DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

19-12-2021 12:01

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 19.12.2021 um 10.30 UTC



Ab Donnerstag unbeständig mit Niederschlägen in allen vorstellbaren Facetten.
Grenzwetterlage weiterhin möglich. Spannend!
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Synoptische Entwicklung bis zum Sonntag, den 26.12.2021


Nun ist es als endlich soweit. Alle drei Feiertage von Heiligabend bis zum 2.
Weihnachtstag sind offiziell Bestandteil der Mittelfristvorhersage und fallen
nicht mehr unter die Trendprognose, die die sogenannte "erweiterte Mittelfrist"
abdeckt. Daraus nun aber eine höhere Prognosegenauigkeit oder auch -sicherheit
abzuleiten verbietet sich aus Gründen, auf die ich im Laufe dieses Bulletins
noch zu sprechen kommen werde. Zunächst aber erstmal den Gang der Handlung, wie
es sich der jüngste Lauf des IFS (ECMF) von heute 00 UTC vorstellt:

Zu Beginn des mittelfristigen Prognosezeitraums am kommenden Mittwoch liegt
Deutschland unter einer leicht antizyklonal konturierten nordwestlichen
Höhenströmung vorderseitig eines schwächelnden Rückens über Westeuropa. Es
handelt sich dabei um die Reste des blockierenden Omegahochs, das heute und auch
noch zu Beginn der neuen Wochen den Ton bei uns angibt. Vom Ostatlantik her
rückt aber ein umfangreiches Tiefdruckgebiet dichter an Europa heran und auch
von Nordosten her weitet sich der dort lagernde umfangreiche Höhentrog
allmählich südwestwärts aus. Trotzdem gestaltet sich der Mittwoch bei relativ
geringen Luftdruckgegensätzen in weiten Landesteilen antizyklonal und trocken.
Lediglich im Norden und Nordosten fällt gebietsweise etwas Schnee oder Regen.
Erwähnenswert ist die allmähliche Zunahme des niedertroposphärischen, von
Südwest nach Nordost gerichteten Temperaturgradienten; am Abend reicht die
Spanne auf 850 hPa zwischen -8°C auf Rügen und +3°C im Saarland.

Am Donnerstag wird der Rücken weiter abgebaut, was eine zunehmende Zonalisierung
der Höhenströmung nach sich zieht. Auch im Bodendruckfeld wird das gesamte Setup
zyklonaler. So taucht über der Nordsee ein kleines, aber nicht unwirksames Tief
auf, das mit einem scharf geschnittenen KW-Trog korrespondiert und über
Norddeutschland hinweg nach Polen zieht. Die Temperaturgegensätze auf 850 hPa
bleiben groß, wobei sich zunächst ein Vorstoß der milderen Luftmasse nach
Nordosten andeutet. Mit Übergreifen der Kaltfront des kleinen Tiefs wird diese
zaghafte Offensive aber rasch wieder gestoppt. Zum Tagesende liegt T850 zwischen
rund -6°C im gesamten Nordosten und rund +3°C in BaWü. Noch interessanter als
das aber ist die simulierte Niederschlagsentwicklung. Während sich von Norden
her Schneefall oder Schneeregen langsam südwärts vorarbeiten (im Binnenland
dürfte die Schneephase überwiegen, wenn auch vielfach nass), setzen in der Mitte
und im Süden - abgesetzt von den Ereignissen im Norden - Regenfälle ein. Im
weiteren Verlauf des Tages sowie in der Nacht zum Freitag verschmelzen die
beiden Niederschlagsgebiete, wobei es im nördlichen Teil schneit, weiter südlich
regnet und im Übergangsbereich zumindest stellenweise gefrierender Regen mit
Glatteis auftreten kann.

Am Freitag (Heiligabend) verbleiben wird unter einer westlichen, leicht zyklonal
gekrümmten Höhenströmung. Dabei greift von Norden her eine weitere Kaltfront,
die zu einem neuen, von Südskandinavien gen Baltikum ziehenden Tief gehört, auf
den Vorhersageraum über. Gleichzeitig setzt aber über Westeuropa, ausgehend von
einem kräftigen Grönlandhoch, Druckanstieg ein, was dazu führt, dass die kältere
Luftmasse peu a peu südwärts vorankommt. In der Heiligen Nacht erreicht die
0°C-Isotherme (850 hPa) die Alpen, gleichzeitig schlägt über Vorpommern die
"-10°C" auf. Und Niederschlag? - Nun, tendenziell wird zwar eine Abnahme
prognostiziert, trotzdem kann es gerade im Nordosten (an der neuen Kaltfront)
sowie in der Mitte (an dem verschmolzenen Niederschlagsgebiet) gebietsweise
leicht schneien.

Am Wochenende (1. und 2. Weihnachtstag) bohrt sich von Westen her ein schmaler
Hochkeil über den Vorhersageraum hinweg nach Osten. Zwar erfährt der Keil keine
Unterstützung aus der Höhe (weiter zyklonale Westströmung), gleichwohl reicht
es, um weiten Landesteilen niederschlagsfreie Feiertage zu bescheren. Ausnahmen
liegen im äußersten Süden und Südosten (sowie am Samstag vielleicht auch noch in
der östlichen Mitte), wo die Schneefallgrenze bis ganz runter sinkt, sowie an
der Küste, wo einzelne Regen- oder Schneeschauer möglich sind. Die
Temperaturgegensätze übrigens werden bei fortlaufender Kaltluftadvektion immer
weiter abgebaut, so dass am Sonntag fast schon von barotropen Verhältnissen
gesprochen werden kann (T850 um -6°C).

Für die erweiterte Mittelfrist ab Montag zeichnet sich ein baldiger Abbau des
Hochkeils sowie das Übergreifen eines veritablen Tiefs ab. Niederschläge
jeglicher Couleur, Wind und steigende Temperaturen wären die Folge.


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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Nachdem wir bereits in den vergangenen ein bis zwei Tagen zu der Erkenntnis
gekommen sind, dass die Wetterentwicklung in der Weihnachtswoche zwar spannend,
aber eben auch hochgradig unsicher ist, wird dieser Eindruck mit dem heutigen
00-UTC-Lauf von IFS (ECMF) voll und ganz bestätigt. Dabei präsentiert sich die
Ausgangslage zu Beginn des Mittelfristzeitraums (Mittwoch/Donnerstag) noch
einigermaßen homogen. Demnach kommt es bei uns zum berühmt-berüchtigten "clash o
air-masses", bei dem - vereinfacht gesagt - milde Luft aus Südwesteuropa den
Kampf mit Kaltluft aus Nord-Nordosteuropa aufnimmt. Damit geht das Malheur aber
auch schon los, denn weder Mensch noch Maschine wissen, wie das Duell ausgehen
wird. Gewinnt die Warmluft, gewinnt die Kaltluft, bekommen beide Luftmassen ihre
Anteile, wo genau liegt die Grenze und welche Niederschlagsprozesse resultieren
daraus? Alles Fragen, die die Meteorologenschaft nicht zuletzt wegen der
bevorstehenden Feiertage liebend gerne, vor allem aber substanziell beantworten
würde. Geht aber nicht, da sowohl im Modellvergleich als auch in den internen
Konsistenzbetrachtungen von Lauf zu Lauf immer wieder andere Lösungen kredenzt
werden.
So setzt der jüngste Lauf von IFS (ECMF) wie oben beschrieben im Laufe der
Weihnachtstage auf zunehmenden Hochdruckeinfluss, Abtrocknung und Abbau der
Temperaturgegenätze, was den gestrigen Läufen diametral gegenüber steht. Unter
diesen Aspekten ist die Modellkonsistenz alles andere als gut und die Vorhersage
bleibt - wie eingangs schon erwähnt - hochgradig unsicher.
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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Im Grunde wurde im vorherigen Abschnitt das Wesentliche gesagt. Die Modelle
machen alles, nur nicht an einem Strang ziehen. Immerhin lässt sich beim
Globalmodell von UKMO eine ähnliche Verteilung der Basisfelder wiederfinden wie
bei IFS, was aber alles andere als ein Garant für eine belastbare Prognose ist.
Nimmt man die beiden nordamerikanischen Modelle GFS und GEM, dann wird zunächst
ebenfalls eine hohe Baroklinität mit einer Luftmassengrenze aufgebaut, die zu
den Feiertagen aber immer weiter in den Norden und Nordosten des Landes
abgedrängt wird (hieße "mild siegt"). Zudem ist die gesamte
Strömungskonfiguration zyklonaler aufgestellt, was mehr Wind und auch mehr
Niederschlag zur Folge hätte. ICON liegt so ein wenig zwischen den Stühlen mit
einer trockenen Südlage am ersten und einer satten Tiefannäherung am zweiten
Weihnachtstag.

FAZIT: Auf Basis der deterministischen Prognosen heißt das Motto "nichts Genaues
weiß man nicht". Heißt auch, dass die im ersten Kapitel sehr detailliert
beschriebenen Abläufe alles andere als sicher sind und keine mögliche
Genauigkeit vorgaukeln sollen.
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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Betrachtet man die IFS-EPS-Rauchfahnen repräsentativer deutscher Städte, kommt
ein wenig mehr Licht ins Dunkel, auch wenn wir von "der Weisheit letzter
Schluss" noch meilenweit entfernt sind. Immerhin zeigt sich, dass sich Haupt-
und Kontrolllauf bei T850 an den drei Feiertagen von der Mehrheit der Ensembles
nach unten verabschieden. Oder anders ausgedrückt, das Gros der Lösungen strebt
über Weihnachten einen vergleichsweise milden Verlauf an. Einzig ganz oben im
Norden und Nordosten (Hamburg, Rostock; Hannover schon nicht mehr)) lässt sich
ein mehrheitlich besetzter kalter Ast konstatieren. Übrigens ganz nebenbei ein
Hinweis auf eine recht weit nördlich liegende, mehr oder weniger scharfe
Luftmassengrenze ähnlich der amerikanischen bzw. kanadischen Lösung.
Das Potenzial 500 hPa nimmt von Mittwoch bis Sonntag kontinuierlich ab bei
leicht zunehmendem, aber nicht übermäßigem Spread. Auffallend ist der abrupte
Wechsel der Niederschlagssignale: bis inkl. Mittwoch fast nix, danach ein hohes
und dichtes Grundrauschen.

Für den Zeitraum T+120...168h (Freitag bis Sonntag) werden drei Cluster angeboten,
die alle dem Klimaregime "NAO negativ" zugeordnet werden. Erst am letzten Tag
wechselt CL 3(zu dem neben 16 Fällen auch der Haupt- und Kontrolllauf gehören)
zum Regime "Atlantischer Rücken". In den ersten beiden Clustern (18 und 17
Fälle) lässt sich anhand der 1000-hPa-Darstellung im Norden und Nordosten eine
rinnenartige Konvergenzzone erkennen, was als Indiz für eine Luftmassengrenze
gewertet werden kann.
Ab Montag (T+192...240h) werden nur noch zwei Cluster angeboten, von denen CL1 (27
Fälle + HL) zu Wa (West antizyklonal) tendiert, während sich CL2 (24 Fälle + KL)
für eine Troglage über Mitteleuropa (TrM) entscheidet.

FAZIT: Die Mehrheit der Ensembles unterstützt nicht gerade die Version des
deterministischen Laufs. Vielmehr gibt es Hinweise auf eine sich irgendwo über
dem Norden einstellende Grenzwetterlage mit Kaltluft im äußersten
Norden/Nordosten und milden Luftmassen sonst. Im Detail macht uns das freilich
auch nicht schlauer, so dass man noch ein, zwei oder sogar drei Tage ins Land
gehen lassen muss, um belastbare Prognosen zu bekommen.
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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Vor dem zuletzt artikulierten Hintergrund ist es auch wenig zielführend, an
dieser Stelle zu sehr ins Detail zu gehen. Fakt ist, dass der Start in die
Mittelfrist noch sehr ruhig ist, bevor ab Donnerstag die
Niederschlagswahrscheinlichkeit steigt. Ab da sind dann alle Phasen möglich und
auch bei den Intensitäten ist das letzte Wort noch längst nicht gesprochen. Zwar
bietet die Probabilistik derzeit nichts Weltbewegendes an, was übrigens auch für
den Wind gilt. Dass die Wetterlage aber über ausreichend Überraschungspotenzial
verfügt, ist evident. Aber was wäre Weihnachten ohne Überraschung...
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Basis für Mittelfristvorhersage
Mittelding aus Modellmix, MOS-Mix und IFS-EPS. Die deterministische Variante von
IFS wird etwas in den Hintergrund gedrückt.
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann