DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

23-12-2021 09:30
SXEU31 DWAV 230800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 23.12.2021 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang zu HNa (Hoch Nordmeer antizyklonal)

Niederschläge teils als Schnee (Nordosten), teils als Regen, gebietsweise
Glatteis (Norden, östliche Mitte, Südosten mit Vorabinfo). Vor allem in höheren
Lagen vorübergehend stürmisch.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... weist die großräumige Druckverteilung eine klassische
Viererkonstellation auf (Viererdruckfeld): Hochs Grönland/Nordmeer (BELINDA) und
Südosteuropa (ANNI) vs. Tiefs Fennoskandien (QUINTINUS) und Ostatlantik (PER)
bilden - nein, nicht das literarische Quartett -, sondern agieren hochgradig
frontolytisch. Während das nördlich Pärchen versucht, Polarluft arktischen
Ursprungs möglichst weit nach Süden zu verfrachten, hält das südliche Duo mit
milder Atlantikluft dagegen. Heraus kommt eine durch hohe Baroklinität
gekennzeichnete Luftmassengrenze, die sich pünktlich zum Weihnachtsfest bei uns
einnistet und - so viel sei an dieser Stelle schon verraten - selbst im
Kurzfristbereich immer noch Überraschungspotenzial hat. Doch der Reihe nach.

Den heutigen Donnerstag verbringen wir unter einer nordwestlichen, im
Tagesverlauf etwas zulegenden Höhenströmung. Sie markiert die Vorderseite eines
quasistationären Rückens über Westeuropa, der sich nur langsam etwas abflacht.
Der Rücken wird überlaufen von WLA, die sich quasi auf den gesamten
Vorhersageraum ausgeweitet hat und erst in er kommenden Nacht allmählich
nachlässt. Fast noch wichtiger als die Geschehnisse in der Mitteltroposphäre
sind die Aktivitäten, die sich in den unteren Bereichen abspielen. Dort gilt es
zunächst mal die gealterte Kaltluft der vergangenen Tage und Nächte zu erwähnen,
die den heutigen Tag von wenigen Ausnahmen abgesehen mit leichtem, in der
Südhälfte vielfach mäßigem Frost hat beginnen lassen. In den nächsten Stunden
wird nun kräftig daran gearbeitet, dieses Temperaturniveau nach oben zu
katapultieren, wobei das eigentlich die falsche Wortwahl ist. Weiß man doch,
dass sich kalte Frostluft in der Regel nicht so einfach von der Bühne vertreiben
lässt. Trotzdem, neben dem Tagesgang kommt ein weiterer wichtiger Faktor ins
Spiel, nämlich der Wind. Der dreht im bodennahen Bereich von Süd-Südost auf
Süd-Südwest und in der unteren Troposphäre gar auf West. Dadurch wird die
Advektion der o.e. milden Atlantikluft vorangetrieben, die sich zunächst vor
allem im Westen und Südwesten sowie im Alpenvorland durchsetzt. Auf 850 hPa
rückt die 0°C-Isotherme bis zum Abend bis zu einer Linie
Nordfriesland-Osterzgebirge vor. Südwestlich davon steigt die Temperatur auf 1
bis 5°C, während sie weiter nordöstlich bei -1 bis -5°C verharrt. Auf 2 m
bedeutet das für den Nordosten sowie in Teilen Bayerns leichten Dauerfrost, für
den Westen und Süden 3 bis 9°C mit den höchsten Werten am Oberrhein.

Und was geht beim Wetter? - Nun, da richtet sich der Blick vornehmlich auf die
Nordhälfte, wo von der Nordsee her eine zunächst recht unscheinbare
Warmfrontwelle (PER II) übergreift. Schon vergangene Nacht sowie am frühen
Morgen wurden im Norden gebietsweise Niederschläge generiert, von denen unten
aufgrund der abgetrockneten Grundschicht aber so gut wie nichts ankam. Das wird
sich nun mit zunehmender Durchfeuchtung aber ändern und der Niederschlag wird
sich von West nach Ost ausbreiten. Dabei tritt sowohl Regen als auch Schnee auf,
und da die Böden vielfach durchgefroren sind besteht vielerorts Glatteisgefahr.
Warntechnisch sollte man das zunächst mal mit einer markanten Glättewarnung
würdigen, die Zug um Zug nach Osten ausgeweitet wird. Allerdings sollte dabei
jederzeit die Option in Betracht gezogen werden, von "ocker" auf "rot"
(Unwetter) hochzuziehen, wenn nämlich die stündlichen RR-Raten hochgehen (etwa
über 0,4 mm/h) und das auch noch über mehrere Stunden.
Je weiter der Niederschlag weiter nach Osten vorankommt, desto wahrscheinlicher
wird die Schneephase respektive die Andauer selbiger (siehe Anmerkungen weiter
oben zu T850). Für den Nordosten, wo die Böden natürlich auch gefroren sind,
bedeutet das, dass sich etwa von Ostholstein bis nach Vorpommern bzw. ins
nördliche BB hinein bis zum Abend eine wenige Zentimeter dünne Schneedecke
bildet (1 bis 5 cm).

Weiter südlich passiert zunächst noch nicht allzu viel. Okay, der Himmel ist
bedingt durch die WLA mit hohen und mittelhohen Wolkenfeldern überzogen. Doch
gerade im Süden ist für einige Stunden zumindest diffuser Sonnenschein drin,
sofern man nicht unter Hochnebelfeldern steckt wie z.B. an der Donau. Ab dem
Naschmittag nehmen dann die Hebungsprozesse soweit zu, dass es auch im zentralen
Mittelgebirgsraum sowie im Südosten etwas Niederschlag geben kann. Meist ist es
Regen oder Nieselregen, der bei Dauerfrost und gefrorenen Böden gefriert und
Glatteis produziert.
Noch ein Satz zum Wind, der im Tagesverlauf insbesondere in höheren Lagen sowie
in Leelagen weiter auffrischt und in Böen 7 Bft erreicht, in exponierten Kamm-,
Kuppen- und Gipfellagen 8-9 Bft, Brocken 10 Bft. Auch über der Nordsee brist der
Südwestwind soweit auf, dass zumindest auf den Inseln einiger 7er-Böen über den
Strand fegen.

In der Nacht zum Freitag kapert die Warmfrontwelle die Kimbrische Halbinsel, um
danach via SH und MV gen Polen zu ziehen. Auf ihrer Südflanke kommt die milde
Atlantikluft noch wenig nordostwärts voran, so dass sich im Nordosten die
Kaltluft zumindest in Mischform halten kann (anfangs leichter Frost, bis zum
Morgen Anstieg auf Werte nahe 0°C). Zwar lässt die mitteltroposphärische WLA
langsam nach, mit Annäherung eine KW-Troges kommt es aber zu weiteren
Hebungsprozessen (PVA) und Niederschlägen, die außerdem durch starke
frontogenetische Deformation forciert werden. Dabei wird das Areal potenziellen
Schneefalls noch etwas weiter nach Nordosten abgedrängt bzw. wird insgesamt
schmaler, was die Prognose schwieriger macht. Vor allem im südlichen Teil MVs
sowie im nördlichen BB bis hinunter in den Berliner Raum können noch ein paar
Zentimeter fallen, so dass in der Akkumulation bis Freitagvormittag lokal
durchaus mal 8 cm, vielleicht sogar 10 cm Neuschnee liegen - was will man mehr
am Morgen des Heiligen Abends?
Ansonsten muss im Norden und Nordosten im Übergangsbereich zum Regen weiterhin
auf Glatteis geachtet werden, Gleiches gilt für die resistenten "Frostbeulen" in
den zentralen Mittelgebirgen sowie im Südosten Bayerns (Teile Nieder- und
Oberbayerns inkl. Alpentäler), wo man sogar eine Vorabinformation Unwetter in
Betracht ziehen kann.

Der allgemein auf Südwest drehende Wind (nur ganz oben im Norden geht´s rum auf
Nordwest bis Nord) legt auf der Südflanke des Wellentiefs noch eine kleine
Schippe drauf, was aber im Wesentlichen nur in freien und in höheren Lagen des
Berglands richtig spürbar ist (7-8 Bft, exponiert 9 Bft, Alpen/Bayerischer Wald
10 Bft, Brocken/Fichtelberg 11 bis 12 Bft). Während es in der Westhälfte
weitgehend frostfrei bleibt, tritt in der Osthälfte trotz zögerlicher Milderung
gebietsweise noch leichter Frost auf.

Freitag... wird der Rücken westlich von uns weiter abgehobelt, was bei uns die
Höhenströmung leicht auf West-Nordwest rückdrehen lässt. Rückseitig der über
Polen ostwärts ziehenden Warmfrontwelle stößt mit Winddrehung auf nördliche
Richtungen skandinavische Kaltluft langsam aber sicher nach Süden vor. Dabei
lassen sich zwei Kaltfrontenn ausmachen, von denen die erste dem Wellentief, die
zweite dem "Muttertief" (besser wäre "Vatertief", da QUNITINUS nach alter
Lateinerregel unstrittig maskulin ist) über Finnland zugehörig ist. Bis zum
Abend geht T850 im äußersten Norden und Nordosten auf -10°C oder noch etwas
darunter zurück, während die 0°C-Isotherme die Mitte (etwa von der Kölner Bucht
bis rüber zum Thüringer Becken) erreicht. Zwischen Hochhrein bzw. Alpenrand und
den Regionen an der Ostsee steigt der Temperaturunterschied in der Heiligen
Nacht auf über 15 Grad an, was schon ein ordentliches Paket ist.

Wettermäßig sieht es am morgigen 24. ziemlich trist aus, meist bleibt der Himmel
bedeckt und nur mit etwas Glück zeigen sich an den äußeren Rändern (Alpenrand im
Süden, Grenze zu Dänemark im Norden) ein paar Lücken. Dazu zeichnen sich zwei
Niederschlagsgebiete ab: Eins im Süden (Bayern, BW), wo es mit Durchgang kurzer
Wellen zeitweise regnet. Anfangs muss im Osten und Südosten noch mit Glatteis
gerechnet werden, was sich noch im Laufe des Vormittags durch Tagesgang und
andauernder WLA aber erledigen sollte. Das zweite Niederschlagsgebiet bildet
sich im Norden an der ersten Kaltfront respektive der Deformationszone ab, die
sich peu a peu südwärts gen nördliche Mitte vorarbeiten. Am nördliche, also am
kalten Rand des Korridors fällt noch etwas Schnee oder Schneeregen, die
Neuschneeakkumulation hält sich tagsüber aber in Grenzen. Lediglich in
Ostseenähe (vor allem MV) könnte es mit Passage eines KW-Trogs sowie auflandigem
Wind mitunter etwas stärker schneien, was dann auch liegenbleibt. Die
Glatteisgefahr, die am Morgen noch stellenweise gegeben ist, nimmt sukzessive
ab.

Präfrontal frischt der südwestliche Wind im nördlichen und zentralen
Mittelgebirgsraum zeitweise stark böig auf (Böen 7 bis 8 Bft, exponierte
Hochlagen deutlich mehr), bevor er zum Abend hin nachlässt. Auch sonst wird der
Wind auf den Bergen im Tagesverlauf allmählich schwächer. An der Ostsee hingegen
weht am Heiligen Abend für einige Stunden eine frische und vor allem kalte Brise
aus Nordost mit Böen 7 Bft, exponiert 8 Bft. Während am Hochrhein, im südlichen
Oberrheingraben oder auch im südlichen Alpenvorland zaghaft die 10°C-Marke
angesteuert wird, sind es im Nordosten nur wenig Grad über null. Tendenz am
Nachmittag und Abend in den Frostbereich absinkend.

In der Nacht zum Samstag setzt von der Nordsee her Druckanstieg ein, der sich
Form eines südostwärts vorstoßenden Hochkeils bemerkbar macht. Im Norden klart
es in der frisch eingeflossenen arktischen Polarluft auf, was die Temperatur in
den Keller sinken lässt. Vielfach stellt sich mäßiger, über Schneeflächen sogar
strenger Frost um oder etwas unter -10°C ein. An der nur noch wenig südwärts
vorankommenden Luftmassengrenze werden die Niederschläge schwächer und der
betroffene Korridor schmaler. Am nördlichen Rand fällt etwas Schnee, sonst
Regen, lokales Glatteis weiterhin möglich. Auch im Süden regnet oder nieselt es
mitunter noch etwas. Die Frostgrenze stößt etwa bis zum nördlichen
Mittelgebirgsrand respektive bis nach Sachsen vor, wobei Glätte durch
gefrierende Nässe auftreten kann. Der Wind geht überall im Land in die Knie, wie
es sich für die Heilige Nacht gehört.

Samstag... spaltet sich aus dem Hochkeil eine eigenständige kleine Parzelle ab,
die mit etwas über 1015 hPa zwar nicht viel auf den Barographen bringt, trotzdem
aber äußerst wirkungsvoll agiert. Im Grunde schlägt sie die Brücke zwischen den
beiden Hochs des "literarischen" Quartetts und sorgt im Norden und Nordosten für
einen sonnigen, aber frostig-kalten ersten Weihnachtstag, der in vielen Regionen
nordöstlich von Elbe und Havel auch noch eine Schneedecke zu bieten hat. In der
trockenen Polarluft wird es punktuell nicht wärmer als -4/-5°C. Angesichts
solcher paradiesischen Aussichten (sofern man dem Winter nicht abgeneigt ist)
möchte man sich die weitere Beschreibung des bundesdeutschen Wetters am liebsten
ersparen, aber das geht nicht im Rahmen dieses Bulletins.

Also, die Luftmassengrenze legt sich diagonal von West nach Südost über
Deutschland. In ihren Bereich sowie südwestlich davon kommt es zu weiteren
zeitweiligen Niederschlägen, die im Grenzbereich zur Kaltluft als Schnee, teils
auch als gefrierender Regen. Vor allem in den zentralen Mittelgebirgen kann es
ein paar Zentimeter Schnee geben, wobei die Modelle diesbezüglich noch
divergieren. Im äußersten Süden wird zumindest lokal die 10°c-Marke geknackt.

In der Nacht zum Sonntag könnte es brisant werden, wenn die Luftmassengrenze als
Warmfront beginnen sollte, langsam nach Nordosten zu schwenken. Noch ist das
letzte Wort nicht gesprochen, aber wenn, dann bestünde die Gefahr einer
flächigen Glatteislage.

Modellvergleich und -einschätzung
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Grundsätzlich simulieren die Modelle die Lage ähnlich. Fragen zu
Niederschlagsphase können mitunter allerdings nur kurzfristig beantwortet
werden. Auch die genaue Position der Luftmassengrenze an Weihnachten sowie die
resultierenden Niederschläge weisen noch Interpretationsspielraum auf. ICON
fährt dahingehend eine defensive Linie.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann