bewirken, wie sie mit-, aber auch manchmal gegeneinander agieren
und was schlussendlich für ein Wetter dabei herauskommt.

Da sieht es so aus, dass der Norden und Osten heute nicht so wirklich von dem
Zwischenhocheinfluss profitieren können. Einerseits ist die bis etwa 800 hPa
reichende Grundschicht ziemlich feucht (=> tiefe Wolken), andererseits lässt
andauernde, den Rücken umlaufende WLA auch mittelhohe und hohe Wolken
durchziehen. Kurzum, in puncto Sonne fällt der Jahresstart mau aus, am ehesten
sind im westlichen Niedersachsen ein paar Aufhellungen oder Auflockerungen drin.
Immerhin bleibt es im Großen und Ganzen trocken, nur hier und da nieselt es
etwas (Nordosten).
Zur Mitte und nach Westen hin nehmen die Chancen für Auflockerungen oder gar
sonnige Abschnitte zu, auch wenn die Lage bei Weitem nicht so astrein ist wie im
Süden Bayerns und BWs, wo man von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (Nebel) schon
gering bewölkt oder klar aus der Nacht kommt. So dürften heute vom südlichen
Oberrheingraben/Schwarzwald bis hinüber nach Oberbayern die meisten
Sonnenstunden registriert werden und das Neujahrsspringen in Garmisch problemlos
über den Backen gehen. Denn, und damit wären wir beim Wind, die ganz großen
Luftbewegungen sind heute nicht zu erwarten. Lediglich in einigen exponierten
Hochlagen des Berglands sowie zum Abend hin auch über der Deutschen Bucht muckt
der auf südliche Richtungen rückdrehende Wind etwas auf (7 Bft, teils 8 Bft).
Bei ansteigenden 850-hPa-Temperaturen (am Abend 6°C im Nordosten, bis zu 12°C im
Südwesten) stehen Tageshöchstwerte von rund 10°C an der See und punktuell 15
oder 16°C im Süden und Westen sowie in einigen Leelagen auf der Karte.

In der Nacht zum Sonntag gelangen wir zunehmend auf die Vorderseite eines
flachen, dafür sehr breit angelegten Höhentrogs über dem nahen Atlantik. Meister
ÜMIT hat inzwischen eine Zellteilung durchlebt, sprich, an seiner Okklusion ist
ein Teiltief entstanden, das mit einem Kerndruck von knapp unter 970 hPa südlich
an Island vorbei in Richtung Norwegische See zieht (das ursprüngliche Tief
verbleibt im Seegebiet südwestlich Islands). Für uns spielt das Ganze insofern
eine Rolle, als dass von der Nordsee her die wellende Kaltfront mit Regen auf
den äußersten Norden und Nordwesten übergreift. Bis zum Morgen wird sie nur
wenig landeinwärts vorankommen, allerdings reicht es, um den postfrontal über
der Nordsee auf Südwest drehenden Wind wieder schwächer werden zu lassen. So
bleibt es den höheren Lagen des Berglands vorbehalten, ein paar Duftmarken in
Sachen Wind zu setzen, was dem Brocken (wieder mal) mit bis zu Windstärke 9 Bft
am besten gelingt.
Ansonsten bleibt nur noch zu erwähnen, dass sich im Süden und in der Mitte
einige Nebelfelder bilden mit Sichtweiten teils unter 150 m. Außerdem gibt es im
äußersten Süden (Alpenrand, südliches Vorland, Grenze zur Schweiz,
Mittelgebirge) leichten Frost.

Sonntag... beginnt die Höhenströmung zusehends zu zonalisieren. Der Rücken
wandert endgültig nach Osten ab und der o.e. Trog im Westen ist derart flach,
dass er keine nennenswerte Meridionalkomponente beizusteuern vermag. Das zonale
Strömungsregime bekommt der Kaltfront nicht wirklich, zumindest was ihre
Verlagerungstendenzen angeht. So wird sie wohl zunächst noch eine flache Welle
im Norden passieren lassen müssen, bevor sie dann zum Nachmittag sowie in der
Nacht zum Montag ihre Passage von Nordwest nach Südost fortsetzen kann.

Wettertechnisch bedeutet das für Norddeutschland nicht nur "Schotten dicht" was
die Bewölkung angeht, es regnet auch, teils länger andauernd und gebietsweise
gar nicht mal so lasch (5 bis 10, stellenweise um 15 l/m² innert 12 h). Zur
Mitte, vor allem aber nach Süden nimmt die Regenwahrscheinlichkeit ab und die
Chancen für Auflockerungen oder sonnige Abschnitte stetig zu. Die meisten
Sonnenstunden dürften einmal mehr die südlichen Gebiete Bayerns und BWs
abbekommen. Auf der Südflanke des inzwischen in der Norwegischen See
angekommenen Teiltiefs ÜMIT (um 12 UTC immer noch etwas unter 970 hPa) lebt der
von Süd auf Südwest bis West drehende Wind mit Unterstützung des Tagesgangs
langsam aber sicher auf. An der Nordsee sowie im nordwestdeutschen Binnenland
muss zum Nachmittag und Abend mit Böen 7 Bft, exponiert 8 Bft gerechnet werden
(bei IFS deutlich ausgeprägter als bei ICON). Außerdem treten im Bergland sowie
in Leelagen Böen 7-8 Bft, in exponierten Kamm- und Gipfellagen 9 bis 10 Bft,
Brocken bis 12 Bft auf.
Obwohl die Temperatur niedertroposphärisch hinter der Kaltfront zurückgeht (am
Abend nur noch um +1°C im Norden auf 850 hPa), wird es in der einfließenden
subpolaren Meeresluft alles andere als kalt. Durchmischung lautet das Stichwort
und so wird auch der zweite Tag des neuen Jahres ein milder bis sehr milder mit
9 bis 15°C, im Alpenvorland lokal bis zu 17°C.

In der Nacht zum Montag wird mit der weiter zunehmenden westlichen Grundströmung
(von Frankreich her schiebt sich der Jet der Frontalzone bis nach Süddeutschland
vor) eine kurze Welle zu uns gespült, die sich im Bodendruckfeld etwas klarer
widerspiegelt als in der Höhe. Modellübergreifend (ICON bietet die südlichste
Variante an) soll sie kurz vor Mitternacht von Holland auflaufen, dann über die
Norddeutsche Tiefebene hinwegziehen, um in den Frühstunden die Grenze zu Polen
zu erreichen. Mit der Welle gelangt nicht nur ein Schwall labil geschichteter
Meeresluft in weite Landesteile (T850 um 0°C, T500 verbreitet auf unter -25°C,
im Westen bis zu -29°C sinkend), auf der Südflanke kommt es zudem zu einer
spürbaren Windzunahme (Gradient + Konvektion). So bringt die Nacht vor allem den
mittleren und südlichen Landesteilen ein paar "wilde" Stunden mit lebhaftem und
böigem Südwest- bis Westwind (7-8 Bft, vereinzelt 9 Bft, Bergland je nach
Exposition bis zu 12 Bft), Außerdem fällt schauerartiger, kurzzeitig auch mal
kräftiger Regen, der in gut geschertem Umfeld von dem einen oder anderen
Gewitter begleitet sein kann. Oberwinde von bis zu 45 Kt auf 925 hPa und bis zu
60 Kt auf 850 hPa zeigen deutlich, dass die Gewitter (aber auch starke Schauer)
von Böen 8-9 Bft begleitet sein können. Regen fällt übrigens auch im Norden des
Landes, dafür ist dort die genaue Windprognose noch nicht in trockenen Tüchern.
Im Wellenscheitel sowie nördlich davon ist die Dynamik in der Regel wenig
ausgeprägt. Allerdings simuliert IFS über Südskandinavien eine weitere
Wellenpassage, auf deren Südflanke ein Starkwindfeld (7-8 Bft) von der Nord- zur
Ostsee zieht und von dem auch das küstennahe Binnenland betroffen wäre.


Montag... sorgt eine hochreichend zonale und lebhafte Strömung für einen
windigen und wechselhaften Wochenstart. Der Jet verläuft über Süddeutschland,
das steuernde Tief (Kernisobare jetzt sogar 965 hPa) liegt weiterhin über der
Norwegischen See. Mit frischem Südwest- bis Westwind wird nach wie vor labil
geschichtete subpolare Meeresluft advehiert (T850 -2 bis +2°C, T500 um -30°C in
der Nordhälfte), in der es zu schauerartigen Regenfällen (in Staulagen um oder
etwas über 10 l/m² innert 12 h möglich) und einzelnen Gewittern kommt. In Böen
erreicht der Wind Stärke 7-8 Bft, bei kräftiger Konvektion sowie an der Nordsee
bis zu 9 Bft, im höheren Bergland 9 bis 12 Bft (wobei die "12" wahrscheinlich
exklusiv dem Brocken vorbehalten bleibt). Mit maximal 7 bis 13°C wird es etwas
weniger mild als zuvor.

In der Nacht zum Dienstag divergieren die Modelle zunehmend, doch scheint eines
gewiss: Es wird hochinteressant! So könnte der Norden von einem scharf
geschnittenen, von der Nordsee hereinschwenkendem Bodentrog mit Regen und Wind
touchiert werden, was insbesondere von ICON präferiert wird. Abgesetzt davon
braut sich über der Biskaya oder knapp nördlich davon ein kleines Wellen-
respektive Randtief zusammen, das es vor allem bei GFS in sich haben soll (um 06
UTC mit knapp über 980 hPa im Kern über SW-England). Zwar bleibt das Starkwind-
bzw. Sturmfeld des Tiefs - wie intensiv es auch immer ausfallen wird - noch
außen vor, dafür setzen aber von Westen und Südwesten Regenfälle ein, die sich
tagsüber noch verstärken und manch Mittelgebirge eine Dauerregenlage bescheren
dürfte. Von daher darf mit Spannung den nächsten Übersichten entgegengefiebert
werden.

Modellvergleich und -einschätzung
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Wie so oft sind sich die Modelle im Grundtenor weitgehend einig. Gleichwohl
zeigen sich einige Differenzen, die durchaus von Bedeutung sein können. Als
Beispiel sei hier noch mal die Windentwicklung im Norden in der Nacht zum Montag
angeführt (siehe Text). Auch das zum Schluss beschriebene kleine Tief weist
hinsichtlich Intensität und genauer Zugbahn noch eine hohe Varianz auf.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann